Supernerds - Ein Überwachungsabend
Regie: Angela Richter
Schauspiel Köln
Ein monströser Überwachungsabend
Theater als Superspektakel: Mit ihrem transmedialen Experiment "Supernerds" prangert Regisseurin Angela Richter in Zeiten des NSA-Skandals das Ausmaß von Datenspeicherung und Überwachung an. Die Premiere am Schauspiel Köln geriet hektisch und monströs.
"Supernerds – Gespräche mit Helden" heißt das Buch, das Regisseurin Angela Richter im Schauspiel Köln als eine Art Programmheft zur Vorstellung ausgibt. Innen finden sich unter anderem Gespräche mit Daniel Ellsberg und Thomas Drake, Jesselyn Radack und Edward Snowden – "Digitale Dissidenten", vor allem Whistleblower, wie sie auch die TV-Dokumentation im Anschluss an Theater- und Fernsehabend im ganz klassischen Doku-Format porträtiert.
Das Theater wirkt hier als Knotenpunkt für ein transmediales Superprojekt, das die allgegenwärtige Überwachung thematisiert. Auf der Bühne steht ein kleines Hörfunkstudio, eine Kabine mit Glasscheibe, aus der heraus ein Radioreporter für WDR3 die Vorstellung kommentiert, denn sie wird auch ins Radio übertragen. Nebenan sendet Bettina Böttinger live aus einem Studio fürs WDR-Fernsehen, betritt aber ab und zu ebenso die Bühne für Kommentare und Interviews wie ein Schauspieler von der Theaterbühne ins Fernsehstudio wandert.
Akkreditierung im Vorfeld
Alle Zuschauer, so moderieren der Dramaturg Thomas Laue und Bettina Böttinger zu Beginn des Abends, mögen Ihre Handys angeschaltet lassen. Und da man sich für den Abend schon im Vorfeld akkreditieren sollte mit wenigen nicht allzu geheimen Daten – Name, Adresse, Mail-Adresse, Handynummer, diverse Accounts bei Facebook und ähnliches – konnte es auch sein, dass das Spiel schon vorher losging. Selbst wer kein Ticket hatte, konnte sich auf supernerds.tv für ein Suddenlife Game anmelden, ein Computerspiel, das in den Alltag eingreift und Realität und Fiktion miteinander verschränkt. Hier waren – und sind auch noch – verschiedene Spielmodule konzipiert, die zum Beispiel einen "NSA-Blick" ermöglichen. All das beschreibt erst mal nur die Ausgangssituation.
Das Problem nun fürs Theater ist, dass man sich als Knotenpunkt nicht viel bewegen kann, dass man bei allem Zappeln nicht so richtig vom Fleck kommt. Unter dem Überthema "Überwachung" wird hier noch vieles andere thematisiert: Selbstzensur, Kult um die nationale Sicherheit mit einem allwissenden, allgegenwärtigen "Gott", Heldentum und Normalität und eine "Apokalypse", an den man sich gewöhnt.
Zappelnde Schauspieler zwischen Schaufensterpuppen
Die Frage nach dem, was möglich ist, wird multimedial beantwortet, indem im TV-Studio beschrieben wird, wie man sich live im Theater die Handy-Kamera eines Theaterzuschauers gefügig machen konnte. Julian Assange spricht als gestochen scharfes 3D-Hologramm auf der Kölner Bühne im Interview mit Bettina Böttinger (sieht live zugeschaltet aus, ist es aber nicht) von einem "Geheimdienstkrebs", ähnlich wie Regisseurin Angela Richter in einer WDR-Talkshow im Vorfeld.
Aber auch der Bühnenabend ist monströs, und das nicht nur im guten Sinne: Es ist zu viel Gedöns zu schnell und zu hektisch zusammengetragen. Auf der Bühne sprechen die Schauspieler zwischen Schaufensterpuppen, Pappfiguren und stummer Statisterie in den Rollen der Whistleblower oder der Interviewerin Angela Richter. Dabei zappeln und bewegen sie sich fast ständig, oder die statischen Figuren rücken ihnen immer näher auf den Leib. Die Folge ist, dass man ihnen kaum zuhören kann. Überforderung ist ja immer wieder mal Programm, passt auch zum Thema, aber bei der Inhaltsfülle ist dann doch auch schade, wie viel Text verschenkt wird.
Aber dann: Judith Rosmair steht als Whistleblowerin Chelsea Manning im Lichtquadrat, mit blauer Jacke über dem Kleidchen, die Kapuze weit ins Gesicht gezogen, die Hände tief in die Taschen geschoben, wie ein Kobold, und sagt: "Ich möchte mich als Person einfach raushalten." Dabei berührt diese Figur, diese Person am meisten, wie sie schließlich am Boden sitzt, mit nacktem krummen Rücken, sich leise hin und her wiegend.
