Symbolischer Aktionismus

Von Gerwin Zohlen |
Der Beschluss der Bundesregierung, das Humboldtforum im Berliner Stadtschloss auf die fiskalische Streckbank zu legen, hat keinen laut hallenden Protest ausgelöst. Warum eigentlich nicht?
Im Grunde schien von Intention und Gesinnung her alles richtig gemacht worden zu sein. Das Humboldtforum soll neben einer von den Berlinern heftig frequentierten Bibliothek den außerordentlichen Sammlungsschatz der Humboldt Universität selbst, und zudem als Gegengewicht der abendländischen Kunst- und Kulturschätze auf der Museumsinsel die ebenso reichen Schätze der außereuropäischen Kulturen versammeln, die bislang im beschaulichen Dahlem gezeigt werden.

Gesinnungsethisch klingt das nach einer weltmeisterlichen Leistung der deutschen Kulturpolitik. Wer würde sich auch nur auszumalen wagen, dass China oder Japan ausgerechnet im Zentrum ihrer Hauptstädte ein Museum der außerasiatischen, also der europäischen Kultur einrichten?

Doch den Tonfall der zusammengebissenen Zähne wird man selbst bei Verteidigern dieses Projekts nicht überhören können. Schnell schleichen sich bei Gesprächen Zweifel, Skepsis und Ja-Aber-Formeln ein, ob es sich beim Humboldtforum tatsächlich um die Große Erzählung des wieder vereinten Deutschland handelt.

Und möglicherweise liegt der Schlüssel zur Erklärung dieses Phänomens eben doch in der Architektur. Denn es fällt beim Blick auf die nun schon 20jährige Debatte auf, dass die Architektur die Diskussion um Inhalt und Nutzung des Orts unziemlich dominierte. Zunächst war es das Pro und Contra von Palast der Republik und Stadtschloss der Hohenzollern, später die qualvolle Frage nach moderner Architektur oder den barocken Fassaden von Andreas Schlüter.

Tatsächlich geriet das öffentliche Nachdenken über den Berliner Schlossplatz schon bald nach seinem Beginn 1990 in den Sog einer Debatte, die unter dem Stichwort "Rekonstruktion" geführt wurde. In ihr ging es um architekturtheoretische und kulturhistorische Motive, um die Dresdener Frauenkirche ebenso wie um die Altstadt von Frankfurt am Main, um die Enttäuschung und den Unwillen der Bevölkerung, die sich die Zeugnisse der abstrakten, glatten, ‚kalten’ Architekturmoderne nicht mehr bieten lassen wollte. Es ging, kurz und knapp, um die delegitimierte Moderne der Architektur des 20. Jahrhunderts. Der Palast der Republik und das Stadtschloss der Hohenzollern führten darin ein Stellvertreterdasein und symbolisierten bloß das gute Alte oder schlechte Neue und andersherum.

Dass der Ort, der Berliner Schlossplatz hingegen der "nationale Gedächtnisort schlechthin" (Klaus Wagenbach) ist, geriet darüber weithin in Vergessenheit. Es wurde nicht mehr in politischer Argumentation über den den Deutschen gemeinsamen Ort ihrer Geschichte nachgedacht und im Vollzug der historischen Reflexion dann unter anderem auch die hierzulande immer noch heikle Frage aufgeworfen, wie mit der Erinnerung an Preußen zwischen militaristischer Pickelhaube und emanzipatorischer Aufklärung umzugehen sei.

Stattdessen wurde diskutiert, ob die zeitgenössische Architektur fähig ist, mit ihren Formen die kahlen Flächen in der Mitte Berlins zu füllen (W.J.Siedler). Unter der Hand wurde der Berliner Schlossplatz so zu einer Angelegenheit der Stadt Berlin, statt richtiger Weise auf dem politischen Niveau der bundesdeutschen Kulturnation verhandelt zu werden und wie diese mit der Wiedervereinigung umgeht.

Die Absicht der Regierung, am Humboldtforum zu sparen, ist noch lange nicht durch die parlamentarischen Hürden. Gegenwärtig scheint auch eher die Regierung selbst zu wackeln als ihre Sparprojekte. Gleichwohl bietet der symbolpolitische Aktionismus eine Chance, die Defizite der Planung auszugleichen und das Humboldtforum dann diesseits und jenseits seiner Architektur wirklich zu einem Ort aller Deutschen zu machen.


Gerwin Zohlen, Publizist, Architekturkritiker, Geb. 1950; Studium der Literaturwissenschaft, Historie und Philosophie in Heidelberg. Seit 1982 freier Autor und Publizist in Radio, Zeitung, Fernsehen, Buchverlagen.