Frau Hannemann und das "System Hartz IV"
Inge Hannemann war Jobcenter-Mitarbeiterin und wurde suspendiert. Die Begründung: Sie habe zu wenige Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger verhängt. Im Petionsausschuss des Bundestages trägt sie heute ihre Forderung nach einer Abschaffung dieser Strafmaßnahmen vor.
Inge Hannemann lässt nicht locker. Ihr heutiger Auftritt vor dem Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags ist nur eine Etappe ihres Kampfes gegen das „System Hartz IV“, gegen die Sanktionen, mit denen all jene Arbeitslose rechnen müssen, die bei der Jobsuche nicht so mitmachen, wie es der Gesetzgeber vorsieht.
Vor einem Jahr wurde Inge Hannemann von ihrer Stelle als Arbeitsvermittlerin in einem Hamburger Jobcenter suspendiert. Die offizielle Begründung: als Sachbearbeiterin hätte sie das Hartz IV-Sanktionsinstrumentarium nicht ausgeschöpft und damit gegen Vorschriften verstoßen. Aufgestoßen ist ihrem Arbeitgeber aber wohl vor allem die Schärfe, mit der Hannemann in ihrem Internet-Blog die Regelungen der Jobvermittlung kritisiert.
Inge Hannemann: "Das ist jetzt die offizielle Startseite. Im April 2012 habe ich angefangen. Und wenn man sich das Archiv mal so durchguckt, dann sieht man, wie ich immer schärfer werde von der Argumentation und auch kritischer. Auch die Wortwahl einfach immer schärfer wird."
Im Jobcenter Hamburg war sie schnell isoliert. Die sportliche Frau berichtet von den Anwürfen ihrer Kollegen, von ignoranten Vorgesetzten, die ihre Kritik nicht hören wollten. Also musste sie andere Töne anschlagen, in ihrem Blog – so wie in ihrem Eintrag vom 19. Februar 2013.
Inge Hannemann: "Das ist ein Offener Brief an die Bundesanstalt für Arbeit: 'Sehr geehrte Bundesagentur für Arbeit! Wie viele Tote, Geschädigte und geschändete Hartz-IV-Bezieher wollen Sie noch auf Ihr Konto laden? Wie viele Dauerkranke, Frustrierte und von subtiler Gehirnwäsche geprägte Mitarbeiter wollen Sie in Ihrem Konstrukt 'Jobcentermaschine' durchschleusen?"
Viele Kollegen gingen auf Distanz, das Klima wurde rauer. - Gegen ihre Suspendierung klagte sie vor dem Hamburger Arbeitsgericht. Im Februar wurde die Klage abgewiesen. Hannemanns Anwalt hatte bewusst Fristen verstreichen lassen, um in einem neuen Verfahren Hannemanns inhaltliche Hartz IV-Kritik einfließen zu lassen. Im ersten Prozess war der Richter nur auf die formalen Gründe der Suspendierung eingegangen.
Hätte sich doppelt so viel Zeit genommen
Am Esstisch ihrer blitzsauberen Wohnung erklärt Hannemann, was sie antreibt. Und dass sie den Unmut der Kollegen über ihre wütenden Briefe natürlich verstehen kann. Immerhin hat sie nicht nur das Hartz-IV-Regelwerk im Visier, sondern auch das Verhalten der Sachbearbeiter:
Inge Hannemann: "Ich habe auch ganz, ganz liebe nette Kollegen – das muss man auch mal gesagt haben! Aber viele Jobcenter-Mitarbeiter sind gestresst, die stehen unter Druck aufgrund des Arbeitsaufwandes. Und lassen das leider auch sehr an den Betroffenen aus."
Sie selbst hätte sich für ihre Kunden doppelt so viel Zeit genommen wie ihre Kollegen. Nicht irgendein Jobangebot gemacht, sondern immer nach wirklich passenden Tätigkeiten gesucht. – Die so genannten "Handlungsempfehlungen und Geschäftsanweisungen", kurz HeGas, nach denen sie sich im Jobcenter richten musste, seien ein viel zu starres Korsett. Viel zu oft passten arbeitssuchende Menschen eben nicht in die HeGas-Welt. Sie erinnert sich an eine junge Frau, die bei ihr saß: mit viel Erfahrung im Hotelgewerbe und dem Traum von einem Leben in Spanien.
Inge Hannemann:"Nach den HeGas hätte ich ihr sofort ein Stellenangebot geben müssen in eine sozialversicherungspflichtige Arbeit. Ob es jetzt zu ihr passt oder nicht. Das hätte ich ihr im Grunde genommen geben müssen. Immer, jede Woche, solche Vermittlungsvorschläge. Das habe ich nicht getan! Stattdessen habe ich mit ihr wirklich über Wochen, Monate erarbeitet: wie kommt diese gute Frau nach Spanien? Dann, nach einem Jahr, hatten wir's!"
Politische Unterstützung bekommt Inge Hannemann vor allem von der Linkspartei. Vor zwei Wochen verlieh ihr die Partei für ihr Engagement den "Clara Zetkin-Preis". Im kommenden Jahr, wenn in Hamburg gewählt wird, bewirbt sie sich für die Partei um einen Sitz in der Bürgerschaft. Für die Etappe auf ihrem Kampf gegen das "System Hartz IV".