20. Todestag
Autorin, Intellektuelle, Star, Philosophin, Aktivistin, Regisseurin: Susan Sontag (hier ein Bild aus dem Jahr 1970) als vielseitig zu bezeichnen, wäre untertrieben. © IMAGO / SvD / TT
Susan Sontag: Von zeitloser Relevanz
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Was würde sie wohl zu Trump sagen, oder zur Social-Media-Sucht in modernen Gesellschaften? Die Stimme der intellektuellen Ikone Susan Sontag verstummte vor genau 20 Jahren - doch viele ihrer Gedanken sind aktueller denn je.
Ein netter Mensch? Das war Susan Sontag eher nicht, wenn man Zeitgenossen glaubt, die mit ihr zusammengelebt haben. Die Attribute, die sie als Autorin und Denkerin zur Ikone machten, waren andere: ihre intellektuelle Brillanz, ihr Gespür für den Zeitgeist und der unstillbare Hunger nach Kultur, Reisen und Begegnungen. Sie traf Thomas Mann, war mit Andy Warhol befreundet und tauschte sich während ihrer Jahre in Paris mit Philosophen wie Jean Paul Sartre und Allen Ginsberg aus.
Über sich selbst und ihren Antrieb schrieb Sontag: „Ich habe dieses Etwas – meinen Verstand. Er wächst, ist unersättlich.“ Ein Essay machte sie 1964 schlagartig berühmt. „Sie hat eine ähnliche Rolle gespielt wie zum Beispiel Habermas in Deutschland. Sie war eine öffentliche moralische Instanz“, sagt Sontag-Biografin Anna-Lisa Dieter.
Hilfreich für Sontags Aufstieg zur Starkritikerin und später preisgekrönten Romanautorin war sicherlich auch ihr gutes Aussehen: "Die Schönheit war zentral", sagt Dieter: "Dass eine denkende Person so attraktiv war und vor allem so ein Gespür für Selbstinszenierung und Coolness hatte. Das war schon eine einzigartige Kombination, die wesentlich zu ihrem Erfolg beigetragen hat."
Gegen jede Form von Vereinfachung
Sontag war überaus vielseitig, philosophierte, schrieb, kritisierte, inszenierte, hinterfragte Tabus, wandte sich gegen jede Form von Vereinfachung oder Dualismus, hob stets gesellschaftliche Mehrdeutigkeiten und Widersprüche hervor. Man kann sich ausmalen, was sie wohl zum Trumpschen Populismus gesagt hätte.
„Meiner Ansicht nach verdient nur eine kritische, dialektische, skeptische, jeder Vereinfachung entgegenwirkende Intelligenz, verteidigt zu werden“, schrieb sie. Freies Denken war ihr Credo. So kommentierte sie auch entgegen der allgemeinen Tendenz in Politik und Medien die Terroranschläge vom 11. September 2001 USA-kritisch – was ihr viele Landsleute übelnahmen.
Intensiv setzte sich Sontag mit der Wírkung von Bildern auseinander. In einer Zeit, die von Instagram, TikTok und Co. geprägt wird, lesen sich ihre Gedanken fast schon prophetisch. „Heute existiert alles, um fotografiert zu werden“, schrieb sie bereits Mitte der 1970er-Jahre, und ergründete die Bedeutung von Bildern und gesellschaftlichen Inszenierungen. Dazu passte, dass die bisexuelle Sontag jahrelang mit der berühmten Fotokünstlerin Annie Leibovitz liiert war.
In der Geschichte der Fotografie hat die Kamera so erfolgreich ihre Funktion einer Behübschung der Welt ausgeübt, dass heute Fotos, eher noch als die Welt an sich, als Maßstab für das Schöne herangezogen werden.
Ihrer Zeit war Sontag häufig voraus. Hochbegabt übersprang sie einige Schulklassen, besuchte die Elite-Unis Berkeley, Harvard und Oxford und wurde mit gerade einmal 19 Jahren Mutter.
In New York erfand sie sich dann völlig neu und damit zugleich das revolutionäre neue Rollenmodell einer glamourösen Vorzeige-Intellektuellen. Bis dahin waren Kritiker und Gelehrte in der Öffentlichkeit eher kühl und distanziert-sachlich aufgetreten.
Vernunft und Gefühl
Sontag war erfolgreich anders: „Die Leute haben immer diese Vorstellung, dass Vernunft und Gefühl Gegensätze sind, der Kopf und das Herz“, erklärte sie in einem TV-Interview ihren Ansatz: „In all dem, was ich geschrieben habe, habe ich immer wieder versucht zu zeigen, dass Gefühl und Denken keine Gegensätze sind.“
Sontag gelang es, Hoch- und Popkultur zu vereinen. Dafür wurde sie Zeit ihres Lebens verehrt. Am 28. Dezember 2004 erlag Sontag einem Krebsleiden.
jk