Was gehortete Dinge erzählen
Als die Mutter der Britin Susannah Walker starb, hinterließ sie ein Haus voll Gerümpel. In ihrem Buch "Was bleibt" nähert sich Walker den Gegenständen wie eine Archäologin. Ihrer toten Mutter kommt sie so näher denn je.
Wie viele Londoner hat auch Susannah Walker die Stadt vor einer Weile verlassen. Arbeiten, um die Miete zu bezahlen, kann kein Lebensziel sein. Sie lebt jetzt in Somerset, hat den Zug in Bath genommen und als Treffpunkt ein Café vorgeschlagen, das zum Museum für Gartengeschichte gehört – gleich neben der Lambeth Bridge. Das Museumsgebäude war einmal eine viktorianische Kirche. Susannah Walker ist Design-Historikerin. Ihre Mutter war eine zwanghafte Sammlerin. Vielleicht bewirkt das kühle Ambiente des minimalistisch eingerichteten Cafés, dass wir sofort über den neuen schwedischen Aufräum-Trend "Death Cleaning" reden. Die Skandinavier, sagt Susannah Walker, wählen einen morbiden Namen und sorgen methodisch für Sauberkeit.
"Jeder, der ein Elternhaus entrümpeln musste, wird das 'Death Cleaning' für eine absolut brillante Idee halten. Aber diejenigen, die es wirklich nötig hätten, schaffen zu Lebzeiten garantiert keine Ordnung. Da hört man dann: Alles prima, ich mach das später und das heißt: Nie!"
Walker mäßigte ihre eigene Sammellust
Susannah Walker hat einen geschulten Blick und ein Faible für handwerklich perfekt gefertigte Dinge. Ihre eigene Sammellust lernte sie zu zügeln, weil sie kein "hoarder" werden wollte – so wie ihre Mutter, die sich von nichts trennen konnte. Sie hinterließ ein verschimmeltes Haus, das die Tochter wegen Einsturzgefahr in Begleitung eines Polizisten betrat.
"Ich habe verschiedene Stadien durchlaufen: Erst wollte ich nicht durch die Tür. Dann wusste ich nicht, wo ich überhaupt anfangen sollte mit dem Ausmisten. Ich holte Hilfe, bekam Panik, bat um noch mehr Hilfe und tauchte schließlich ein in die Geschichte hinter den gehorteten Dingen."
"Ich habe verschiedene Stadien durchlaufen: Erst wollte ich nicht durch die Tür. Dann wusste ich nicht, wo ich überhaupt anfangen sollte mit dem Ausmisten. Ich holte Hilfe, bekam Panik, bat um noch mehr Hilfe und tauchte schließlich ein in die Geschichte hinter den gehorteten Dingen."
Als die Autorin acht Jahre alt war, verließ ihr Vater seine Frau und zog mit drei kleinen Kindern fort. Susannah Walker sah ihre Mutter selten. Die Persönlichkeit der einst eleganten, fremd gewordenen Mutter, erschloss sie sich, indem sie die Hinterlassenschaft mit dem Blick einer Alltagsarchäologin sichtete und sich dabei auch gemeinsamer Vorlieben erinnerte. Beide Frauen waren passionierte Flohmarktgängerinnen und kamen stets mit vollen Einkaufstüten von Schnäppchenkäufen am Straßenrand nach Hause. Und beide kannten, so nennt es Susannah Walker, die Biografie jedes einzelnen Gegenstandes in ihrem Haushalt. Der literarische Bericht ist auch das Zeugnis einer nachgeholten Aussöhnung.
"Virginia Woolf verfasste den Roman 'Die Fahrt zum Leuchtturm' in der Hoffnung, danach nie wieder von ihrer Mutter zu träumen. Man wünscht sich, dass das Schreiben eine tiefgreifende Karthasis bewirkt, aber das ist eine Illusion. Was mir half, war die Suche nach Kohärenz in der Lebensgeschichte meiner Mutter. Ich verstand schließlich auch meine eigene Geschichte als Tochter besser. Im Leben meiner Mutter gab es erdrückend viel Traurigkeit."
Schrottkaufen gegen die Verlustgefühle
Lähmende Verlustgefühle kompensierten Mutter und Tochter durch das Hamstern kostbaren Porzellans und antiker Möbel. Susannah Walker bestellt noch einen Tee und freut sich, dass sie heute ihre Sammellust im Griff hat. Ihr Haus in Bath sei alles andere als ein exquisit gestylter Schrein. Sie ersteigert nur noch Grafik-Plakate aus der Zeit von 1945 bis 1960.
"Plakate sind toll. Wir verstauen sie in einer Kiste unter dem Bett. Als ich noch hinter China-Porzellan her war, hatten wir entschieden weniger Platz – und Geschirr ist schwer."
Susannah Walker kuratierte Design-Ausstellungen im Victoria-&-Albert-Museum und produzierte viele Jahre Fernsehsendungen über Kunst, Architektur und Lifestyle. Ihre Serie über die Versuche Sammelwütiger, zu Hause aufzuräumen, war ein Renner. Ihr Buch "Was bleibt" reflektiert die eigene Lebensgeschichte und ist zugleich eine intelligente Betrachtung der menschlichen Neigung, sich in Dingen zu spiegeln bzw. der eigenen Persönlichkeit durch den Erwerb seltener Objekte mehr Charisma zu verleihen. Wie sonst, fragt sie, lässt sich der Hype bei Auktionen um Kleider, Instrumente oder Alltagsgegenstände aus dem Besitz berühmter Leute erklären?
Anderthalb Zugstunden entfernt von London arbeitet Susannah Walker an ihrem nächsten Buch. Es kreist um das Leben des Rockmusikers Julian Cope, der in der Provinz lebt und Bücher über steinzeitliche Baudenkmäler verfasst.
Noch, meint Susannah Walker, interessiere sich außer ihr niemand für das Projekt, aber das werde sich im nächsten Jahr sicherlich ändern.
Gut gelaunt verlassen wir das Café und verabschieden uns auf den Vorplatz der Museumskirche. Susannah Walker nimmt den Weg über die Brücke Richtung Westminster und ich werde den Park des Erzbischofs durchqueren.