Swetlana Alexijewitsch im Exil

Die Aussichten der belarussischen Opposition

08:20 Minuten
Swetlana Alexijewitsch lächelt in Richtung des Betrachters.
Ein vom Sowjetsystem hervorgebrachter Menschentypus verhindere Veränderungen in Belarus, sagt die Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch. © imago-images / SKATA
Gesine Dornblüth im Gespräch mit Eckhard Roelcke |
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Die belarussische Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch ist eine scharfe Kritikerin von Präsident Lukaschenko. Im Berliner Exil führt sie einen in Belarus gegründeten Diskussionsklub fort. Jetzt fand das erste Onlinetreffen stand.
Seit September lebt die belarussische Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch im Exil in Berlin. Die Literaturnobelpreisträgerin war vor ihrer Ausreise Mitglied im Koordinierungsrat der belarussischen Opposition. Schon dort betrieb sie einen Diskussionsklub.
Nun fand das erste Onlinetreffen statt, an dem der russische Politologe Artjom Schraibman und der belarussische Journalist Juri Drakachrust teilnahmen.
Die Journalistin Gesine Dornblüth war früher als Deutschlandradio-Korrespondentin in Moskau tätig und hat das Treffen verfolgt. Alexijewitsch sei es erst mal darum gegangen "einander nicht zu verlieren und sich zu unterstützen", sagt Dornblüth. Angesichts der fatalen Situation der belarussischen Opposition sei das verständlich.

Positive Agenda für die Regimegegner entwickeln

Alexijewitsch gehe es aber um mehr als Emotionen und Solidarität, sagt Dornblüth. "Sie hat früher in diesem Klub vor allem philosophische und literarische Debatten über Kunst und Kultur geführt. Damit sei es jetzt vorbei, sagte sie. Sie hat jetzt ganz klar einen gesellschaftlichen Anspruch. Es gehe darum, das Geschehen zu reflektieren und eine positive Agenda für die Regimegegner zu entwickeln."
Viele Künstler und Intellektuelle, die sich gegen das Regime gewandt hätten, seien in Haft. Einige seien im Exil und wer noch da sei, stünde unter Druck.
"Das Kulturleben scheint extrem eingeschränkt, es gab beispielsweise eine Ausstellung über die Arbeit belarussischer Ärzte während der Coronapandemie. Die wurde nach zwei Tagen geschlossen und den Organisatoren wurde vorgeworfen, sie würden Massenunruhen vorbereiten", sagt Dornblüth.

Kultur der Gewaltlosigkeit in der Opposition

Auch von der NGO Press Club Belarus, auf dem diese Debatte stattgefunden habe, seien mehrere Mitarbeiter verhaftet und angeklagt worden. Ein wichtiges Thema bei der Diskussion sei die Kultur der Gewaltlosigkeit der Opposition gewesen. Der Politologe Artjom Schraibman habe im Kontrast dazu von einem regelrechten Kult der Gewalt bei den Systemanhängern gesprochen.
"Es wurde auch die Frage diskutiert, ob man denn ein gewalttätiges Regime mit gewaltlosen Mitteln loswerden kann und ob ein Grund für das Scheitern der Protestbewegung im Herbst war, dass man eben nicht zum 'Palaststurm' aufgerufen hat und die eigenen Kräfte nicht bewaffnet hat. Schraibman sagte, dass solche Aufrufe wahrscheinlich sowieso nicht befolgt worden wären", berichtet Dornblüth.

Kein schneller Wechsel erwartet

Ein weiterer Grund für das bisherige Scheitern der Opposition sei der "rote Mensch", den Alexijewitsch in ihrem Werk und in ihrer Nobelpreisrede beschrieben habe, sagt Dornblüth.
"Es gibt glühende Anhänger des Systems, es gibt viele Gegner und es gibt eine 'graue Menge', wie Alexijewitsch sagt." Dass es keinen Generalstreik im letzten August gegeben habe, sei auch auf diese Masse zurückzuführen. Viele Menschen seien nicht bereit für Veränderungen.
"Die Teilnehmer der Diskussion heute waren sich einig, dass der Spalt in der Gesellschaft sehr tief ist, dass man sich aber dennoch bemühen müsse, die Lager auszusöhnen. Das ist auch etwas, bei dem Alexijewitsch mit ihrem Werk ansetzt. Das ist aber natürlich ein langfristiges Projekt. An einen schnellen Wechsel oder Abtritt Lukaschenkos, das wurde heute Abend deutlich, glaubt derzeit niemand."
(rja)
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