Superwerkzeug der Gentechnik

Mit Crispr die Evolution hacken?

CRISPR CAS9 beim Bearbeiten von DNA
CRISPR CAS9 beim Bearbeiten von DNA © imago stock&people
Von Lydia Heller |
Ein Gespenst geht um in Wissenschaft, Gesellschaft und Bioethik – Crispr. Die neue Gen-Schere verspricht in naher Zukunft spektakuläre Anwendungen auf vielen Gebieten. Sind wir damit in einer Art "post-evolutionären" Zeitalter angekommen?
Sind die Menschen mit den Möglichkeiten der Genom-Editierung in einer Art "post-evolutionärem" Zeitalter angekommen? Oder "manipulieren" sie die Evolution schon seit dem Moment, in dem sie die ersten Nutzpflanzen und Haustiere gezüchtet haben – und ihre Partner zum ersten Mal nach anderen als biologischen Kriterien aussuchten?
Die heutige Evolutionstheorie teilt die Auffassung von Evolution als zielblindem Prozess. Aber: Sie sieht Lebewesen nicht mehr einer Umwelt "ausgeliefert", der sie sich auf Gedeih und Verderb anpassen müssen. Sondern als aktive Systeme, die den Modus dieser Anpassung mitbestimmen. Erbanlagen geben zwar die Ausprägung bestimmter Merkmale vor – diese wirken aber wieder auf die "Baupläne" der Organismen zurück. So wie bei CrisprCas9.
Emmanuelle Charpentier
Emmanuelle Charpentier© Deutschlandradio / M. Hucht
Im November 2015 spricht die Molekularbiologin Emmanuelle Charpentier auf der Falling-Walls-Wissenschaftskonferenz in Berlin. Erst drei Jahre zuvor hat sie zusammen mit Jennifer Doudna aus Berkeley das System beschrieben, das heute als neues Superwerkzeug der Gentechnik gilt:
Crispr, ein Akronym für "Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats", bezeichnet sich wiederholende Abschnitte in der DNA von Bakterien. Cas9 ist ein Enzym, das DNA – die Trägerin der Erbinformation von Lebewesen – schneiden kann. Zusammen sind sie die Grundelemente eines Mechanismus, mit dem Abschnitte im Erbgut von Organismen gezielt angesteuert und an genau diesen Stellen aufgetrennt werden können. Die Sequenzen, das wissen Forscher seit 2007, sind Teil eines bakteriellen Immunsystem.

Schweine als Organspender

Kaum ein Monat vergeht seither ohne eine Meldung über eine neue Möglichkeit, Crispr oder darauf aufbauende Techniken einzusetzen: Forscher modifizieren Immunabwehrzellen so, dass sie effizienter gegen Tumorzellen vorgehen. Sie suchen nach Gen-Mutationen in menschlichen Zellen, die sie resistent gegen das AIDS-Virus machen.
Nutztier-Genetiker versuchen, Schweine-Gewebe so zu modifizieren, dass die Tiere künftig als Organspender für Menschen dienen können. Pflanzenzüchter hoffen auf ertrag- und nährstoffreichere Pflanzen, die zugleich resistent gegen Schädlinge sind.
Zwar konnte man auch vor Crispr schon gezielt Gene modifizieren, mit Zinkfinger-Nukleasen oder der Gen-Schere TALEN. Die Methoden sind jedoch kompliziert und teurer als Crispr. Alle Gen-Scheren allerdings sind im Labor gebaute Werkzeuge, die auf Mechanismen aus der Natur beruhen – ausgebildet von Bakterien, um Angreifer abzuwehren, sich ihrer Umwelt anzupassen, einen Überlebensvorteil zu erwerben.
Bei aller Präzision: Crispr-Scheren finden nicht immer das gewünschte Ziel – jedenfalls noch nicht. Und Zellen haben über tausende von Jahren eine Reihe an Mechanismen entwickelt, mit denen sie DNA-Brüche reparieren. So entstehen Mutationen. Und eben: Resistenzen.

Lydia Heller hat mit Wissenschaftlern darüber gesprochen, ob Crispr halten kann, was es verspricht. Ihre Reportage fragt auch nach den Grenzen und Gefahren der neuen "Super-Genschere".

(Online-Bearbeitung: cre)
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