Die Geburt als Popmusikmetropole
1966 war "Swinging London" eine Zuschreibung amerikanischer Medien, aber all die tollen, wilden Dinge waren zwar wahr, aber nicht mehr in dem Jahr. Davor allerdings waren die Beatles, die Stones und The Who explodiert und hatten einen Jugendkult ausgelöst, wie England ihn lange nicht mehr gesehen hatte.
In London, wo alles hinströmte, um mit dem Strom gegen den Strom zu schwimmen, brauchte man sich 1964 nur mal umdrehen und sah schon wieder eine neue geile Band, die schwuppsdiwupps gerade hinter deinem Rücken rausgekommen war - neben den Beatles, den Stones, den Kinks, den Animals und Manfred Mann: Und die zweite Reihe platzte förmlich aus den Nähten - mit Bands wie den Troggs, Spencer Davies Group, Small Faces.
Auf den Parties der In-Crowd fingen eigentlich harmlose Kapellen wie die Bluesrockband The Yardsbirds plötzlich an, die Melodien zu zertrümmern und gelegentlich auch die Gitarren - aber total cool dabei!
Exzentrik und Drogen
Cool sein war wichtig - wobei Coolsein in England immer auch die Möglichkeit einer gewissen Exzentrizität einschließt: Man konnte mit einem Nachttopf auf dem Kopf in der Gegend rumlaufen oder in fantastischen, mit Lametta aufgemotzten alten Uniformjacken oder im Ballet-Tutu, wie Marianne Faithful das manchmal tat (wenn sie nicht schwarzes Leder anhatte).
Die war 1966 19, ihren größten Hit hatte sie mit 17 gehabt, und sie war der Inbegriff des Swinging London (neben dem Mannequin Twiggy): supersüß, superschön plus Drogen, Rock'n'Roll und sexuelle Freiheit. Und wenn sie nicht mit ihrem Lover Mick Jagger untwerwegs war, spielte sie am Royal Court Theatre in Chelsea Tschechow.
Das mit dem Coolsein hatten übrigens die Mods angefangen: Die waren zwar seit 1964 in den Schlagzeilen, weil sich ihre Dumpfbackenfraktion in den südenglischen Küstenstädten wüste Schlägereien mit den Rockern lieferte, bei denen sie nicht nur die Strandpromenaden zerlegte. Aber eigentlich stand Mod für Modernist: für hier und jetzt: radikal gegenwärtig - und so, wie es mir gefällt!
Boomende Szene und ihre Anziehungskraft
Und deshalb sangen die britischen Bands der Mod-Zeit auch nicht mehr wie die Stones oder die Animals von der Route 66 oder dem Haus in New Orleans, das man The Rising Sun nennt - stattdessen sangen die Kinks über das arme Leben in der britischen Slum-Sackgasse und die Small Faces über das Getümmel auf den Brachflächen der Londoner Vorstädte.
Die boomende Szene der Stadt hatte Leute aus dem ganzen Land angezogen - Leute wie Donovan, der unschuldige, verkiffte Kinderreime sang; oder Tom Jones, der den schwärzesten Soul der Stadt brüllte; oder eine wie Sandie Shaw: dürr und kurzsichtig, sie traf die Töne nicht beim Singen, aber sie trat barfuß auf, und jeder sah ihre schrecklichen Hühneraugen, und alle mochten sie.
Andererseits gab es tolle Soul-Popsängerinnen wie Dusty Springfield, die sich mit Amphetaminen zuballern musste, um den Stress auszuhalten.
Herumlaufen und Zeit vergeuden
Und natürlich gab es die blühenden Subszenen von Spezialisten, die auch alle gern gehört wurden: Soulbands, Bluesbands, Folksänger, Novelty-Freaks und dazwischen die frühen Avantgarderocker, die den Pop ernst machten und die Tanzmusik zu den Sternen treiben wollten. Sogar die Beatles ließen sich anstecken.
1964 und 65 waren, wie der Rockchronist der Sechziger Nik Cohn es beschrieb: zwei fette Jahre ..., als man nichts anderes tat als herumzulaufen und Zeit zu vergeuden, neue Kleidung zu kaufen und viel fressen und endlos zu quatschen, als man dachte, man brauchte nie wieder in seinem Leben zu arbeiten.
Aber schon Ende 66 fingen Pink Floyd an, aufzutreten, und Jimi Hendrix zog nach London. Der Pop wurde kompliziert, und statt an Teenager richtete er sich jetzt an Studenten. Der Underground entstand, aber der englische Pop wurde wieder spießig.