Syrien

Das Versagen der Weltgemeinschaft

Porträtbild von Ruprecht Polenz, dem ehemaligen Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages.
Ruprecht Polenz, der ehemalige Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages. © picture alliance / dpa / Fredrik von Erichsen
Ruprecht Polenz im Gespräch mit Korbinian Frenzel |
In Moskau verhandeln derzeit Oppositionelle und Vertreter des syrischen Regimes über einen Ausweg aus dem Bürgerkrieg. Für das Elend in Syrien gebe es einen Mitschuldigen, sagt CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz - und meint die Weltgemeinschaft.
Der Außenpolitiker und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde, Ruprecht Polenz (CDU), sieht die jetzige politische Situation in Syrien auch durch ein Versagen der Weltgemeinschaft begründet. Eine Einigkeit im Sicherheitsrat wäre seinerzeit die Voraussetzung für einen mäßigenden Einfluss auf die Konfliktsituation in Syrien gewesen, sagte Polenz im Deutschlandradio Kultur:

"Die Einigkeit hat es nicht gegeben, weil Russland und der Iran von Anfang an auf Seiten Assads waren. Und deshalb war die Weltgemeinschaft quasi wie gelähmt."
Die derzeit in Moskau stattfinden Syrien-Gesprächen zwischen Oppositionellen und Vertretern des Regimes böten möglicherweise Chancen, äußerte Polenz, auch langjähriger Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages. Allerdings sei die syrische Opposition schon im Vorfeld skeptisch gewesen:

"Weil sie die Sorge hat, dass es Moskau vor allem darum gehen könnte, Assad zu stärken. Und dass Moskau vor allen Dingen aus Sorge um Isis jetzt tätig geworden ist."
Al-Assad trägt die Hauptschuld am Elend
Es sei festzuhalten, dass Staatspräsident Baschar al-Assad und dessen Regierung die Hauptschuld an dem Elend in Syrien trügen, so Polenz:

"Er hat die Verantwortung für die Eskalation des Krieges, für die Brutalisierung, für die Auswegslosigkeit. Und ich teile die Einschätzung der syrischen Oppositionellen, die sagen: 'Mit diesem Mann kann es für Syrien keinen Neuanfang geben und gibt es wohl auch kein Ende des Konflikts.'"
Gleichwohl sehe er immer noch eine Alternative in der Stärkung derjenigen Kräfte, die ein friedliches Zusammenleben der Kräfte in Syrien wollten, betonte Polenz:

"Man muss sehen, dass eine Stärkung al-Assads nicht bedeutet, dass Syrien zur Ruhe käme."

Man habe gesehen, dass die andere Alternative, "entweder diese Länder totalitär, diktatorisch zu beherrschen oder es herrsche islamistisches Chaos, nicht die wirkliche Alternative ist". Erst die grausame Herrschaft von al-Assad habe schließlich zu der heutigen Situation geführt.

