Sybille Ruge: "Davenport 160x90"

Beschriftung durch Narben

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Das Buchcover des Krimis von Sybille Ruge. "Davenport 160x90". Es zeigt eine Stadtlandschaft, in der eine Person mit einer Tasche in der Hand geht. Die Person ist als Schattenriss gezeigt, das Bild ist in strahlendem Gelb koloriert. Das Buch ist auf der Krimibestenliste von Deutschlandfunk Kultur.
© Suhrkamp

Sybille Ruge

Davenport 160x90Suhrkamp, Berlin 2022

264 Seiten

15,00 Euro

Von Kolja Mensing |
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Zwischen korrupten Wirtschaftsanwälten, Kunstszene und Erfahrungsfundamentalisten: Sybille Ruge hat ihrem vielschichtigen Krimidebüt „Davenport 160x90“ einen Sound verpasst, in dem jeder Satz zum Baseballschäger werden kann.
Sonja Slanski ist 35, hat eine sternförmige Narbe unter dem rechten Auge und unterhält in Frankfurt am Main eine Inkassofirma mit dem schlichten Namen „Forderungsmanagement“.
Slanski kennt sich aus mit Versicherungsbetrug, Privatinsolvenzen und dem dazugehörigen breiten Spektrum an „Gier, Tricks und Falschaussagen“ - und sie ist bekannt dafür, Ansprüche robust durchzusetzen. Die passionierte Boxerin und bekennende Vollwaise legt beruflich und privat Wert auf „Eindeutigkeit“, „Konsequenz“ und „Klarheit“.
Doch dann steht eines Tages Luna vor ihrer Tür, eine Künstlerin, die sich als Freundin ihrer verstorbenen Mutter vorstellt und als „Art Escort“ arbeitet (also gegen Geld ältliche Kunstsammler dated). Kurz darauf wird Luna ermordet – und das Stahlbetongerüst von Sonja Slanskis Leben einem harten Stresstest unterzogen: „Mein Gehirn lief Amok“.

Sprachlich von Anfang auf Angriff


„Davenport 160x90“ setzt sprachlich von Anfang an auf Angriff. Die Autorin Sybille Ruge – Ex-Schauspielerin, Lyrikerin, Textilgestalterin – hat ihrer Protagonistin einen aggressiven Sound verpasst, in dem jeder Satz zum Baseballschläger werden kann.
Während Slanski sich auf die Suche nach Lunas Mördern macht und gleichzeitig versucht, eine Klientin aus den Fängen einer kriminellen Anwaltskanzlei zu befreien, teilt sie verbal hart aus: gegen lederbezogene Designklassiker in deutschen Chefetagen („verkniffener Sadismus“), gegen den Anglizismus „Learning“ (insbesondere in Gesprächen, die „eher wie eine originalgetreue Wiedergabe des Handelsblatts“ klingen) und gegen „Erfahrungsfundamentalisten“, die „einfach den Moment“ genießen wollen“ und ab 60 dann „Eichendorff lesen, Barockmusik gut finden und sich in enge Rennradklamotten“ zwängen.
Man ahnt, dass diese syntaktischen Attacken ein emotionaler Panzer sind – der Sonja Slanski nicht davor bewahrt, bei ihren Recherchen zwischen Rotlichtmilieu, korrupten Wirtschaftsanwälten und Kunstszene blutige Treffer zu kassieren: „Beschriftung durch Narben.“

Die gleichen Initialen wie Sam Spade


Endlich mal wieder ein Krimidebüt, das richtig Spaß macht – auch weil es auf mehreren Ebenen funktioniert: Sybille Ruge, die sich im Klappentext lustigerweise zu Heiner Müller bekennt, kombiniert in „Davenport 160x90“ die sprachliche Energie eines bösartigen Theatermonologs mit Arbeit an der Geschichte des Genres. Schon das schlichte Büro der Inkassofirma – der titelgebende Schreibtisch mit dem Namen „Davenport“ ist ein unansehnliches Sonderangebot aus dem Baumarkt – funktioniert als Reminiszenz an die ungastlichen Empfangsräume, in denen die Privatdetektive in den klassischen hardboiled-Romanen ihre Klienten bzw. Klientinnen empfangen.
Und es sicher kein Zufall, dass Sonja Slanski die selben Initialen trägt wie Sam Spade aus Dashiell Hammetts „Der Malteser Falke“ - und die gleiche – traditionell männlich gelesene - zerbrechliche Großkotzigkeit zur Schau trägt, die mehr zeigt, als sie verbirgt.
Dass Slanskis Schreibtisch und ihr trostloses Büro am Ende als Replikat zum Ausstellungsstück in einer Galerie wird, kann man als Hinweis dafür nehmen, dass „Davenport 160x90“ nicht nur als überraschendes Krimidebüt mit Knock-Out-Qualitäten, sondern auch als Kommentar zur Kunst des Kriminalromans gelesen werden möchte (und darf).