Syrien

"Dieser Krieg kann noch Jahre dauern"

Moderation: Ulrike Timm |
Kann man den syrischen Bürgerkrieg mit dem 30-jährigen Krieg in Europa vergleichen? Ja, meint der Politikwissenschaftler Herfried Münkler. Im Interview beschreibt er viele Parallelen und erklärt, wie sich der Konflikt womöglich beilegen ließe.
Ulrike Timm: Die Syrien-Gespräche kommen nicht voran. Keine der Seiten bewegt sich, schon gar nicht aufeinander zu. Präsident Assad und die Opposition, beide beschwören sie ihre Opfer und ihre Täter, und die diplomatischen Versuche, die scheinen zu versanden. Der Konflikt wird inzwischen auf der weltpolitischen Bühne ausgetragen und er kostet jeden Tag Menschen das Leben. Rund hunderttausend Tote soll es in dem Bürgerkrieg nach vorsichtigen Schätzungen gegeben haben und Millionen Menschen sind auf der Flucht vor der Gewalt.
Ein Leitartikel der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vergleicht nun die verfahrene Gemengelage in Syrien mit dem 30-jährigen Krieg und geht damit ganz weit zurück. 1618 bis 1648 überzog dieser Krieg ja das damalige Mitteleuropa. Ist dieser Vergleich schlüssig? Darüber wollen wir reden mit dem Politikwissenschaftler Herfried Münkler, der zum Beispiel ein Buch veröffentlicht hat, "Die neuen Kriege", und untersucht hat, wie sehr Kriege in uralten Konflikten wurzeln. Schönen guten Morgen, Herr Münkler!
Herfried Münkler: Guten Morgen, Frau Timm.
Timm: Herr Münkler, das klingt erst mal verwegen, wenn der aktuelle Krieg mit dem jahrzehntelangen Gemetzel vor fast 400 Jahren verglichen wird. Ist da was dran? Wie sehen Sie das?
Münkler: Vergleichen heißt ja nicht, dass man gleichsetzt, sondern dass man Analogien bildet, um möglicherweise strukturelle Ähnlichkeiten herauszufinden, und da scheint, was dran zu sein. Jedenfalls unterscheidet sich dieser Typus von Krieg von vielen anderen zwischenstaatlichen Kriegen dadurch, dass zahlreiche Parteien sehr unterschiedlicher Art in ihn involviert sind und dass unterschiedliche Motive, nämlich, wenn Sie so wollen, konfessionspolitische, aber auch verfassungspolitische Motive eine Rolle spielen und obendrein äußere Mächte über Einfluss-Sphären involviert sind. Von daher könnte man vielleicht sagen, der 30-jährige Krieg ist der Prototyp eines unordentlichen, eines diffusen, eines durch vielerlei Gemengelagen ausgezeichneten Krieges, und das ist, glaube ich, ein guter analytischer Ansatz, um zu verstehen, warum Syrien so schwierig ist, auch im Hinblick auf die Herstellung von Friedensverhandlungen.
Timm: Das heißt, man verhandelt heute zugleich einen Religionskrieg, man verhandelt politische Mächte, die in diesen Krieg in Syrien involviert sind, und gleichzeitig trägt man auf dem Territorium von Syrien auch noch andere Konflikte mit aus?
Münkler: Ja. Die anderen Konflikte, die noch hinzukommen, sind eher verfassungspolitischer Art. Am Anfang ging es ja darum, dass eine höhere Partizipation und bessere Freiheitsrechte gewährleistet werden. Damit begann der Aufstand gegen das Assad-Regime, das sicherlich auch dadurch politisch verletzbar war, dass die Assad-Familie den Aleviten angehört und konfessionspolitisch dadurch in Syrien gegenüber der Mehrheit stigmatisierbar ist. Die Durchdringung beider Dimensionen führt dann natürlich auch dazu, dass unterschiedliche Unterstützer im Ausland mobilisiert werden können, also eine undurchsichtige Situation, bei der überhaupt nicht sichtbar ist, wo eine mittlere Kompromisslinie eigentlich liegen könnte.
Timm: War das im 30-jährigen Krieg eigentlich auch so, dass da Großmächte auf dem Rücken der Zivilbevölkerung gesamteuropäisch ihre Konflikte ausgetragen haben?