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Es ist die traurige Routine des Bürgerkriegs, die Syrien immer mehr aus den Schlagzeilen verschwinden lässt, die immer gleiche Abfolge der Nachrichten von Gewalt, das Gefühl einen Teufelskreis zu beobachten, aus dem keiner mehr rauskommt. In diesen Tagen gibt es vielleicht doch ein klein wenig Hoffnung, dass dieser Kreis zerbrochen werden kann: Gespräche in Moskau, bei denen Oppositionelle auf Vertreter des Regimes treffen. Wir sprechen gleich mit Ruprecht Polenz darüber, wie viele Chancen darin liegen mögen, wie viel Hoffnung in einer Situation, die eigentlich nur noch hoffnungslos ist. Erst mal aber ein Bericht unseres Korrespondenten Carsten Kühntopp über Jahr fünf des syrischen Bürgerkrieges (Audio).
Carsten Kühntopp mit einer düsteren Prognose. Dass es so nicht kommt, das ist das Ziel von Gesprächen, die seit Montag in Moskau stattfinden. Syrische Oppositionelle sprechen mit der ja bekanntlich Assad-freundlichen russischen Seite. Und sie sprechen heute auch mit dem Regime selbst. Wir sprechen darüber mit Ruprecht Polenz, Außenpolitiker der CDU und früher Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages. Guten Morgen!
Ruprecht Polenz: Guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Ich stelle jetzt eine Frage, auf die Sie wahrscheinlich pflichtgemäß mit Ja antworten, aber ich frage Sie auch gleich, wie ernst dieses pflichtgemäße Ja ist: Liegt in diesem Treffen eine Chance?
Polenz: Man kann das hoffen. Aber schon die Vorbereitung hat ja gezeigt, dass die syrische Opposition skeptisch bei diesem Versuch ist, weil sie die Sorge hat, dass es Moskau vor allen Dingen darum gehen könnte, Assad zu stärken, und dass Moskau vor allen Dingen aus Sorge vor Isis jetzt tätig geworden ist.
Frenzel: Ist diese Sorge berechtigt?
Polenz: Sie ist nicht von der Hand zu weisen, denn Moskau hat natürlich einmal das Interesse, dass Syrien nicht völlig auseinanderbricht, und zum anderen hat Moskau natürlich Angst auch vor Isis, denn bei ISIS sind eine Menge tschetschenische Kämpfer dabei, die nur deshalb jetzt nach Syrien gegangen sind, weil sie gesagt haben, wenn wir dort fertig sind, dann kommt ihr mit und helft uns gegen Russland.
Frenzel: Man könnte also sagen, das ist ein durchaus legitimes Interesse, das ein Interesse ist, das wir ja alle teilen, den Islamischen Staat zurückzudrängen. Was mich zu der Frage drängt, was bedeutet das mit Blick auf Baschar al-Assad? Brauchen wir ihn für eine Lösung?
Kämpfer der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) feiern die Rückeroberung Kobanes
Kämpfer der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) feiern die Rückeroberung Kobanes© picture alliance / dpa
Polenz: Ich denke, es ist ganz wichtig festzuhalten, dass die Hauptschuld an den Zahlen und an dem Elend, was wir gerade in dem Korrespondentenbericht noch einmal vor Augen geführt bekommen haben, Baschar al-Assad und seine Regierung trägt. Er hat die Verantwortung für die Eskalation des Krieges, für die Brutalisierung, für die Ausweglosigkeit.
Und ich teile die Einschätzung der syrischen Oppositionellen, die sagen, mit diesem Mann kann es für Syrien keinen Neuanfang geben und gibt es wohl auch kein Ende des Konflikts.
Frenzel: Das klingt nach einer hehren Position, die wir alle gern unterschreiben, und gleichwohl ist aber natürlich die Frage, was passiert dann? Wenn man Assad nicht ins Boot holt, bedeutet das wahrscheinlich, dass der Islamische Staat noch weiter um sich greift.
Stärkung Assads würde Syrien nicht befrieden
Polenz: Das muss es nicht heißen. Ich glaube, die Stärkung der Kräfte, die ein Syrien wollen, in dem die Ethnien friedlich zusammenleben, ist immer noch eine Alternative, und man muss sehen, dass eine Stärkung al-Assads nicht bedeutet, dass Syrien zur Ruhe käme. Wir haben ja auch gesehen, dass die Alternative, entweder diese Länder totalitär, diktatorisch zu beherrschen oder es herrsche islamistisches Chaos, nicht die wirkliche Alternative ist. Denn die totalitären Diktaturen, die grausame Herrschaft von al-Assad, hat erst zu der Situation geführt, in der wir heute sind.
Frenzel: Aber Sie haben ja im Prinzip, ohne es zu nennen, das ägyptische Beispiel schon genannt. Da haben wir ja genau die Situation, und da haben wir einen Westen, der sich letztendlich wieder auf die alten Machthaber im neuen Gewand eingestellt hat. Ist das für Syrien und damit auch für die Region vielleicht nicht die allerbeste Lösung, aber auf jeden Fall die bessere als das, was wir im Moment haben?
Es gibt nicht nur autoritäre Herrschaft oder islamistisches Chaos
Polenz: Ich halte auch vieles von dem, was gegenüber Ägypten stattgefunden hat, für außerordentlich problematisch. Als Mubarak gestürzt worden war, hat man sich geschworen, diese Erzählung - entweder autoritäre Herrschaft oder islamistisches Chaos - nie wieder zu glauben und auf diejenigen Kräfte zu setzen, die für etwas anderes stehen. Das hat man schnell wieder vergessen.
Ich halte das auf alle Fälle mittel- und längerfristig für einen Fehler, wenn wir zum Beispiel schweigen, wenn in Ägypten 500 Leute in einem Verfahren, das man nicht Gerichtsverfahren nennen möchte, zum Tode verurteilt werden. Das ist falsch.
Frenzel: Wie viel Verantwortung – wenn wir schon bei der Frage der Fehler sind – wie viel Verantwortung haben wir dafür, dass die syrische Opposition, die, die uns gefällt, heute so schwach ist? Haben wir sie in dem entscheidenden Moment nicht genug unterstützt, vor allem auch nicht militärisch unterstützt?
Die Kurden bilden die Bevölkerungsmehrheit im Norden Syriens. In einigen Städten im Norden des Landes hat die kurdische Partei der Demokratischen Union (PYD) die Macht übernommen. Die PYD ist der syrische Ableger der türkischen PKK. 
Kurden demonstrieren auf einer Straße in der nordsyrischen Stadt Qamischli.© picture alliance / dpa / Christophe Petit Tesson
"Problem der Uneinigkeit im Sicherheitsrat"
Polenz: Das kommt darauf an, wie Sie dieses "wir" definieren. Wir hatten von Anfang an das Problem der Uneinigkeit im Sicherheitsrat. Und eine Einigkeit im Sicherheitsrat wäre die Voraussetzung wahrscheinlich gewesen, um in dem Konflikt mäßigend von außen gemeinsam einwirken zu können. Die Einigkeit hat es nicht gegeben, weil Russland und der Iran von Anfang an auf Seiten Assads waren aus Gründen, über die wir reden könnten. Und deshalb war die Weltgemeinschaft quasi wie gelähmt.
Frenzel: Aber es hätte auch die libysche Lösung gegeben, dass der Westen sagt, wir pfeifen auf diese Blockade und unterstützen militärisch.
Ein libyscher Rebell steht am Samstag (02.04.2011) in Bengasi hinter seinem schweren Maschinengewehr. 02.04.2011
Libyscher Rebell mit Maschinengewehr© picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini
Polenz: In Libyen, das dürfen wir nicht vergessen, gab es eine andere Entscheidung des Sicherheitsrats. Dort hat man gesagt, zum Schutz von Bengasi, zum Schutz der Rebellen kann eingegriffen werden. Und das ist ja dann auch geschehen.
Es gab dann Streit, ob dieses Mandat zu weit ausgelegt worden sei, aber es gab ein Mandat des Sicherheitsrats. Bei Syrien gab es nicht mal Mandate in Richtung verschärfter gemeinsamer Sanktionen.
Frenzel: Heute das Syrien-Treffen in Moskau. Dazu im Gespräch war Ruprecht Polenz. Ich danke Ihnen dafür!
Polenz: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema