Die Lage ist "vielfältig katastrophal"
Christian Springer vom Verein Orienthelfer schätzt die Lage in Syrien als katastrophal ein. Im dritten Jahr des Konflikts schaue die Weltöffentlichkeit immer mehr weg, sagt der Kabarettist.
Ute Welty: Deutschlandradio Kultur mit der ersten Frühausgabe der "Ortszeit" im neuen Jahr, und eines hat sich leider 2014 so gar nicht geändert: Die Lage in Syrien ist nach wie vor katastrophal. Nach Angaben der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London sind bislang mehr als 130.000 Menschen in diesem Bürgerkrieg gestorben, und auch wer flüchtet, ist nicht sicher. So ist in einem libanesischen Flüchtlingslager eine Frau bei einem syrischen Helikopterangriff getötet worden. Das alles ist schon aus der Entfernung schwer zu ertragen, viel näher dran ist aber Christian Fonsi Springer, den die meisten als Kabarettisten kennen dürften und weniger als Orienthelfer. Guten Morgen!
Christian Springer: Guten Morgen aus Bayern!
Welty: "Orienthelfer" heißt der Verein, den Sie gegründet haben und der Sorge trägt für Flüchtlingslager zum Beispiel im Libanon und in Jordanien. Wie muss ich mir das Leben dort vorstellen?
Springer: Wir haben einen sehr, sehr starken Wintereinbruch, der schon lange vorhergesagt war, und es ist inzwischen so, dass fast jeder zweite Syrer – 20 Millionen Einwohner hat Syrien – fast jeder Zweite ist inzwischen auf der Flucht –
Welty: Zehn Millionen Menschen!
Springer: Fast, ja. Es sind unglaublich viele Kinder dabei. Wir gehen ins dritte Jahr, und die Weltöffentlichkeit schaut eigentlich immer mehr weg und tut immer weniger. Und das trifft die Flüchtlinge unglaublich hart. Wenn ich mich oft beschwere, dass auch Deutschland zu wenig tut, dann stimmt das nur zum Teil. Deutschland ist ein ganz großer Geldgeber für syrische Flüchtlinge. Über 200 Millionen Euro. Nur, umgerechnet auf die Anzahl der Flüchtlinge bedeutet das, dass Deutschland 75 Cent ungefähr pro Monat für einen syrischen Flüchtling ausgibt. Das sind zwei Flaschen Wasser, und das reicht hinten nicht zum Leben und vorne nicht zum Sterben. Also, man sieht, man muss hier ganz gewaltig anschieben, denn es geht nicht darum, sich für oder gegen Assad zu entscheiden. Es geht darum, humanitäre Hilfe zu leisten.
Welty: Was erleben Sie in den Lagern, wenn Sie die besuchen?
Springer: Ich komme seit inzwischen eineinhalb Jahren immer wieder und sage, schlimmer kann es nicht werden, und jedes Mal erlebe ich dann Dinge, wo ich sage, oh Gott, oh Gott, solche Bilder wollte ich meinen Lebtag eigentlich nie sehen. Die Situation ist so vielfältig katastrophal. Es gibt viele Verletzte; es geht darum, dass die Zivilisten ihre Kinder nicht mehr in die Schule bringen können. Ich habe jetzt vor zwei Tagen wieder einen Fünfjährigen gehabt, der konnte keine Farben. Der konnte zwar sagen, dass dieses Rot die gleiche Farbe ist wie dieses Rot, aber er wusste nicht, dass die Farbe Rot heißt. Also, es ist eine Riesenkatastrophe, und die Syrer selbst sagen, wir ziehen uns ein Volk heran, das völlig ungebildet ist. Syrien hatte Wissenschaftler, hochrangige, das war ja kein Volk, das irgendwo im Urwald in Afrika oder so herrschte. Es gab Universitäten, alles. Und alles, diese ganze Gesellschaft ist eigentlich zerstört. Und man muss hier sofort einschreiten, sonst hinterlässt man hier eine riesengroße Katastrophe.
Welty: Angesichts dieses Ausmaßes, was können Sie tun?
