Surrealer Grusel aus Dänemark
Zwei Scheidungskinder ziehen mit ihrer Mutter in ein altes Haus aufs Land. Die Kinder haben Ferien und alle Zeichen deuten auf einen Neubeginn hin. Doch dann mutiert die Geschichte zu einem gruseligen Schauerstück - die Kettensäge kreischt, das Blut spritzt.
Am Beginn von Erling Jepsens Roman bastelt die 15-jährige Protagonistin Emilie an einem Bild, auf dem Menschen und Tiere zu sehen sind, denen die Köpfe fehlen. "Vielleicht setze ich die Menschenköpfe auf die Tiere und umgekehrt", grübelt sie, "aber sie könnten auch auf der Erde gestapelt werden, wie Kanonenkugeln".
Die Koordinaten des Erzählens sind damit markiert. Denn was folgt, ist eine kluge wie spannungsreiche narrative Belebung dieser noch unfertigen Collage. Emilie und ihr kleiner Bruder Jacob sind Scheidungskinder. Nach der Trennung ihrer Eltern sind sie mit der Mutter in ein altes Haus aufs Land gezogen, das von einem großen Garten umgeben ist. Hinter ihnen liegt eine schwere Zeit. Doch nun ist Sommer, die Kinder haben Ferien und alle Zeichen deuten auf einen Neubeginn hin.
Doch als plötzlich ein fremder Mann im Gartenlabyrinth auftaucht und sein Anrecht auf das Grundstück einklagt, nebenbei auch noch Mutter und Tochter verführt, bricht der Text aus seiner Bahn und mutiert zum gruseligen Schauerstück. Nun kreischt die Kettensäge, es spritzt viel Blut, überall flüstern seltsame Stimmen und der Brunnen verwandelt sich in einen finsteren Orkus, in dem es gespenstisch zugeht.
Nach den Romanen "Die Kunst, im Chor zu weinen" (2008) und "Fürchterlich glücklich" (2010), mit denen Jepsen sein Können im surreal-gruseligen Fach bewiesen hat und als Meister des schwarzen Humors brillierte, verlegt der erfolgreiche dänische Autor die Handlung nun ganz ins Innere der Figuren.
Der Kopf, nach Alfred Döblin das "gefährlichste Organ" des Menschen, wird zum Kampfplatz. Und Jepsen denkt radikal genug, um reichlich Köpfe rollen zu lassen. Was sich hinter der geputzten Fassade des dänischen Familienalltags verbirgt, interessiert ihn. An Emilie und Jacob sind Forderungen gestellt worden, die sie psychisch nicht verkraften konnten. Ihre Köpfe haben keine Lust mehr auf Vernunft, auf sachliche Diskussionen und psychologische Deutungen. Sie sind auf der Strecke geblieben. Während die Erwachsenen im Alkohol Trost suchen, werden die Kinder wie Bauern auf einem Schachbrett zwischen König/Vater und Königin/Mutter hin und her geschoben.
Emilie verweist mit ihrer Collage, die mit Elementen des Gothic style spielt, nicht nur symbolisch auf die kommenden Ereignisse. Auf ihr ist eine Realität dargestellt, die mehr "gothic" ist, als es die Figuren wahrhaben wollen. Die Bild gewordene Kopflosigkeit steht zwar für den Verlust klaren Denkens. Emilies Jonglieren mit den Köpfen muss aber auch als Gewinn verstanden werden. Endlich hat sie eine Form jenseits der Sprache gefunden, ihren Widerstand auszudrücken.
Feinfühlig, aber mit einer radikalen Erzählstrategie erkundet Jepsen jenen Quantensprung, der die Kindheit vom Erwachsensein trennt.
Besprochen von Carola Wiemers
Erling Jepsen: Kopfloser Sommer
Aus dem Dänischen von Ulrich Sonnenberg
Suhrkamp Nova, Berlin 2012
287 Seiten, 13,99 Euro
Die Koordinaten des Erzählens sind damit markiert. Denn was folgt, ist eine kluge wie spannungsreiche narrative Belebung dieser noch unfertigen Collage. Emilie und ihr kleiner Bruder Jacob sind Scheidungskinder. Nach der Trennung ihrer Eltern sind sie mit der Mutter in ein altes Haus aufs Land gezogen, das von einem großen Garten umgeben ist. Hinter ihnen liegt eine schwere Zeit. Doch nun ist Sommer, die Kinder haben Ferien und alle Zeichen deuten auf einen Neubeginn hin.
Doch als plötzlich ein fremder Mann im Gartenlabyrinth auftaucht und sein Anrecht auf das Grundstück einklagt, nebenbei auch noch Mutter und Tochter verführt, bricht der Text aus seiner Bahn und mutiert zum gruseligen Schauerstück. Nun kreischt die Kettensäge, es spritzt viel Blut, überall flüstern seltsame Stimmen und der Brunnen verwandelt sich in einen finsteren Orkus, in dem es gespenstisch zugeht.
Nach den Romanen "Die Kunst, im Chor zu weinen" (2008) und "Fürchterlich glücklich" (2010), mit denen Jepsen sein Können im surreal-gruseligen Fach bewiesen hat und als Meister des schwarzen Humors brillierte, verlegt der erfolgreiche dänische Autor die Handlung nun ganz ins Innere der Figuren.
Der Kopf, nach Alfred Döblin das "gefährlichste Organ" des Menschen, wird zum Kampfplatz. Und Jepsen denkt radikal genug, um reichlich Köpfe rollen zu lassen. Was sich hinter der geputzten Fassade des dänischen Familienalltags verbirgt, interessiert ihn. An Emilie und Jacob sind Forderungen gestellt worden, die sie psychisch nicht verkraften konnten. Ihre Köpfe haben keine Lust mehr auf Vernunft, auf sachliche Diskussionen und psychologische Deutungen. Sie sind auf der Strecke geblieben. Während die Erwachsenen im Alkohol Trost suchen, werden die Kinder wie Bauern auf einem Schachbrett zwischen König/Vater und Königin/Mutter hin und her geschoben.
Emilie verweist mit ihrer Collage, die mit Elementen des Gothic style spielt, nicht nur symbolisch auf die kommenden Ereignisse. Auf ihr ist eine Realität dargestellt, die mehr "gothic" ist, als es die Figuren wahrhaben wollen. Die Bild gewordene Kopflosigkeit steht zwar für den Verlust klaren Denkens. Emilies Jonglieren mit den Köpfen muss aber auch als Gewinn verstanden werden. Endlich hat sie eine Form jenseits der Sprache gefunden, ihren Widerstand auszudrücken.
Feinfühlig, aber mit einer radikalen Erzählstrategie erkundet Jepsen jenen Quantensprung, der die Kindheit vom Erwachsensein trennt.
Besprochen von Carola Wiemers
Erling Jepsen: Kopfloser Sommer
Aus dem Dänischen von Ulrich Sonnenberg
Suhrkamp Nova, Berlin 2012
287 Seiten, 13,99 Euro