Was Buddhas große Ohren, sein Haardutt und seine Gestik bedeuten
Jeder buddhistische Sakralbau, jede Buddha-Figur ist überladen mit Symbolik. Sie gibt Einblick in wichtige Lehren der Religion - wenn man sie zu lesen weiß.
Im Garten des Tibetischen Zentrums in Hamburg steht ein rund drei Meter hohes, weiß angemaltes Stufengebilde. Es ist ein Stupa, wie er in vielen buddhistischen Klöstern und Tempeln zu finden ist - ein eng mit der buddhistischen Lehre verknüpfter Sakralbau.
"Der Stupa steht grundsätzlich für den Geist des Buddha", ...
... sagt Oliver Petersen, langjähriger Meditationslehrer am Tibetischen Zentrum in Hamburg.
"Nach dem Verscheiden des Buddha hat man einen Stupa errichtet mit Reliquien des Buddha an acht verschiedenen Stellen in Indien. Auf jeden Fall geht es ursprünglich auf eine Art Grabhügel zurück – hat dann aber eine äußerst komplexe Symbolik über den gesamten buddhistischen Pfad erhalten, so dass da das Spezifische des Buddhismus dann auch zu sehen ist. Zunächst ist da ein Fundament, ein quadratischer Unterbau, das ist quasi der Thron, der den Stupa trägt. Auf dem Unterbau sind Verzierungen wie Löwen, Blumen und Vajras angebracht."
Vajras sind ursprünglich Donnerkeile, die im tibetischen Buddhismus als Ritualgestände dienen. Wie alle Verzierungen haben sie eine Bedeutung.
Fünf Konzepte auf dem Weg zur Erleuchtung
"Die Löwen stehen für die Kraft und Furchtlosigkeit eines Buddhas, insbesondere die Schneelöwen, die als sehr kostbar und selten gelten. Die Vajras stehen für Unzerstörbarkeit und Untrennbarkeit. Das sind bestimmte tiefe Geisteszustände, aber es sind auch gute Omen dafür, dass der Lehrer lange anwesend bleibt und Buddhas Wirken weiter geht."
Auf dem Sockel des Stupa liegen fünf weitere viereckige Elemente, es folgt eine Halbkugel – wie eine Art Kuppel. Den Abschluss bildet ein viereckiger Stein gekrönt von einer Standarte mit stilisierter Sonne und Mond. Im Buddhismus werden die verschiedenen Bauteile mit einer komplexen Symbolik verknüpft. Die fünf Stufen stehen für verschiedene Konzepte auf dem Weg zur Erleuchtung.
"Die erste Stufe symbolisiert die zehn heilsamen Handlungen – das ist die grundlegende Ethik und darauf aufbauend geht es dann weiter mit einem Fries, der dann für die vier Arten der Achtsamkeit steht. Dann gibt es vier Arten der Tatkraft auf dem nächsten Fries. Dann gibt es vier Kräfte für Konzentration auf dem nächsten..."
Über die Inhalte können Buddhisten stundenlang philosophieren. Es gibt auch eine kosmologische Deutung, bei der die Bauelemente für Götterhimmel, Erde und Unterwelt stehen. Auf Buddhas Lehre bezogen symbolisiert die Kuppel die sieben Erleuchtungsglieder – also Tugenden wie Achtsamkeit oder Sanftmut, die man auf dem Weg zur Erleuchtung entwickelt. Die Achse darüber zeigt den Stufenweg der Erleuchtung an, den man in der Meditation durchlaufen muss. Am Ende dieses Prozesses steht die verwirklichte Buddhaschaft.
"Ganz oben auf dem Monument befinden sich noch Sonne und Mond als Symbol für Mitgefühl und Weisheit. Auf der Spitze gibt es noch eine Art Juwel, das den Abschluss bildet."
Gutes Karma ansammeln
Jeder Stupa ist aus den gleichen Elementen zusammengesetzt und enthält meist Reliquien wie Buddhabilder, Asche oder kleine Schriftrollen mit heilbringenden Mantras. Wer den Stupa im Uhrzeigersinn umrundet und so die Lehre Buddhas verinnerlicht, soll gutes Karma ansammeln, heißt es. Damit erhöht man seine Chancen auf eine bessere Wiedergeburt. Doch nicht nur der Stupa, auch jede Buddhafigur soll an die buddhistische Lehre erinnern. Selbst der Sockel unter dem Thron des Buddha steckt voller Symbolik: Das hier oft abgebildete Rad steht für seine Lehre. Ist das Rad von zwei Gazellen flankiert, soll an Buddhas erste Predigt nach seiner Erleuchtung im Gazellenhain von Sarnath erinnert werden.