Münkler: Einerseits ja. Der Reihe nach intervenieren verschiedene Kräfte, um sicherzustellen, dass nicht die kaiserliche respektive katholische Partei die Oberhand gewinnt, erst die Dänen, dann die Schweden, schließlich sogar die katholischen Franzosen unter Kardinal Richelieu, aber nicht auf katholischer Seite, sondern letzten Endes für die Protestanten, um dem Hause Habsburg Paroli zu bieten. Dann kommen wieder machtpolitische oder balancetechnische Gesichtspunkte ins Spiel. Es kommt aber noch eins hinzu: Es sind nicht nur die großen Mächte im 30-jährigen Krieg gewesen, sondern irgendwann verselbständigte sich der Krieg und es entstand ein Söldnerwesen gleichsam als ein ökonomischer Zweig. Und was wir seit vielleicht 20 Jahren beobachten, ist die Bildung von so etwas wie internationalen salafistischen Brigaden, die zwischen Afghanistan und Algerien in solche Konflikte einsickern, und die sind jetzt auch da.
Timm: Und die Söldner des 30-jährigen Krieges wären dann in Syrien heute Iran und Saudi-Arabien, die dort mitkämpfen, und die Großmächte USA und Russland, die sich ja auch gegenseitig blockieren? Kann man das vergleichen oder wird das grenzwertig?
Münkler: Na ja, wenn Sie jetzt nicht im Detail das gleichsetzen, sondern mit einem gewissen großzügigen Modell der unterschiedlichen außenpolitischen Interventionen, Saudi-Arabien jetzt nicht unbedingt machtpolitisch, sondern sehr viel stärker unter Gesichtspunkten der Unterstützung einer bestimmten religiösen Auffassung innerhalb des Islam, während die USA und vielleicht auch die Europäer sehr viel stärker machtpolitische oder einflusspolitische Interessen haben, da kann man schon sehen, wie Analogien zu den Konstellationen von 1618 eine Rolle spielen, wo man ja auch sagen kann, na ja, dass die Bayern sich in den Konflikt um die böhmische Krone einmischen, das hat zwar einerseits natürlich auch mit dem Konflikt zwischen Katholizismus und Protestantismus zu tun, aber andererseits auch damit, dass die Bayern unbedingt die Kurwürde haben wollten, und das gelang ihnen auch nach der Schlacht am Weißen Berg.
Der Politologe Herfried Münkler
Der Politologe Herfried Münkler© picture alliance / dpa - Erwin Elsner
Timm: Ich möchte noch mal 400 Jahre voran ins heutige Syrien, Herr Münkler. Inwieweit spielen eigentlich historisch bedingt andere Mächte in diesem Land mit? Nach dem Ersten Weltkrieg wurde ja der arabische Staatenraum sukzessive wie auf dem Reißbrett entworfen. Legte man damit schon Konfliktlinien, die heute hochlodern?
Münkler: Ja, genau. Wir haben es hier mit postimperialen Räumen zu tun, Räumen, die relativ lange zum Osmanischen Reich gehört haben und nicht nach dem Modell von Territorialstaatlichkeit und auch nicht nach dem Modell von Nationalität geordnet waren, und 1916 verständigen sich der Brite Sykes und der Franzose Picot darauf, dass einerseits die Einflüsse der westlichen Entente dort hergestellt werden und andererseits ein Vorfeld von loyalen Monarchien konstituiert wird, und dieses Projekt geht eigentlich in den 20er-Jahren schon daneben.
Man kann sagen, dass im Prinzip der Raum bis heute weder gesellschaftliche Stabilität, noch eine politische Struktur gewonnen hat und jeder Konflikt hat den Charakter einer Implosion, und das hat zur Folge, dass er nicht lokalisierbar ist auf die scharfen zwischenstaatlichen Grenzen, sondern in der Gefahr steht überzugreifen. Das muss natürlich auch der dort intervenierende oder jedenfalls Verhandlungen anstoßende Westen bedenken, denn dann ist die Sache wirklich schlimm, wenn der Konflikt nicht auf Syrien begrenzt bleibt, sondern auf die gesamte Region übergreift.
Timm: Deutschlandradio Kultur, wir sprechen mit dem Politikwissenschaftler Herfried Münkler darüber, ob es sinnvoll ist, den derzeitigen Krieg in Syrien mit dem 30-jährigen Krieg im 17. Jahrhundert zu vergleichen. – Herr Münkler, nun haben Sie uns einige Parallelen beschrieben. Trotzdem: Die Waffen sind andere, niemand hatte im 30-jährigen Krieg Giftgas oder konnte eine Stadt wie Aleppo in Schutt und Asche bomben, es gab keine globalen Weltmächte, die im Syrien-Konflikt ja stets mit im Spiel sind. Wo kommt denn dieser Vergleich auch an seine Grenzen?
