Susan Woodford: "Kunst verstehen"
Midas, Zürich 2018
176 Seiten, 14,90 EUR
Lehrgang im Bilderlesen
Susan Woodford bringt in ihrem Buch "Kunst verstehen" über 100 zentrale Werke der Kunstgeschichte zum Sprechen. Jedes Kapitel ist einer Frage gewidmet und es macht Spaß, ihren Bilderkundungen zu folgen. Ein überzeugendes Lehrwerk für Laien und Kenner.
Das muss man sich erst einmal trauen: Cornelis Anthonisz' "Bildnis vom Bankett einer Schützengilde" aus dem Jahr 1533, eines der ersten frühneuzeitlichen Gruppenporträts überhaupt, als wenig aufregend zu bezeichnen und ihm die Langeweile eines gestellten Klassenfotos zu attestieren.
Dabei hat der niederländische Maler, das immerhin räumt Susan Woodford in ihrer detaillierten Bildbeschreibung ein, alles richtig gemacht: Sämtliche Personen sind originalgetreu dargestellt und gut zu erkennen.
Aber ist das wichtig, fragt die amerikanische Kunsthistorikerin fast provokant. Soll ein Porträt genau zeigen, wie eine Person wirklich aussieht? Warum haben dann Meister wie Hans Memling und Hugo van der Goes ihre Gemälde von Maria Portinari aus den Jahren 1470 und 1479 so unterschiedlich angelegt, dass man glaubt, zwei verschiedene Frauen zu sehen? Und wie kam Rembrandt 200 Jahre später gar auf die Idee, Aristoteles mit den Zügen und im Gewand eines Zeitgenossen darzustellen?
Von Höhlenkunst bis Moderne
Es sind kluge Fragen, die Susan Woodford in ihrer unprätentiösen Einführung "Kunst verstehen" stellt. Sie führen mitten hinein in grundlegende Themen der Kunst und beschäftigen rätselnde Laien ebenso wie um Erklärung ringende Kenner. Dabei muss man gar nicht viele Worte machen, wie Woodford in ihrem schmalen und dennoch reich bebilderten Band zeigt. Tatsächlich überlässt es die am Londoner British Museum tätige Autorin der Kunst selbst, Antworten zu geben!
Gegliedert in 13 Kapitel bringt Susan Woodford über 100 zentrale Werke der Kunstgeschichte zum Sprechen. Darunter das etwa 15.000 Jahre alte Höhlengemälde eines Bisons, griechische Vasen aus der Antike, frühbyzantinische Mosaiken sowie Gemälde und Skulpturen aus dem Mittelalter, der Renaissance, des Barock und der Moderne.
Jedes Kapitel widmet sich einer Frage, und es ist spannend, dass die Autorin die Kunst dabei nicht chronologisch sortiert, sondern nach Verwandtschaften oder Kontrasten gruppiert. Brillant kann sie so zeigen, wie Künstler den Raum, die Fläche, Farbe und Muster, die Landschaft oder das Porträt interpretiert haben und mit welchen Mitteln sie vorgingen, welche Motive sie wählten, und welche Ziele sie hatten.
Freude bei der Bilderkundung
So bekommen die Leserinnen und Leser das nötige Rüstzeug, Bilder zu lesen. Etwa wenn erkennbar wird, dass die "Auferweckung des Lazarus" aus dem 6. Jahrhundert in einer italienischen Basilika von allen Kirchgängern verstanden werden musste, eine Allegorie der Liebe aus dem 16. Jahrhundert aber ausschließlich zum Amüsement einer gebildete Elite taugte und ein Tröpfelbild von Jackson Pollock um 1950 wiederum den Malakt an sich feiert - unabhängig vom Verständnis der Betrachter.
Es macht Freude, Woodford bei ihren Bilderkundungen zu folgen, und es ist extrem lehrreich. Auch formuliert die Autorin schnörkellos und verzichtet auf Fachtermini. Fast wundert man sich schon über das Glossar, das erklärt, wer zur Heiligen Familie gehört, und was mit Zentralperspektive gemeint ist. Aber Woodford geht es halt durchweg grundlegend an und das überzeugt.