Syrien

Der vergessene Krieg

Zahlreiche Kinder sind von Krieg und Vertreibung in Syrien betroffen, das Welternährungsprogramm kämpft derzeit mit drei großen Krisen.
Kinder aus dem vom Bürgerkrieg geschüttelten Syrien © dpa / picture-alliance / Mika Schmidt
Gäste: Jörg Armbruster, Journalist, und Usahma Felix Darrah vom Verband Deutsch-Syrischer Hilfsvereine |
Noch vergangenes Jahr galt Syriens Machthaber Baschar al-Assad als so gut wie erledigt, doch nun scheint seine Wiederwahl sicher. Wer hat Interesse an seinem Machterhalt und wie geht es dem syrischen Volk wirklich? Zwei der Themen der Sendung.
Seit März 2011 herrscht in Syrien Ausnahmezustand. Der Aufstand gegen den Machthaber Baschar al Assad hat sich längst zu einem blutigen Bürgerkrieg ausgeweitet. Mehr als 160.000 Menschen sind gestorben, über 6,5 Millionen Syrer leben als Flüchtlinge im eigenen Land, etwa 2,5 Millionen sind in andere Staaten geflohen und leben in überfüllten Lagern zum Beispiel im Libanon oder der Türkei. Und das Töten und Vertreiben geht weiter.
Am 3. Juni sollen in Syrien Wahlen – oder das was Assad dafür hält – stattfinden. Wie kann es sein, dass Assad immer noch an der Macht ist? Wer hat welche Interessen an seinem Machterhalt? Was kann und soll der Westen tun?
"Die Wahl ist eine reine Farce", sagt der ehemalige ARD-Korrespondent für den Nahen und Mittleren Osten Jörg Armbruster. "Assad lässt sich bestätigen, es gibt keine ernst zu nehmenden Gegenkandidaten. Die Opposition ist nicht eingebunden, weil alle, die nicht mindestens die letzten zehn Jahre in Syrien gelebt haben, nicht mitmachen dürfen – und das ist undenkbar. Terroristen dürfen nicht aufgestellt werden, und alle Oppositionellen sind von Assad zu Terroristen erklärt worden."
Syrien ist "ein wichtiges Puzzlestück im Nahost-Konflikt"
Der Journalist kennt Syrien und die gesamte Region seit Jahrzehnten; bei einer seiner letzten Reportagen wurde er am 29. März 2013 im syrischen Aleppo beschossen und schwer verletzt. Seine Erfahrungen hat er in mehreren Büchern festgehalten, unter anderem in "Brennpunkt Nahost. Die Zerstörung Syriens und das Versagen des Westens".
Warum ist Assad nach all den Gräueltaten noch an der Macht? "Weil er gute Unterstützer hat, den Iran und Russland. Beide haben ein Interesse, dass er an der Macht bleibt und deshalb stützen sie ihn. Letztes Jahr dachten wir, dass er sich nur noch wenige Monate an der Macht halten könne, aber dann griff die Hisbollah in den Krieg ein, und das Kriegsglück wendete sich. Seitdem ist Assad wieder auf dem Vormarsch. Er hat Homs erobert, die einstige Hochburg der Rebellen, er hat Streit in die Opposition gebracht, dort herrscht Krieg im Krieg – und das hat Assad nochmals genutzt."
Syrien sei ein wichtiges Puzzlestück im Nahost-Konflikt, ein geschwächter Assad dem Westen vermutlich lieber, als eine Herrschaft der immer stärker werden extremistischen Kräfte im Land. Insofern könne er die militärische Zurückhaltung verstehen. "Was ich dem Westen vorwerfe, ist, dass er es versäumt hat, humanitär einzugreifen."
"Alle Syrer sind traumatisiert"
"Es gibt kaum einen Syrer in Deutschland, der nicht in einem Kreislauf aus Trauer, Wut, Depression gefangen ist", sagt Usahma Felix Darrah vom Verband Deutsch-Syrischer Hilfsvereine. "Alle Syrer sind traumatisiert. Die arabischen Medien zeigen ganz andere Bilder und Videoclips als hiesige Fernsehsender, das ist blanke rohe Gewalt. Was wir hier tun, ist helfen – aber es ist auch der Versuch, der Selbstberuhigung."
Der Sohn eines Syrers und einer Deutschen ist in Kanada und Deutschland aufgewachsen, hat in Heidelberg Politikwissenschaft, Öffentliches Recht, Islamwissenschaften und Philosophie studiert. Derzeit arbeitet er ehrenamtlich für den Ende 2013 gegründeten Dachverband, der die vielen einzelnen Hilfsaktionen der geschätzt 50 bis 80 Vereine in Deutschland bündeln soll. "Viele sind Ärzte und Pharmazeuten, die nach zwei, drei Jahren völlig erschöpft sind, weil sie nicht in der Lage sind, etwas in der deutschen Öffentlichkeit anzustoßen."
Der Verband versucht auch, die Situation der in Deutschland lebenden syrischen Flüchtlinge zu verbessern. "Anfangs wurden sie sehr gut verteilt, aber nun kommen die Probleme der Integration, der Schule, des dauerhaften Bleiberechts. Sie kamen nach Deutschland, und keiner dachte, dass sie länger als zwei oder drei Jahre bleiben würden – und jetzt kommen auch noch mehr. Und wie sollen die Flüchtlinge hier durch den Dschungel von Regeln durchblicken, der auch noch von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich ist?"
"Syrien – Der vergessene Krieg" Darüber diskutiert Dieter Kassel heute von 9:05 Uhr bis 11 Uhr mit Jörg Armbruster und Usahma Felix Darrah. Hörerinnen und Hörer können Fragen stellen unter der Telefonnummer 00800 2254 2254 oder per E-Mail unter gespraech@deutschlandradiokultur.de.
Mehr zum Thema