Abtreibungsrecht in den USA

Nach Supreme-Court-Urteil nun Streit um Abtreibungspille

Der demokratische Senatsmehrheitsführer Chuck Schumer steht in einer Gruppe Menschen hinter einem Rednerpult vor dem US Kongress. Vor ihm steht ein Schild: "Senate Democrats will defend abortion access."
Lagerbildung: Während sich die meisten Republikaner gegen ein Recht auf Abtreibung aussprechen, sind die meisten Demokraten dafür. © Getty Images / Drew Angerer
Im Juni 2022 kippte der Oberste Gerichtshof der USA das liberale Abtreibungsrecht. Das Urteil des mehrheitlich konservativen Supreme Court hat in einigen US-Bundesstaaten schon zu strengeren Abtreibungsgesetzen geführt - und weitere könnten folgen.
Mit seiner Entscheidung, die Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch künftig den Bundesstaaten zu überlassen, hat das Oberste Gericht der USA im Juni 2022 das bislang liberale Abtreibungsrecht des Landes kassiert - nach fast einem halben Jahrhundert.
Die Entscheidung macht Schwangerschaftsabbrüche zwar nicht illegal, jedoch "gewährt die Verfassung kein Recht auf Abtreibung" mehr, heißt es in der Urteilsbegründung. Einzelne US-Bundesstaaten können nun selbst darüber entscheiden. Einschränkungen und Verbote von Abtreibungen folgten daraufhin in vielen republikanisch regierten Bundesstaaten.
Anfang April 2023 setzte ein Bundesrichter in Texas die Zulassung der Arzneimittelbehörde FDA für die Abtreibungspille Mifepriston per einstweiliger Verfügung aus. Um den Zugang zu der in den USA verbreiteten Abtreibungsmethode gibt es nun ein juristisches Gezerre - Ausgang offen.

Worum geht es beim Streit um die Abtreibungspille Mifepriston?

Mehr als die Hälfte der Abtreibungen in den USA werden medikamentös eingeleitet. Dabei kommen zwei Medikamente zum Einsatz, die in der Regel nacheinander eingenommen werden: erst Mifepriston, dann Misoprostol. Um das erste Medikament, Mifepriston, ist nun ein juristischer Streit entbrannt.
Ein Bundesrichter im konservativen Texas hat die Food and Drug Administration (FDA), die für die bundesweite Zulassung von Medikamenten zuständige Behörde, angewiesen, Mifepriston US-weit vom Markt zu nehmen. Das Urteil sollte eigentlich am 14. April rechtskräftig werden, doch das Bundesjustizministerium und der Pharmakonzern Danco Laboratories haben dagegen Einspruch eingelegt. Am 15. April hat der Oberste Gerichtshof mittels einer einstweiligen Verfügung angeordnet, dass das Medikament bis zum 19. April verfügbar bleibt. So bleibt den Parteien bis zum 18. April Zeit, ihre Schriftsätze einzureichen.
Darüber hinaus gibt es noch ein weiteres Urteil mit bundesweiter Wirkung im Streit um Mifepriston. Nur wenige Minuten nach der Entscheidung in Texas entschied ein Gericht im liberaleren Nordwesten, in Washington State, dass die FDA unter keinen Umständen die Zulassung von Mifepriston widerrufen darf. Geklagt hatten Justizminister von Bundesstaaten, die das Recht auf Abtreibung schützen, teilweise sogar in ihren Landesverfassungen.

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Das heißt, dass es momentan zwei Urteile von Bundesrichtern gibt, die bundesweit Geltung haben und die absolut gegensätzlich sind. Insofern muss es zu einer abschließenden Klärung kommen, die nur der Supreme Court herbeiführen kann. Mit Spannung wird erwartet, ob der Supreme Court gegen die FDA entscheiden wird. Während der Coronapandemie stellte er sich bei der Zulassung von Covid-Impfstoffen hinter die Arzneimittelbehörde. Im vergangenen Jahr schränkten die obersten Richter dagegen die Befugnisse der US-Umweltagentur Environmental Protection Agency stark ein.

Welche Grundsatzurteile galten bis Juni 2022 zur Abtreibung in den USA?

Das Recht auf Abtreibung wurde 1973 durch ein Grundsatzurteil des Obersten Gerichtshof im Fall Roe v. Wade festgeschrieben. Weiterhin wegweisend ist das Urteil Planned Parenthood v. Casey. Hier wurde das Recht auf Abtreibung 1992 nochmals bestätigt.
Damals entschied das höchste Gericht, dass einzelne US-Staaten kein Recht haben, Schwangerschaftsabbrüche vor der 24. Schwangerschaftswoche zu verbieten. Dies ist der Zeitpunkt, ab dem ein Fötus außerhalb des Mutterleibes als lebensfähig gilt.

