"Swingtanzen verboten - die Reichskulturkammer". Mit diesem Schild wird gern und oft das Vorgehen der Nazis gegen die Swingjugend illustriert. Man sieht das Schild in Fernsehdokumentationen, Filmen - und auch auf der Homepage von Deutschlandradio Kultur. So echt das Schild aussieht, ist es doch eine Fälschung. Der Swing-Experte Stefan Wuthe erklärte in unserer Sendung "Tonart", warum Redakteure trotzdem immer wieder drauf reinfallen.
Das Gespräch mit Stefan Wuthe zum Nachhören:
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Lustvolle Improvisation statt Gleichschritt
Im Dritten Reich rebellierten unangepasste Jugendliche mit Swing-Tanzveranstaltungen gegen die kulturelle Gleichschaltung der Nationalsozialisten. Diese ungezügelte Lebensfreude war den Nazis ein Dorn im Auge. Sie ließen die Jugendlichen verhaften.
Swing-Jugend – unter dieser Bezeichnung fasste die Gestapo die jungen Leute zusammen, die sich im Zweiten Weltkrieg für angloamerikanische Musik, Jazz und Swing, begeisterten. Schon in ihrem Äußeren grenzten sie sich von den gesellschaftlichen Leitbildern des Nationalsozialismus ab. Die Jungen ließen sich die Haare lang wachsen, trugen lange, weitgeschnittene Sakkos mit Karomuster und Schuhe mit Kreppsohlen – dazu den bei jedem Wetter mitgeführten Regenschirm. Die Mädchen trugen modische Faltenröcke und Seidenstrümpfe, lackierten ihre Fingernägel und schminkten ihre Lippen.
Swing-Jugendliche gab es in fast allen deutschen Großstädten. Eine Hochburg der Bewegung war Hamburg, wo die Kaufmannsfamilien traditionell enge Beziehungen zu England unterhielten. Vor allem an den humanistischen Gymnasien, Christianeum, Johanneum und Wilhelm-Gymnasium, aber auch an anderen höheren Schulen fasste die anglophile jugendliche Subkultur Fuß.
Die Swing-Kids machten aus ihrer Verachtung für die "Zwangs-HJ" und den Stumpfsinn des täglichen Drills keinen Hehl.
"Der Boy, das Girl, sie lieben den Hot und meiden die Meute stupider HJ", hieß es in einem Spottvers.
Das Gegenteil von reglementierter Bewegung
Man sprach sich gern mit englischen Vornamen an wie "Bobby" oder "Teddy", grüßte nicht mit "Heil Hitler", sondern mit "swing high, swing low", hörte Musiksendungen der BBC, kurzum: Man schuf sich eine jugendliche Gegenwelt, die sich dem totalen Herrschaftsanspruch der braunen Diktatur entzog.
Den Parteigängern des Regimes galten die unangepassten Jugendlichen als renitente Lotterbuben, die schräge Musik aus Übersee als schrilles Signal der "Überfremdung". Mehr noch als durch die heißen Rhythmen fühlten sie sich durch den ausgelassenen Tanzstil herausgefordert. So berichtete der HJ-Streifendienst über eine Tanzveranstaltung im Kaiserhof in Altona Anfang Februar 1940:
"Der Anblick der etwa 300 tanzenden Personen war verheerend. In Hysterie geratene Neger bei Kriegstänzen sind mit dem zu vergleichen, was sich dort abspielte."
Swing – das war das genaue Gegenteil der reglementierten Bewegung, war ungezügelte Lebensfreude, lustvolle Improvisation. Wer einmal vom süßen Rausch dieses Freiheitsgefühls gekostet hatte, der war für den Gleichschritt der Kolonnen verdorben. Deshalb begannen Gestapo und HJ die Treffpunkte der Swing-Jugend zu observieren.
Hochpolitische Angelegenheit
Im März 1940 stellten sie bei einer weiteren Tanzveranstaltung im Curio-Haus in der Rothenbaumchaussee die Personalien von über 400 Swing-Boys und Swing-Girls fest. Die Kartei mit ihren Namen diente als Grundlage für die nun einsetzende Verfolgung. Im Oktober 1940 wurden erstmals 63 Swing-Jugendliche verhaftet; ein Jahr später, im Herbst 1941 schlug die Gestapo ein zweites Mal zu. Inzwischen waren die Spitzen des NS-Staates auf die Hamburger Swing-Jugend aufmerksam geworden.
Am 18. August 1941 forderte der zuständige Referent im Propagandaministerium eine "Sofort-Aktion", um "eine weitere Verbreitung der Swing- und Hot-Seuche in Hamburg und über Hamburg hinaus zu verhindern und ihren schädigenden Einfluss auf andere Jugendliche zu unterbinden".
Goebbels stimmte zu. In sein Tagebuch notierte er:
"Das sind ja schöne Früchtchen, die sich da unsere reichen Reeder heranzüchten. Ich gebe der Gauleitung in Hamburg und der zuständigen Staatspolizei den Wink, hier einmal energisch durchzugreifen."
Swing-Anhänger in Konzentrationslagern
Was ursprünglich ein eher harmloser, anglophil versnobter Protest gewesen war, wurde nun zu einer hochpolitischen Angelegenheit. Anfang Januar 1942 sandte Reichsjugendführer Artur Axmann Berichte aus Hamburger Oberschulen an den Reichsführer-SS Heinrich Himmler. Dieser schrieb daraufhin am 26. Februar 1942 an den Chef des Reichssicherheitshauptamts, Reinhard Heydrich, jetzt müsse "das ganze Übel radikal ausgerottet werden. Alle Rädelsführer sind in ein Konzentrationslager einzuweisen. Dort muss die Jugend zunächst einmal Prügel bekommen und dann in schärfster Form exerziert und zur Arbeit angehalten werden."
Insgesamt wurden über 300 jugendliche Swing-Anhänger in Hamburg verhaftet, viele von ihnen schwer misshandelt und in Konzentrationslager verbracht. Die meisten der jungen Leute überlebten die Haft, wenn auch häufig mit schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Eine Entschädigung wurde ihnen nach 1945 verweigert, weil sie nicht als "politisch Verfolgte" galten.