Zwei Monstrositäten ineinander verzahnt
Die Schauspielerin Susanne Wolff bringt ihr erstes Theaterstück auf die Bühne. In Frankfurt verzahnt sie Rainer Werner Fassbinder und Mark Ravenhill. Zwei monströse Texte, vom Ensemble furios auf die Bretter gebracht - doch das funktioniert nur bedingt.
Bald fünf Jahrzehnte hat der Text auf dem Buckel – und niemand wird ernsthaft behaupten, dass "Katzelmacher", dem ersten Theatertext des späteren Kino-Meisters Rainer Werner Fassbinder dieses Alter nicht anzumerken wäre. Zuviel grober Holzschnitt ist im Spiel, wenn das grenzdebile Dorf in bayerischer Provinz Mitte der 60er Jahre den ersten Arbeitsmigranten vor Ort, einen Griechen, den die Dörfler wie zu Nazi-Zeiten beharrlich "Fremdarbeiter" nennen, aus unterschiedlichsten Motiven in den Tod hetzen – die Frauen verführt und abgestoßen von den eigenen amourösen Projektionen auf den schönen fremden Mann, die Männer mit all dem post- und schon wieder prä-faschistischen Gedankengut des Fremdenhasses infiziert, wie es auch die Gegenwart von AfD und Pegida prägt. Der Fremde mag wohl auch Männer – das macht ihn endgültig zum Opfer. Der Baseballschläger ist nicht weit.
Doch wie viel auch ganz alt und ganz neu zu sein scheint in diesem Inferno menschenfeindlicher Ignoranz – "Katzelmacher" ist und bleibt theatertechnisch eine Art Laubsägearbeit. Schwerst gestörtes Pöbel-Pack lässt sich hier zeichnen, sonst fast nichts. Wohl auch darum hat die Berliner DT-Schauspielerin Susanne Wolff für ihr Debüt als Regisseurin am Frankfurter Schauspiel den alten Fassbínder aktuell gerahmt – mit "Shoot", einer Szene aus der nur zehn Jahre alten Montage "Shoot/Get Treasure/Repeat" des politisch sehr angriffslustigen Briten Mark Ravenhill. Geht beides zusammen? Nur bedingt.
Vehemente Attacke auf das Publikum
Ravenhill liefert die schärfere Herausforderung: mit einer vehementen Attacke auf das Publikum. Das junge Ensemble in Wolffs Inszenierung tanzt zunächst modern, aber im Tütü zwischen den Gästen. "Achtung: Kunst und Verfremdung!" sagt das Bild – danach aber legt Wolff mit Ravenhill schmerzhaft realistisch los. Das Ensemble behauptet, dass gestern in der Vorstellung einer der ihren zusammengeschlagen wurde; und wer dabei gewesen sei, solle sich jetzt gefälligst melden…
Wie das? Nie ist ein Publikum auf Tag "danach" dasselbe. Auf dem Marktplatz funktioniert die Idee, im Theater definitiv nicht. Mit der völlig abstrusen Grundvoraussetzung aber treiben Wolff und die Dramaturgin Dagmar Borrmann Ravenhill ins Extrem – wer nicht aussagen "will", wird für vogelfrei erklärt; die Menge ruft zum "Brandmarken" auf – als wollte sie jedem, der nicht ihrer Meinung ist, den Judenstern anheften.
In der fordert Tat die spätere Witwe des Opfers mehr: den Scheiterhaufen für die Gebrandmarkten. Also Faschismus pur – und weil dieses "Wir sind das Volk"-Wutbürgerpack auch Abgeordnete hat, schließlich gar die Mehrheit, wird "Brandmarken" Pflicht zum bösen Ende.
Mit furioser Energie ins Spiel geworfen
Der alte Alptraum aus Fassbinders Zeit soll sich binden an Ravenhills neuen durch die Bühne von Anne Ehrlich. Aus der Volks- und Straßen-Szene am Anfang führt nämlich der Weg zu unseren Theaterstühlen durch eine Art Galerie. Bilder des Ensembles in älterem Outfit schauen von den Wänden herab, Erinnerungsbilder stehen davor… Sind das auf den Bildern die Ahnen der Massenhysterie von Populismus und Faschismus? Sind Fassbinders Dörfler die Kinder? Ravenhills Terror-Volk bestünde dann aus den Enkeln.
Viel Bemühen ist zu spüren, die beiden groben, ja monströsen Texte über Gewalt und kollektive Aggression zu verzahnen; ganz zueinander passen wollen sie aber nicht. Doch die Studierenden werfen sich mit furioser Energie ins Spiel, und Susanne Wolff zeigt viel Talent für die neue Rolle im Theatergeschäft. Auch Constanze Becker, einer der Stars im Frankfurter Ensemble, hatte ja hier schon debütiert als Regisseurin mit sehr jungem Ensemble – und wie sie hat sich auch Susanne Wolff neu bewährt: als Regisseurin mit sehr viel Ambition.