Kent Nagano und sein Flashmob
Hunderte Laienmusiker, zahllose Sänger und dazu die Profis vom Deutschen Symphonie-Orchester - eine gewaltige Masse hat sich in Berlin zum "Symphonic Mob" getroffen. Zusammengeführt von einem gut gelaunten Kent Nagano brachten sie Bizet, Verdi und Wagner zum Klingen.
Nagano: "Können wir vielleicht ein unisono A von der Oboengruppe hören? Good luck! Ja, ja, ok. Es ist sehr gut! Es klingt ein bisschen wie Bienen jetzt so."
Gut gelaunt steht Kent Nagano vor rund 1.000 Musikern, die wie ein Schwarm Insekten in grün-gelben Neon-T-Shirts vor ihm erstrahlen. Das Stimmen dauert schon mal etwas länger - unter dem gläsernen Dach der Mall of Berlin am Leipziger Platz. 400 Laiensänger bilden Verdis Gefangenenchor und Wagners Pilgerchor. Unter den Instrumentalisten findet sich mit dem freiberuflichen Oboisten Matthias Hase ein Wiederholungstäter. Bereits zum zweiten Mal ist der über 50-Jährige mit dabei und hat seine Oboenschüler auf diesen Tag vorbereitet:
"Also die Herausforderungen werden erstmal sein, irgendwie mitzukommen, mit dabei zu sein und sich natürlich auch inspirieren zu lassen. Und dann geht es gar nicht so sehr darum, ob ich alle Noten richtig spiele, sondern eher so der olympische Gedanke: Dabei sein ist alles!"
Nagano: "Okay, Chor! Kompliment, es klingt wunderbar. Es ist nur ein Problem. Sie klingen so fröhlich."
170 Violinen und eine Bildhauerin, die auf Marmor schlägt
Strahlende Gesichter aus sämtlichen Richtungen sind auf Nagano gerichtet. Zudem tummeln sich bereits zur Generalprobe schaulustige Besucher auf den zwei Etagen der Einkaufsmall mit Smartphones und Spiegelreflexkameras ausgestattet. Neben den gängigen Orchesterinstrumenten in Überzahl - so gibt es etwa 170 Violinen und 80 Querflöten - sind auch eher unübliche "Klangerzeuger" im Orchester vertreten, wie der der Bildhauerin Elke Brinkkötter.
"Im Flamenco haben die früher damit angefangen, dass ein Schmied einfach seine Arbeit machte, also sprich ein Schmied schlägt Eisen und ich mache das gleiche auf einem italienischen Carrara-Marmor. Also das ist italienischer Marmor."
Für die Arbeit an den abfallenden Streicherbewegungen aus Wagners Tannhäuser greift Nagano auf eine seiner vielen Geschichten zurück, mit denen er immer wieder versucht, seine Vorstellungen möglichst gezielt und für alle verständlich zu vermitteln:
"Kann ich nur die ersten, zweiten Geigen hören? Die können nicht glauben, wie viele Töne sie haben. Und plötzlich hat die erste Geige gesagt oh dio, oh dio, dio. Also denken Sie an diese Worte und dann wird das zusammenbleiben. Okay? Also nochmal."
Kent Nagano hält die Meute im Zaum
Die Musiker, die am Symphonic Mob teilnehmen, sind zwischen 5 und 82 Jahre alt. Durch das Zusammenspiel mit den über 50 Profis des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin und durch die positive Probenatmosphäre zeigt sich der 18-jährige Bass-Posaunist Alexander Kodora - der mit seinem 14-jährigen Bruder am Projekt teilnimmt – glücklich:
"Also, der ist sehr lustig drauf. Ich hätte nicht gedacht, dass ein Topdirigent einfach so entspannt ist! Aber es hat Spaß gemacht und ich mache es nächstes Jahr auch wieder, bin auf jeden Fall mit dabei!"
"Das einzige Problem für mich: Ich sehe alle diese Damen im Bikini dort in diesen H & M-Videos. Diese Monitore mit schönen mediterranen Herren und Damen ohne Kleider ist sehr interessant zu sehen, hat aber etwas zu tun mit dem Inhalt von dieser Farandole. Es ist kein richtiger Marsch. Es ist eine Desperation. Der Herr verliert seinen Verstand, weil er eine schöne Frau liebt, wahrscheinlich eine schön Frau im Bikini dort."
Ist die dritte Ausgabe des Symphonic Mob schon während der Generalprobe gut besucht, treffen zum Konzert weitere Scharen ein. Die Bikini-Videos laufen unaufhaltsam im Hintergrund weiter. Die vier Stücke von Verdi, Wagner und Bizet nehmen ihren Lauf. Erstaunlich ist, wie gut das Konzert gelingt.
Natürlich wird regelmäßig etwas frei intoniert und rhythmische Spielräume werden großzügig ausgelegt. Dennoch schafft es Nagano, die Meute im Zaum zu halten, die Spielfreude zu bändigen, sodass alle Stücke durchlaufen können und das im Mittelpunkt stehen kann, worum es hier geht: der Spaß und das gemeinsame Erlebnis - oder wie der Oboist Matthias Hase es ausgedrückt: "Es war ein bisschen kalt, aber wir haben uns an der Musik erwärmt."