"Das Ziel muss sein, dass wir ein europäisches FBI bekommen"
Hat die slowakische Regierung Verbindungen zur Mafia? Nach dem Mord an dem Journalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten steht dieser Verdacht im Raum. Eine EU-Delegation soll deshalb die Ermittlungen vor Ort überprüfen. Europa habe zu lange weggeguckt, sagt Grünen-EU-Abgeordneter Sven Giegold.
Ute Welty: Der Mord an Jan Kuciak und an seiner Verlobten bewegt die Slowakei und auch die europäische Union, die heute die Fragen umreißt, die eine Delegation in Bratislava klären soll. Nach wie vor besteht der Verdacht, dass die slowakische Regierung womöglich illegale Geschäfte der italienischen Mafia deckt. Und bereits vor fünf Monaten ist die Journalistin Daphne Galizia auf Malta bei der Explosion einer Autobombe getötet worden. Galizia hatte wie Kuciak in Zusammenhang mit den sogenannten Panama-Papers recherchiert, die immer wieder nahelegen, dass sich gewählte Regierungen an der Grenze zur Legalität und darüber hinaus bewegen. Wie jetzt in die Slowakei entsendete die EU auch eine Delegation nach Malta, Sven Giegold, angehörte, EU-Abgeordnete der Grünen. Guten Morgen, Herr Giegold.
Sven Giegold: Guten Morgen!
Ute Welty: Ob jetzt Malta oder jetzt die Slowakei, was kann ein EU-Delegation mehr erreichen, als das, was die polizeilichen Ermittler ohnehin und hoffentlich schon tun?
Sven Giegold: Was wir in Malta erlebt haben und was sich auch in der Slowakei wiederholt ist, dass viele der Demonstranten befürchten, dass eben nicht ordentlich ermittelt wird. Das bedeutet, dass vielleicht die Täter für die Morde gesucht werden, so wie jetzt in Malta, wo drei Personen verhaftet wurden und denen dann der Prozess gemacht wird. Aber worum es ja eigentlich geht, sind die kriminellen Machenschaften, über die die ermordeten Journalisten recherchiert haben. Und der Aufklärungswille ist da eben gering, wenn Regierungsmitglieder dort einbezogen sind. Und deshalb braucht es hier den Druck sowohl der Proteste auf der Straße als auch den politischen Druck der Partnerländer. Und dieser politische Druck der fehlte auch in der Slowakei, denn die Ausfälle von Herrn Fico sind ja nicht neu und da muss sich auch die sozialdemokratische Parteienfamilie als Ganzes fragen, wann sie sich endlich klar und eindeutig distanziert.
Korruptions-Hinweise wurden ignoriert
Ute Welty: Und wie haben Sie auf Malta dann Druck aufbauen können? Was hat das konkret bedeutet?
Sven Giegold: Wir sind ja immer noch nicht fertig. Wir haben dort Gespräche geführt, wir haben festgestellt, dass Staatsanwaltschaft und Polizei den Hinweisen auf Korruption und Wirtschaftskriminalität in aller Regel nicht ernsthaft nachgegangen sind, dass stattdessen Daphne Galizia mit dem Leben bezahlt hat, dass sie diese Dinge veröffentlicht hat. Wir haben einen Bericht geschrieben über die Reise mit Forderungen, was sich in Malta ändern soll. Darauf sind maltesische Regierungsmitglieder ins Europaparlament gekommen, um sich zu rechtfertigen. Und dieser Prozess läuft. Und auch die EU-Kommission steht unter Druck, in Malta für Änderungen zu sorgen, denn wir können nicht hinnehmen, dass die Rechtsstaatlichkeit nicht vollständig eingehalten wird.
"Europa hat zu lange weggeguckt"
Ute Welty: Welche Verbindungen vermuten Sie zwischen den Mordfällen auf Malta und in der Slowakei? Und welche Schlüsse ziehen Sie daraus?
Sven Giegold: Wir wissen ja nicht genau, wer die Hintermänner sind. Aber eines ist offensichtlich, dass sowohl in der Slowakei als auch in Malta organisierte Kriminalität vor Ort präsent ist und nicht davor zurückschreckt, Gewalt und Mord anzuwenden. In Malta gab es weitgehend unbeachtet eine ganze Reihe von Bombenanschlägen auf Autos, also eine ganze Serie von Anschlägen dieser Art. Und Europa hat zu lange weggeguckt, dass die Kriminalität längst grenzüberschreitend agiert. Auch in Deutschland haben wir eine wachsende Präsenz der Mafia. Aber unsere Strafverfolgungsbehörden sind nach wie vor national. Wir haben zwar jetzt in Zukunft eine europäische Staatsanwaltschaft, der die Slowakei beigetreten ist, aber leider nicht Malta – und diese europäische Staatsanwaltschaft kann, immer wenn europäische finanzielle Interessen berührt sind, ermitteln. Aber sonst nicht. Letztlich müsste das Ziel sein, dass wir ein europäisches FBI bekommen, dass tatsächlich grenzüberschreitend Kriminalität verfolgen kann und nicht nur in einigen Sonderfällen.
"Wir können rechtsfreie Räume nicht länger dulden"
Ute Welty: Die Chancen, so ein europäisches FBI zu bekommen, sind doch relativ gering, oder? Wenn nicht gar unmöglich.
Sven Giegold: Das weiß ich nicht. Europa kann stark sein. Und es ist immer wieder ein Streit da, ob Europa stark oder schwach gemacht wird, aber die Europawahlen sind ein hervorragender Moment, um diese Diskussion zu führen: Sind wir tatsächlich bereit, grenzüberschreitend in Sicherheit zu investieren? Und wir können rechtsfreie Räume nicht länger dulden. Das gilt übrigens auch im Internet, wo bestimmte Formen der Kriminalität sich über Steueroasen und Drittländer, die es mit Datenschutz und unseren Regeln nicht so ernst nehmen, verbergen, und dann weitgehend tatenlos zugeschaut wird. Und wir wollen ein Europa, in dem gemeinsame starke Institutionen zum Beispiel der organisierten Kriminalität, aber auch anderen Formen von Rechtsbrüchen, die Stirn bieten.
Abschreckende Wirkung auf andere Journalisten
Ute Welty: Es gibt nicht wenige Beobachter, die sehen angesichts solcher tödlicher Übergriffe die europäische Pressefreiheit ernsthaft in Gefahr. Teilen Sie diese Einschätzung?
Sven Giegold: Tja, in manchen Ländern offensichtlich. Denn das ist ja klar und das haben wir in Malta auch von anderen Kollegen gehört, dass sich natürlich dann andere Journalisten Gedanken machen: Was kann ich noch sagen? Kann ich noch alles auf meinen Blog stellen oder veröffentlichen? In Malta hat es allerdings erstmal zu einer Gegenreaktion geführt, es hat mehr kritischen Journalismus darauf hin gegeben. Aber auf andere Kollegen hat das sicherlich eine solche Wirkung. In ganz Osteuropa sind vor diesem schrecklichen Doppelmord in der Slowakei im Grunde seit dem Fall der Mauer keine Journalisten mehr getötet worden. Und natürlich wirkt das abschreckend. Und das dürfen wir nicht hinnehmen.
Ute Welty: Der Grüne EU-Abgeordnete Sven Giegold im Studio-9-Gespräch. Heute entscheidet man in Brüssel darüber, welche Fragen die Delegation klären soll, die nach der Ermordung des Journalisten Jan Kuciak in die Türkei fliegt. Herr Giegold, haben Sie herzlichen Dank!
Sven Giegold: Gerne.