Was hat der Supreme Court 2022 entschieden?

Der Richterspruch hat die Garantie auf Abtreibung beendet. Jeder Bundesstaat kann entscheiden, ob er Schwangerschaftsabbrüche einschränken oder verbieten will. Staaten im Süden und Mittleren Westen haben umgehend umfassende Abtreibungsverbote verhängt. Diese werden allerdings juristisch angefochten.
Anlass der Gerichtsentscheidung war das Abtreibungsrecht im US-Bundesstaat Mississippi. Dies verbietet Abtreibungen nach der 15. Woche. Die Mehrheit der neun Richter des Supreme Courts kommt seit der Präsidentschaft von Donald Trump aus dem konservativen Lager. Nur drei Richter stehen den Demokraten nahe. Diese stimmten gegen den Gesetzentwurf.

Wie begründet das Gericht seine Entscheidung?

"Die Verfassung gewährt kein Recht auf Abtreibung", heißt es in der Urteilsbegründung. Über Abtreibungsgesetze müssten die politischen Institutionen entscheiden, nicht die Gerichte. Der konservative Richter Samuel Alito schrieb in dem Urteil, die Entscheidung im Fall Roe vs Wade 1973 sei immer falsch gewesen.
Die meisten Bürgerinnen und Bürger der USA sind allerdings für ein Recht auf Abtreibung. Abtreibung sollte „in den meisten oder allen Fällen“ legal sein, sagten 64 Prozent der Befragten in einer Umfrage des Public Religion Research Institut. 34 Prozent finden hingegen, Schwangerschaftsabbrüche sollten in allen oder in den meisten Fällen verboten sein.
Ergebnisse einer nationalen Umfrage in den USA nach Parteizugehörigkeit im Juli 2022 zur Entscheidung des Supreme Court zur Abtreibung
© Statista / SCRI; New York Times

Wo sind Schwangerschaftsabbrüche eingeschränkt oder verboten?

Seit der Entscheidung des Supreme Court gibt es fast vollständige Abtreibungsverbote in den republikanisch regierten Bundesstaaten Alabama, Arkansas, Idaho, Kentucky, Louisiana, Mississippi, Missouri, South Dakota, Tennessee, Texas und West Virginia. In vielen dieser Staaten gibt es auch keine Ausnahmen bei Vergewaltigung oder Inzest. Stark eingeschränkt ist der Zugang zu Abtreibungen auch in North Dakota und Wisconsin.
Verbote in Ohio, Indiana und Wyoming wurden von Gerichten gestoppt. Es gibt aber noch Berufungsverfahren. Das oberste Gericht von South Carolina erklärte ein Abtreibungsverbot nach der sechsten Schwangerschaftswoche für unvereinbar mit der Verfassung. Auch in Florida sollen Abtreibungen künftig nach der sechsten Schwangerschaftswoche verboten sein. Zunächst muss der Oberste Gerichtshof des Bundesstaats aber noch über eine Berufungsklage gegen die 15-Wochen-Regelung entscheiden, die Floridas republikanischer Gouverneur Ron DeSantis im vergangenen Jahr hatte einführen wollen
Dagegen haben mehr als 15 demokratisch regierte Bundesstaaten, darunter New York, Kalifornien und Michigan, einen legalen Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen gesetzlich verankert.

Welche Folgen hat das für Schwangere in den USA?

Die Vereinigten Staaten werden im Abtreibungsrecht zu einem Flickenteppich. Ein Bild wie vor 50 Jahren: Wer über Geld und Bildung verfügt, kann in möglicherweise weit entfernte liberale Bundesstaaten reisen und dort die Schwangerschaft beenden lassen. Andere Frauen müssen "Hinterzimmer-Abtreibungen" auf sich nehmen.
Der Tag

Nicht Maschinen, sondern Menschen: Ab 9:51 spricht USA-Korrespondentin Doris Simon über Auswirkungen des Supreme-Court-Urteils.

25.02.2023
21:05 Minuten
Ein dunkelrot eingebundener Pass mit folgender Prägung in goldenen Buchstaben: Europäische Union. Bundesrepublik Deutschland. Reisepass und dem Bundesadler.
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Schwangerschaftsabbrüche haben immer eine soziale Dimension. Die Zahlen sind dort besonders hoch, wo es schlechten Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung gibt. Mit der Frage "Wie kann ich richtig und sicher verhüten" sind in armen Gegenden viele überfordert. Gerade hier wirkt sich ein Abtreibungsverbot negativ auf das Leben vieler Frauen aus.
(dlf/epd/AP/Doris Simon/beb)

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