Svenja Flaßpöhler über ihr Buch "Sensibel"

Ohne Zumutung keine Erkenntnis

19:37 Minuten
Svenja Flaßpöhler sitzt in einem Sessel auf einem Podium.
Grundsätzlich sei es ihr Ziel, zu irritieren und aus ideologisch geführten Debatten herauszutreten, um sie von allen Seiten kritisieren zu können, sagt Svenja Flaßpöhler. © picture alliance / dpa / Christoph Hardt / Geisler-Fotopre
Moderation: Christian Rabhansl |
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In ihrem neuen Buch zeichnet die Philosophin Svenja Flaßpöhler die Entwicklung menschlicher Sensibilität nach. Dabei spannt sie einen weiten Bogen, geschichtlich wie philosophisch. Ihr Fazit: Zu viel Sensibilität schadet der Erkenntnis.
Svenja Flaßpöhler ist Philosophin und Publizistin mit einem ziemlich guten Instinkt für gesellschaftspolitische Wespennester, in die sie auch gerne mal hineinpiekst. Das hat sie auf dem Höhepunkt der MeToo-Debatte mit ihrem Buch "Die potente Frau" getan, das macht sie auch jetzt mit ihrem neuen Sachbuch "Sensibel. Über moderne Empfindlichkeit und die Grenzen des Zumutbaren". Auf der Frankfurter Buchmesse haben wir mit ihr darüber gesprochen.Grundsätzlich sei es ihr Ziel, blinde Flecken aufzudecken, sagt Svenja Flaßpöhler. Aus diesem Grund habe sie auch ihr aktuelles Buch geschrieben. Sie kritisiert an den aktuellen Debatten über Identität, Politische Korrektheit oder gendersensible Sprache sowohl die verabsolutierte Resilienz, das heißt: das widerständige Abschotten und den sozialen Rückzug, als auch die verabsolutierte Sensibilität, also die Haltung, wonach sich die Welt der eigenen Verletzlichkeit anpassen muss. "Mir ging es vor allem darum, einfach mal herauszutreten aus diesen Grabenkämpfen", sagt sie.

"Sensibilität ist ein sehr ambivalentes Phänomen"

"Es gibt sehr ideologische Verhärtungen auf beiden Seiten. Die einen, die sagen: 'Ihr seid viel zu verletzlich, ihr seid so schwach, ihr seid irgendwie so mimosenhaft.' Und die anderen, die sagen: 'Nein, ihr seid viel zu hart, an eurer Sprache klebt Blut. Ihr müsst sensibler werden.' Und ich wollte mal gucken: Was ist das denn eigentlich: Sensibilität? Man entdeckt dann sehr schnell, dass Sensibilität ein sehr, sehr ambivalentes Phänomen ist."

Zu viel Sensibilität stehe der Erkenntnis entgegen, mahnt Flaßpöhler, denn:
Buchcover: "Sensibel: Über moderne Empfindlichkeit und die Grenzen des Zumutbaren" von Svenja Flaßpöhler
Sie wolle blinde Flecken in gesellschaftlichen Debatten aufdecken, sagt Svenja Flaßpöhler.© Deutschlandradio / Klett-Cotta
"Diese kommt eben nicht nur dadurch zustande, dass ich mich komplett in jemanden einfühle. Denken Sie an ein Gespräch mit einem guten Freund. Sie haben ein Problem, und er fühlt sich komplett in Sie ein und sieht im Grunde die Welt genauso wie Sie. Dann müssten Sie irgendwann sagen: 'Entschuldigung, diese Welt sehe ich ja selber.' Das heißt, ich will doch ein Stück weit, dass jemand von außen drauf guckt und mir sagt: Wie siehst du das denn? Und das hat natürlich immer in gewisser Weise eine leichte Härte, weil man versucht, die Person ein bisschen aus der Art, wie sie in die Welt hineingestellt ist, rauszuziehen – und darum geht es mir."
Das tut Flaßpöhler, indem sie die Lage eines heute lebenden modernen Mannes mit der eines Ritters aus dem 11. Jahrhundert kontrastiert. Sie beschreibt den langen Weg, den dieser Mann zurückgelegt hat. Die Entwicklung der menschlichen Sensibilität stellt Svenja Flaßpöhler dabei in einen philosophisch-geschichtlichen Zusammenhang.

Svenja Flaßpöhler: "Sensibel. Über moderne Empfindlichkeit und die Grenzen des Zumutbaren"
Klett-Cotta, Stuttgart 2021
232 Seiten, 20 Euro

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