"Für einen praktizierenden Buddhisten sind das Verehrungsobjekte, die nicht nur aufgestellt werden, weil sie schön sind, sondern wenn es korrekt geschieht auf einem Altar, vor dem man sogenannte Opfergaben darbringt, zum Beispiel jeden Morgen Wasserschälchen. Dann kann man Lichter entzünden, wie man das in der Kirche oft tut, Räucherstäbchen, Blumen hinstellen. Dann setzt man sich vor so einen Altar und macht seine Meditation.”
Im Unterrichts- und Meditationsraum des Tibetischen Zentrums in Hamburg sind eine Fülle von goldenen oder weißen Buddhafiguren und Bodhisattvas zu sehen. Während die Buddhafiguren entweder den historischen Buddha Gautama oder eine seiner Vorgänger-Erscheinungen darstellen, die alle die Erleuchtung erreicht haben, sind Bodhisattvas dem irdischen Leben verbunden – sie verzichten auf den endgültigen Eintritt ins Nirvana, um allen Lebewesen auf dem Weg zur Erleuchtung beizustehen. Zum Teil sind diese überirdischen Figuren nur durch besondere Attribute zu unterscheiden. Der Bodhisattva der Weisheit, Manjushri, hält ein Schwert zum Schlag ausholend in der Hand. Damit vernichtet er die Unwissenheit. Die andere Hand hält den Stengel eines Lotus, auf dem ein Manuskript liegt.
"Wichtig ist auch, dass ein Buddha nicht immer männlich sein muss. Die Buddhaschaft ist eigentlich ein Zustand jenseits von männlich und weiblich. Die kann sich mal männlich und mal weiblich zeigen."
Deshalb sind im Meditationsraum auch weibliche Bodhisattvas zu sehen, wie die grüne Tara, deren Namen auf ihre Körperfarbe zurückgeht. Sie wird stehend oder im entspannten Meditationssitz dargestellt, wobei ein Bein auf der Erde steht. Eine kostbare Krone schmückt ihr Haupt. Ihre Hände machen bestimmte Gesten: Die nach unten geöffnete gebende Hand deutet an, dass Tara Wünsche gewährt. Und ihre zum Gruß erhobene Hand besagt: Fürchte dich nicht.
Der Haarknoten symbolisiert Weisheit
Am häufigsten findet sich im Tibetischen Zentrum in Hamburg der Buddha im Yogasitz, in Meditation versunken. Die linke Hand ruht im Schoß, die rechte Hand berührt den Boden unter ihm – daran erkennt man den historischen Buddha Gautama, der in unserem Weltzeitalter lebte.
"Die sogenannte Erdberührungsgeste. Das hat damit zu tun, dass er die Erdgötter zum Zeugen nimmt, dass er es verdient hat, die Erleuchtung zu erlangen, dass er alle Hindernisse überwunden hat.”
Oben auf dem Kopf hat der Buddha eine Art Weisheitsauswuchs, dargestellt als Haarknoten. Bei thailändischen Buddhastatuen erhebt sich daraus eine Stichflamme – als Zeichen für die Erleuchtung. Typisch für den Religionsstifter sind auch seine verlängerten Ohrläppchen.
"Diese langen Ohren stehen dafür, dass er eben früher Schmuck hatte, aber er hat darauf verzichtet. Aber alles an Buddhas Körper ist symbolisch: Seine Robe, dass er Mönch ist, steht für Genügsamkeit. Seine Körperfarbe ist golden und so weiter. Alle Attribute, die er hat, stehen für bestimmte Eigenschaften seines Geistes. Und wenn man über den Buddha so meditiert, dann entwickelt man eher diese Eigenschaften. Und wenn man einen Buddha sieht, sammelt man gute Anlagen, sogenannte Verdienste, um selber ein Buddha zu werden."
Buddha wird meist stehend oder sitzend dargestellt. Liegende Buddhafiguren zeigen ihn nicht im Schlaf, sondern erinnern an den sterbenden historischen Buddha. Er geht liegend und meditierend endgültig ins Nirvana ein.
Die buddhistische Ikonographie, die sich in Indien entwickelt hat, ist bis heute in allen buddhistischen Schulen wiedererkennbar - vom Theravada in Sri Lanka oder Thailand bis zum Mahayana in Japan, China, Korea oder Tibet. Die Ausbreitung des Buddhismus in Europa könnte aber nach Einschätzung von Oliver Petersen auch Einfluss auf seine Bilderwelt haben:
"Vielleicht wird sich der Buddhismus in Europa langfristig ein bisschen anders ausprägen. Es könnte zum Beispiel sein, dass die Tempel weniger Bilder haben, weil bei uns ist sowieso schon viel los in der Außenwelt. Die Tibeter leben in einer wüstenartigen Umgebung, da hat man gerne viele Bilder im Tempel. Im Zen-Buddhismus hat man auch schon sehr viel weniger Bilder. Man hat allerdings auch eine Statue, aber es ist sonst recht schlicht. Da können Sie sehen, dass es im Weltbuddhismus immer schon verschiedene Ausprägungen gab."