Münkler: Die Grenzen liegen nicht so sehr in den Fragen der Waffen und den Fähigkeiten. Der Untergang von Magdeburg durch die Belagerung von Tilly, den könnte man durchaus mit der Situation von Aleppo vergleichen, jedenfalls was die Leiden der Zivilbevölkerung anbetrifft. Die Grenzen liegen dort, dass wir wissen, wie der 30-jährige Krieg gelaufen ist und welche Risiken darin bestehen, dass man einen Konflikt nicht lokalisiert. Das wussten die damals in dieser Weise nicht. Das heißt, wir als politische Akteure bewegen uns auf einem Niveau, in dem wir durch Analogiebildung lernen können.
Und ich glaube, das ist auch der Zweck der Sache. Diese Analogien sollen jetzt nicht passförmig zeigen, okay, das war alles schon mal da, sondern dass wir beobachten, was damals die Schwierigkeiten waren, was damals an Fehlern gemacht wurde, dass wir auch begreifen, dass der Westfälische Frieden eigentlich ein Friedensprozess war - wir sagen immer Friedensschluss, aber die Parteien haben dort über Jahre verhandelt – und dass das größte Problem am Schluss die Demobilisierung der vielen Soldaten gewesen ist. Das, glaube ich, ist das entscheidende Problem. Wenn so ein Krieg so lange dauert, dann ist eine ganze Generation im Prinzip für eine friedliche Ökonomie verloren.
Timm: Der Friedensschluss, der den 30-jährigen Krieg beendete, das war ja auch einer aus der allgemeinen Erschöpfung heraus. Da saß eine andere Generation beisammen und letztlich wusste kaum noch jemand zu sagen, warum man überhaupt angefangen hatte, sich jahrzehntelang zu bekriegen. Sehen Sie eine ähnliche Entwicklung auf Syrien tatsächlich zukommen?
Münkler: Das können wir jedenfalls nicht ausschließen, denn im Augenblick ist nicht sichtbar, wie durch ein Übereinkommen, ein Übereinkommen, bei dem beide Seiten etwas von ihren Interessen nachlassen, ein Kompromiss, eine mittlere Linie gefunden werden kann. Es gibt im Hintergrund jeder Partei Gruppierungen, die auf eine schärfere Eskalation setzen, und deswegen kann dieser Krieg noch Jahre dauern.
Timm: Herr Münkler, danke für die Analyse und danke auch für den Hinweis vorhin auf die Zivilbevölkerung. Nun frage ich mich: Wenn man das alles analysiert, kann denn die Kenntnis der Parallelen wie der Unterschiedlichkeiten tatsächlich für die derzeitige Situation irgendwie hilfreich sein?
Münkler: Ja, ich denke schon. Ich meine, ein Verhandler, der heranginge an diesen Konflikt, als sei es ein klassischer zwischenstaatlicher Konflikt, der würde relativ schnell scheitern. Wenn man sich die Schwierigkeiten, die in Münster und Osnabrück den Parteien vorlagen, vor Augen führt – jetzt nicht im Detail, das ist uninteressant, sondern strukturell -, dann kann man vielleicht eine Vorstellung davon bekommen, worauf man achten muss und dass man vielleicht Hauptprobleme herausgreift, an denen man zuerst arbeitet, um auf diese Weise eine Hierarchie in der Abarbeitung der Konfliktdimensionen hinzubekommen.
Timm: Und was sagen Sie dem armen Vermittler der UN, Brahimi?
Münkler: Geduld zu haben. Geduld zu haben und auch ein Wissen zu haben, das entgegen dem, was die Presse und die Weltöffentlichkeit erwartet, nämlich einen schnellen Durchbruch, dass das, wenn es gut geht, Monate dauern wird, wenn nicht Jahre, dies zu verhandeln.
Timm: Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler zum Syrien-Konflikt und Parallelen, die er zum 30-jährigen Krieg in Mitteleuropa im 17. Jahrhundert zieht. Herzlichen Dank fürs Gespräch, Herr Münkler.
Timm: Bitte schön, Frau Timm.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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