Verharmlosender Show-Charakter
Für den Theaterzuschauer kam bei diesem Versuch das Fernsehen vor allem immer dann dazu, wenn es um Statistik oder Service, die Erklärung ging: Wie geht das? Der dabei entstehende Show-Charakter machte die Erfahrung auch immer mal wieder harmloser, als es wohl eigentlich gedacht war. Mag sein, dass das aus der Sicht des Fernsehzuschauers ganz anders aussah. Oder sich am Radio anders anhörte.
Im Übrigen ist das alles erst mal lineares Sehen oder Hören. Den Theaterbesuch kann man nicht rückwärts drehen. Man kann im Anschluss allerdings, nicht-linear, die Perspektive wechseln, wenn einzelne Module online stehen: Den Abend mit Bettina Böttinger "anklicken", kurz oder länger reinsehen und so bemerken, dass die Fernsehzuschauer offenbar abgestimmt haben, wie mit uns als Versuchskaninchen im Theatersaal umgegangen wurde? Ist das ein Kommentar zur Quote?
Interessant ist vor allem auch das Suddenlife Game über die Internet-Homepage supernerds.tv, die schon Wochen vorher geschaltet war und auch immer noch ist. Jetzt, nach der Premiere, kann man sich für die Spielmodule immer noch anmelden, wenn man das Spiel auch nicht mehr im ganzen Ausmaß spielen kann.
Abhören und andere Überraschungen
Die "Abhörhotline", eine der Möglichkeiten, lässt den Anrufer an einem intimen Gespräch teilhaben – und fragt ihn, etwas überrumpelnd, ob er auch bereit sei mitzumachen. Wenn ja, kommt bald eine SMS, dass das Telefon nun abgehört werde. Und am Ende eine Auflösung (nein, wird nicht verraten).
Man kann Freunde "überraschen", die man allerdings vorher gefragt haben muss, ob sie die Überraschung haben wollen. Denn man gibt ihre Handy-Nummer weiter. Man verrät ein Detail aus ihrem Leben, das in eine vertraulich-verschwörerische SMS eingebaut wird. Sie werden angerufen – und auch hier wird am Ende aufgelöst.
Eine längere Geschichte ist der "NSA-Blick" oder die Kontaktierung durch "verdächtige" Personen. Bei den Entwicklern des Spiels sollen sich vor der Premiere mehrere Leute gemeldet haben, die sich Sorgen machten, ob sie noch problemlos in die USA reisen können – obwohl sie wohl gewusst haben müssen, dass sie ein Spiel spielen.
Diese Vermischung von Realität und Fiktion erinnert an "Krieg der Welten", das täuschend echte Hörspiel von Orson Welles, auf das viele Zuhörer umschalteten, als die vermeintlich echte Berichterstattung über eine Marsianer-Invasion schon im vollen Gange war. Und glaubten, es gäbe tatsächlich einen Angriff von Außerirdischen.
Datensammeln hat Tradition
Das war 1938 und Voll-Fiktion. "Supernerds" dagegen beruht auf Interviews. Die TV-Doku "Digitale Dissidenten" von Cyril Tuschi, die heute Abend auf 1Festival wiederholt wird, besucht am Ende mit dem "Digitalen Dissidenten" Thomas Drake das Stasi-Museum in Berlin im Haus des Ministeriums für Staatssicherheit. Es geht um die Tradition des Datensammelns.
Auch Theatertraditionen können einem in den Sinn kommen: Augusto Boals "Unsichtbares Theater", in dem der Zuschauer gar nicht merkt, dass eine Situation, über die er im Alltag stolpert, tatsächlich gespieltes Theater ist, das ihn implizit zum Eingreifen auffordert. Oder Boals "Forum-Theater", in dem das Publikum über den Handlungsverlauf abstimmen soll. Boal ging es um den mündigen Zuschauer. Ebenso interessant ist die Frage nach dem Spielcharakter und der Spielgemeinschaft. Eine Zuschauergruppe virtuell zu erweitern, ist nicht so weit hergeholt.
Man kann dabei auch an soziale Plastiken, soziale Skulpturen denken. Auch die Entwicklung von Figuren und Charakteren, die beim Suddenlife Gaming eine Rolle spielt und im Theater eigentlich auch, ist ein interessanter Aspekt. Wobei das Theater hier etwas kurz kam – aber hier lohnt sich sicher weiterzudenken. Wie schön auch, dass das Fernsehen das Theater mal so gefeiert hat!
Das ganze Experiment der Transmedialität ist ein bisschen viel des Guten, aber ästhetisch vergeblich war es sicher nicht. Ein guter Ausgangspunkt für ganz, ganz viele Überlegungen. Was will man mehr.