Symbolfreier Neubau

Von Marietta Schwarz |
Die "Topographie des Terrors" gehört zu den meistbesuchten Gedenkstätten in Berlin. Und das, obwohl das Gelände, auf dem sich während des Dritten Reichs die Zentralen der Gestapo und der SS befanden, seit fast zwanzig Jahren mehr einem Provisorium gleicht. Nach dem Scheitern des ersten Wettbewerbsentwurfs, der weitaus teurer als geplant wurde, ist inzwischen ein neuer Architekturwettbewerb entschieden.
15 Millionen Euro sind in den Märkischen Sand gesetzt, Sündenböcke verteilt, und der große Architekt ist auch vergrault worden. Doch die Bauaufgabe steht immer noch bevor. Da hat sich wohl Müdigkeit breit gemacht unter den Auslobern. Jede Diskussionsbereitschaft scheint erschöpft, jetzt soll alles einfach nur noch glatt gehen. Für einen reibungslosen Bauablauf aber - das scheint die Erkenntnis aus dem gescheiterten Zumthor-Entwurf zu sein - braucht man nicht den Künstler, sondern das Dienstleistungsunternehmen, oder wie der Jury-Vorsitzende Nikolaus Hirsch sich ausdrückte:

"Gebäude hat dienende Funktion, Gelände bedarf keiner baukünstlerischen Überhöhung, Voraussetzung Wirtschaftlichkeit"

Es ist also sicher kein Zufall, dass sich in diesem dritten Wettbewerb zur Topographie des Terrors an die Spitze der 309 beteiligten Architekten ein Büro setzte, das sich bisher im Krankenhausbau einen Namen gemacht hat. Schlicht, graumäusig kommt der Siegerentwurf von Ursula Wilms und Heinz W. Hallmann daher. Kultursenator Thomas Flierl:

"Wichtig für uns heute ist, dass wir den entscheidenden Schritt vorangehen, Ihnen ein Projekt zu präsentieren, von dem die Nutzer und die beteiligten öffentlichen Stellen davon überzeugt sind, dass es den Nutzungsanforderungen gerecht wird und dass wir ein Gebäude erhalten werden, dass dem Ort angemessen ist."

Die Architekten schlagen einen pavillonartigen Neubau vor, in dem der Besucher sich über die archäologischen Funde auf dem Topographie-Gelände informiert. Es ist ein eingeschossiges Gebäude, das stilistisch an die klassische Moderne anknüpft - ein vom Boden leicht abgehobener Flachbau, in dessen Sockel die wissenschaftlichen Einrichtungen untergebracht sind und in dessen Erdgeschoss sich der Besucherverkehr vollzieht - hier befinden sich Foyer, Veranstaltungssaal und Ausstellungsräume.

Ein lichtdurchlässiges Metallgewebe soll den Bau von außen geschlossen erscheinen lassen, gleichzeitig aber den Blick von innen nach außen ermöglichen. Ein bekanntes, ein bewährtes, etwas abgenutztes Konzept, das aber dem Gelände, wie gewünscht, nicht die Show stielt. Man habe die Spuren der Vergangenheit in den Vordergrund rücken wollen, so die Architektin Ursula Wilms:

"Die Architektur nimmt sich zurück, sie zielt nicht ab auf große Eigendarstellung, Interpretation. Sie ist nicht angelegt, darauf, ein Symbol zu sein für irgendetwas, ein Zeichen, sondern ein funktionaler Zweckbau, der Inhalte umhüllt. Das Wesentliche funktioniert ja bereits."

Das Wesentliche – damit meint Ursula Wilms die archäologischen Funde, die Mitte der 80er Jahre auf dem Gelände in direkter Nachbarschaft zum ehemaligen Reichsluftfahrtministerium in Berlins Mitte ausgegraben wurden. Es sind die Fundamente des Gestapo-Hauptquartiers mit Resten von Gefängnis- und Küchentrakten. Eben jene "Topographie des Terrors", die im Laufe der Zeit von der Natur überwuchert und von Menschenhand überformt wurde. Dem vorhandenen Gelände wollen die Architekten eine neue Schicht hinzufügen, erklärt Projektpartner und Landschaftsarchitekt Heinz W. Hallmann:

"Das Gelände soll einen steppenartigen Charakter erhalten, mit karger Vegetation. In dieser neuen Kies-Sand-Schicht werden die historischen Reste bewusst zum Vorschein gebracht. Die Gestalt der leeren Fläche bleibt nur durch dauerhafte Pflege, nicht durch Verwilderung, erhalten."

Fast in jedem der 23 zur zweiten Phase des Wettbewerbs eingereichten Entwürfe findet man jene Demut gegenüber den archäologischen Resten der Grabungsstelle, wie sie die Auslober wünschten. Ein grundsätzlich richtiger Ansatz, denn die Spuren sprechen oft mehr als die Pädagogik. Doch warum, fragt man sich, muss dann dem theoretischen Überbau in Form eines Gebäudes doch so viel Platz eingeräumt werden? Und: kann sich ein Neubau an einem historisch kontaminiertem Ort wie der Topographie des Terrors überhaupt in irgendeiner Weise "neutral" verhalten, auf die reine "Hülle" reduzieren? Nein, er kann es nicht.

Die Genialität des gescheiterten Zumthor’schen Entwurfs tritt gerade bei dieser Frage zutage. Denn auch der Schweizer Architekt stellte die Topographie ganz ins Zentrum seines Entwurfs. Sein 120 Meter langer Hallenbau sollte zwischen zwei vorhandenen Schutthügeln eine Schneise durch das Ödland schlagen und gleichzeitig den Zugang zu den Ausgrabungen durch das Gebäudeinnere überhaupt erst gewähren.

Architektonisch stark wurde sein Entwurf aber erst durch die Verschmelzung von Gebäudekonstruktion und -hülle. Ein Raster aus schmalen Betonträgern und -stützen mit dazwischen liegender Verglasung sollte die Ausgrabungsstätte überwölben. In den Worten des Architekten: "Statisch auf das Notwendige, von der Nutzung und Funktion her auf das Erwünschte und Brauchbare reduziert, fallen Konstruktion, Material und Erscheinungsform zusammen." Und erheben, möchte man hinzufügen, den Ort zu einem neu gestalteten, durch die Architektur verständlich gemachten Ganzen.

Dies ist dem Architekten auch anderenorts mehrfach gelungen. Eine Kunsthalle in Bregenz oder ein Therme im schweizerischen Vals geben ein Bild dessen, was auch in Berlin hätte möglich sein können. Doch Berlin hat sich diesen großen Wurf nicht leisten wollen, hat mitten im Entstehungsprozess die Notbremse gezogen. Was jetzt kommt, wird funktionieren. Mehr aber auch nicht.

Service:
Die Entwürfe des neuen Wettbewerbs sind noch bis zum 17. April 2006 im Berliner Martin-Gropius-Bau in direkter Nachbarschaft zum Topographie-Gelände zu sehen.