Warten auf die Unterschrift
Das Kontingent von syrischen Flüchtlingen soll auf 20.000 erhöht werden, so die Ankündigung der Innenminister. Doch bisher sind erst 5500 in Deutschland angekommen. Woran liegt das?
"Hallo, hier ist Mama." Aida Obied begrüßt ihre 18-jährige Tochter Maya. Die beiden telefonieren so oft wie möglich miteinander. Die Mutter stellt den Lautsprecher auf laut, damit ihre beiden Brüder mithören können. Zu dritt sitzen die syrischen Geschwister auf einem Sofa in der Drei-Zimmer-Wohnung ihrer Verwandten in Berlin-Neukölln und lauschen angestrengt, was Maya zu berichten hat.
Maya ist in Damaskus am Telefon.
Wie es ihr geht, will die Mutter wissen. Und den anderen Kindern und Verwandten? Die Tochter antwortet einsilbig. Erzählt, dass es heute nur Suppe zu essen gab. Aber die ganze Nacht wieder Bomben zu hören waren. Dann reißt die Telefonverbindung via Internet ab.
Aida Obied beißt sich auf die Lippen, unterdrückt ihre Tränen, tippt dann auf Wahlwiederholung. Seit Oktober ist die 44-Jährige mit ihren beiden Brüdern Mahmoud und Mosstafa in Berlin bei Verwandten. Amanda und ihr Mann haben sie aufgenommen. Die drei konnten auf abenteuerlichen Wegen fliehen und hier Asyl beantragen, aber ihre Familien sind in Syrien zurückgeblieben. Eigentlich sollten sie längst hier sein, schließlich nimmt Deutschland syrische Flüchtlinge auf, wenn sie hier Angehörige haben. Aber seit dreieinhalb Monaten passiert nichts. Die Mühlen der Bürokratie mahlen langsam, sagt ein Sprichwort. Aber hier geht es doch um Leben und Tod, antwortet Aida Obied und ringt um Fassung:
"Ich verstehe nicht, warum solch ein Bewilligungsverfahren so lange dauert. Dafür fehlt mir langsam jedes Verständnis. Natürlich sind wir Deutschland dankbar, dass sie Flüchtlinge aufnehmen. Aber in Syrien sterben jeden Tag Menschen. Kinder, Mütter, Väter. Warum also braucht es so lange mit einer Unterschrift? Wenn in dieser Zeit meinen Kindern etwas zustoßen sollte, wie kann ich das diesen Behörden jemals verzeihen?"
Familienzusammenführung kann von Deutschland aus beantragt werden, ein Visum für Syrer gibt es aber nur in der nächstgelegenen deutschen Botschaft. Für Maya, Aidas Tochter, bedeutet das: sie muss nach Beirut reisen. Kein einfaches Unterfangen. Im März steigt sie mit den anderen Familienmitgliedern in ein Auto und fährt von Damaskus in den Libanon, immer in der Angst, beschossen zu werden. Dann endlich auf der deutschen Botschaft erfährt sie: Weil sie schon 18 ist, passt sie nicht in das Programm "Familiennachzug". Sie gilt als Erwachsene. Wenn sie nach Deutschland will, muss die syrische Familie in Berlin Krankenversicherung, Lebensunterhalt und Wohnung bezahlen können, ein Einkommen von rund 2.000 Euro netto sollen sie nachweisen. Amanda schüttelt den Kopf:
"Wir könnten das machen, das geht aber leider nicht. Es ist schwer. Es ist schwer. Also diese Summe ist schwer. Wäre es vielleicht irgendwie leichter, nicht so hoch, dann ist das überhaupt kein Problem, dann kann man das machen, aber in dieser Höhe, nein das geht nicht."
Behörden sind offenbar überfordert
Das Kontingent für syrische Flüchtlinge in Deutschland wird verbal immer wieder erhöht, zuletzt auf 20.0000. Angekommen in Deutschland sind aber bisher nicht einmal 5500. Die deutschen Behörden sind offenbar überfordert. Es liegen 76.000 Visa-Anträge vor, die meisten davon stammen aus dem Libanon. Termine bei der Botschaft sind schwer zu bekommen. Amanda steht vom Sofa auf, geht zum Schreibtisch und klappt ihren Laptop auf. Auf dem Bildschirm erscheint die Website der deutschen Botschaft in Beirut.
Amanda Nassar: "Das wird nur online gegeben, also telefonisch gar nicht, man kann da anrufen, aber dann sagen die, tut uns leid, geht nicht, man muss online das machen. ... Hier, Visa zur Familienzusammenführung in Deutschland für Ehegatten, Verlobte, Kinder, Sonstige, Familienangehörige ... so jetzt ist das hier für die Termine. Natürlich ist keiner verfügbar."
Die Wartezeiten sind lang, der nächste freie Termin, der auf dem Bildschirm erscheint, ist der 8.Juli. Als Amanda den Termin für Maya gebucht hat, musste sie sogar zehn Wochen warten.
Mosstafa wirkt zermürbt. Der gelernte Polizist verbringt die meiste Zeit auf dem Sofa vor dem Fernseher und schaut die Nachrichten des arabischen Senders Al-Jazeera. So kann er seine dunkelsten Gedanken verdrängen. Trotzdem kommen sie immer wieder hoch:
"Irgendwie erträgt man das, aber es geht mir nicht gut. Jeden Tag hoffe ich, dass die Botschaft angerufen hat, dass es heute endlich klappt. Und wenn nicht heute, dann vielleicht morgen oder übermorgen. Aber am meisten Angst habe ich um meine älteste Tochter Mayyada. Sie ist schon volljährig. Was ist, wenn meine Frau und die drei jüngsten ein Visum bekommen, aber die ältestes nicht. Wir können sie doch nicht alleine dort lassen. Das geht doch nicht."
Mosstafa schaut seine beiden Geschwister an. Die erwidern seinen Blick. Das Einzige, was ihnen in diesem Bürgerkrieg geblieben ist, ist doch die Familie.