Springer: Ja! Wir tun nicht mal mehr den Tropfen auf den heißen Stein. Ich hab im Sommer Müllfahrzeuge hinübergeliefert nach Aleppo, denn eine Infektion ist ausgebrochen durch nicht weggeräumten Müll, bei 40 Grad im Schatten. Und dann hat mir der Oberbürgermeister gesagt, wir sind die zweitgrößte Stadt in Syrien, Aleppo, vier Millionen Einwohner. Wir haben noch zwei intakte Feuerwehrfahrzeuge. Und ich habe ihm versprochen, ich bringe einen Löschzug rüber. Das war im Juli, und ich konnte dieses Versprechen jetzt wahrmachen und am 30.12. des letzten Jahres, also gerade vor drei Tagen, ist ein Löschzug angekommen in Aleppo, von uns organisiert, mit sieben Feuerwehrfahrzeugen, zwei Krankenfahrzeuge, ein Lkw voller Hilfsgüter, alles gefüllt mit medizinischen Materialien. Und auch das ist wiederum viel zu wenig, denn die Feuerwehr vor Ort, die steht mit leeren Händen da, die haben kaum mehr Helme, die haben zerschlissene Uniformen. Auch wenn ein Reifen platzt, die haben keine Ersatzreifen mehr. Wir kämpfen und kämpfen, und es ist eine Schande, dass das ich als Kabarettist aus Bayern tun muss. Die Leute schreien, wo sind unsere arabischen Freunde, wo ist die UNO, die EU, wo ist die Welt? Wer hilft uns? Es bleibt niemand übrig.
Welty: Sie haben es gerade schon noch mal gesagt. Viele kennen Sie als Kabarettist, noch bis Februar unterwegs mit dem Programm "Jetzt reicht's! Leider nicht für alle". Und dann widmen Sie sich verstärkt diesem Thema, bei dem einem das Lachen einfach im Hals stecken bleiben muss, bevor es überhaupt begonnen hat. Wie passt das zusammen?
Springer: Ich hab als Kind viel zu viel Karl May gelesen und mich nie für Winnetou interessiert, immer für die Wüste. Diese Leidenschaft ist geblieben. Ich hab dann arabisch studiert, ich war über 30 Mal in Syrien, bevor dieser Krieg losgegangen ist, und so war es einfach eine Herzensangelegenheiten, dort zu versuchen, dann zu helfen. Ich dachte nie, dass das so lange dauern wird. Und diese andere Welt, in die ich komme, wenn ich aus dem Libanon oder aus Syrien wieder in München lande, das erstaunt mich schon immer wieder, und manchmal bin ich trotz des Stresses sehr froh – ich lande mittags, und hab nicht geschlafen die Nacht zuvor. Am Abend muss ich lustig auf der Bühne stehen, aber um diese zweite Welt bin ich sehr froh, weil das einfach noch mal den Kopf weitet. Und als Kabarettist gehöre ich ja auch nicht zu den Witzeerzählern, sondern hab da auch meine ernsthafte Seite. Insofern passt das ganz gut in mein Leben.
Welty: Im Vatikan kommen Mitte des Monats Syrienexperten zu Gesprächen zusammen. Am 22. soll dann die Friedenskonferenz in Genf stattfinden. Sind das Termine, die Sie mit irgendwelchen Hoffnungen verbinden?
Springer: Ja. Ich schiebe also meine ganzen Freunde an und sage, ihr müsst – meine syrischen Freunde –, ihr müsst da wirklich dabei sein, ihr müsst da positiv dabei sein, ihr müsst Ideen liefern, wie es weitergehen soll. Und es herrscht eine ganz, ganz große Angst, dass man sagt, das wird in die Geschichte eingehen einfach als Genf II und nicht als den Beginn eines Friedensprozesses, denn danach, sagen sie, da wird Genf III kommen und Genf IV und Genf V und Genf VI. Und inzwischen sterben tagtäglich Kinder, alte Leute, und die Welt schaut zu.
Welty: Was müsste denn Genf leisten?
Springer: Genf könnte in der allerersten Stunde sagen, es ist ab jetzt Waffenstillstand. Alle diese Politiker, und damit schließe ich alle ein, auch die syrische Opposition und den Assad und die Russen und die Iraner. Sie haben alle Hände, sie haben alle Smartphones, und sie können alle in Sekundenschnelle ihre entscheidenden Militärs anrufen vor Ort in Syrien – wenn ich sogar tagtäglich mit Aleppo telefonieren kann mit meinem alten Handy – man könnte innerhalb der ersten Stunde in Genf einen Waffenstillstand herstellen, wenn man das politisch will. Und das ist die große Hoffnung. Aber Sie wissen ja, wie es mit Hoffnungen eines bayerischen Kabarettisten ist – da ist es oft nicht weit her.
Welty: Christian Fonsi Springer, Kabarettist und Orienthelfer im Interview der "Ortszeit", das wir aufgezeichnet haben und für das ich recht herzlich danke! Viel Erfolg für Ihre Arbeit!
Springer: Ich bedanke mich fürs Zuhören!
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