Ermüdende Welten
„Coming Society“ heißt die neueste Arbeit von Susanne Kennedy, die am Donnerstag Premiere in der Berliner Volksbühne feierte. Die Regisseurin steht für stark performatives Theater. Doch unser Theaterkritiker fand das Stück eher ermüdend.
Ein Totaltheater wünscht sich Regisseurin Susanne Kennedy, eines, von dem man vollkommen aufgesogen, und wie sie einmal in einem Interview gesagt hat, anschließend wieder ausgespuckt wird. Ein Ziel, dem sie jetzt in der Berliner Volksbühne wieder ein Stück näher gekommen zu sein scheint. "Coming Society" heißt der Abend, den sie zusammen mit dem bildenden Künstler Markus Selg gestaltet hat – als begehbare Installation und meditative Grenzerfahrung. "You’re the player" raunt eine der zahllosen Off-Stimmen dem Publikum zu, bevor es, vorbei am Lebensbaum aus Pappmaschee, durch ein esoterisch blinkendes Tor tritt und sich auf Entdeckungsreise begibt.
Nietzsche bei Kennedy
Die Drehbühne dreht sich, immer weiter und weiter, und auf ihr offenbaren sich Räume, Kammern, Nischen, bunt bedeckt mit Naturkitsch, Computerspiel- und Science-Fiction-Film-Ästhetik, sowie allerhand Versatzstücken alter Kulturen. Es zeigen sich Bäume im Wind und Pyramiden, Wirbelsäulen, Sanddünen und Inkubationszellen. Dazwischen: die Performerinnen und Performer (darunter Kate Strong und Thomas Wodianka) als mehr oder weniger leblose Avatare mit ungewaschenem Haar und starren, unangenehmen Blicken.
Masken tragen sie diesmal nicht, haben aber maskenhaft starr geschminkte Gesichter, lächeln irre entrückt und sprechen (wie immer bei Kennedys Arbeiten) Off-Texte, indem sie nur die Lippen bewegen, flüstern zum Beispiel das alte Nietzsche-Zitat: "Denn alle Lust will Ewigkeit."
Das ewige Spiel steht hier im Zentrum, das Überwinden des endlichen, leidenden menschlichen Lebens, eine Utopie des Künstlich-Seins inmitten einer provozierend ereignislosen Virtual-Reality, unterfüttert mit buddhistischer Philosophie und allerhand bedeutungsschweren Raunen und Atmen. Ums Geborenwerden und ums Sterben geht es – irgendwie und irgendwie auch nicht. Ums Menschsein und ums Gegenteil davon.
Selten ist man so unbeteiligt geblieben
Gespielt aber wird eigentlich fast gar nicht – und das Publikum ist alles, aber gewiss kein Player. Das große Modewort der Immersion geistert durch diese sterile Bühnenwelt, die Idee, des sich völlig Verlierens im künstlerischen Erleben. Selten jedoch ist man so unbeteiligt durch ein Theater-Gesamtkunstwerk gewandelt, selten so unberührt geblieben, mental wie körperlich.
Lang wird die Zeit, in der so wenig passiert und natürlich genau damit kokettiert wird. Wenn wir keine Menschen mehr sind, müssen wir auch nicht mehr unterhalten und auch nicht mehr intellektuell angeregt werden, dieser Zielpunkt der "Coming Society" ist aber – zum Glück – noch nicht erreicht. Deshalb wird man auch nicht aufgesogen und auch nicht ausgespuckt von dieser vom Leben abgekehrten tristen Performance. Man geht dann einfach irgendwann, berieselt und müde und mit der klaren Erkenntnis: Spiel geht anders.