Syrien

"Ein Scheitern der Friedenskonferenz würde Hoffnung auf Deeskalation zerstören"

Moderation: Gabi Wuttke |
Nicht nur die syrische Regierung, sondern auch die Rebellen missachten in Syrien das humanitäre Völkerrecht, beklagt der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes, Rudolf Seiters. Er fordert Zugang zu den umkämpften Gebieten und warnt gleichzeitig vor einem Scheitern der Friedenskonferenz - das "Gemetzel" dürfe nicht in ihrem Schatten einfach weitergehen.
Gabi Wuttke: Die Menschen in Homs sind wohl wieder auf sich allein gestellt, denn die Vereinten Nationen haben ihre Hilfslieferungen ausgesetzt, weil die vereinbarte Waffenruhe gebrochen und Hilfskonvois mit Lebensmitteln und Medikamenten beschossen wurden. Heute soll in Genf die internationale Syrien-Konferenz fortgesetzt werden. Immerhin, bis dato konnten einige Hundert der kranken und hungernden Bewohner aus Homs evakuiert werden. Mit dem syrisch-arabischen Roten Halbmond arbeitet das Rote Kreuz zusammen. Rudolf Seiters ist der Präsident der deutschen Sektion und jetzt am Telefon, einen schönen guten Morgen, Herr Seiters!
Rudolf Seiters: Schönen guten Morgen, Frau Wuttke!
Wuttke: Ein UN-Mitarbeiter wurde in Homs verletzt. Wie lauten denn beim Roten Kreuz die Regeln, wie viel lebensgefährliches Risiko ist den Helfern in Syrien zuzumuten?
Seiters: Der Rote Halbmond ist mit seinen 10.000 ehrenamtlichen Helfern ständig unterwegs, geht in alle Gebiete, auch in die gefährdeten Gebiete. Das ist natürlich mit großen Risiken verbunden, mittlerweile sind 34 Helfer, ehrenamtliche Helfer des syrischen Roten Halbmondes bereits im Einsatz getötet worden. Das heißt, die Einsatzleitung muss immer abwägen, was können wir unseren eigenen Helfern zumuten. Von daher bewundere ich die Arbeit des Halbmondes, auch die Vereinten Nationen arbeiten ja fast ausschließlich oder überwiegend mit dem Halbmond zusammen und sie leisten großartige Arbeit.
"Der Halbmond hilft unabhängig davon, auf welcher Seite die Menschen stehen"
Wir Deutschen haben Delegierte in Beirut und in Damaskus, wo wir uns absprechen, was die Hilfslieferungen aus Deutschland anbetrifft und den Einsatz. Aber wir haben keine – abgesehen davon, dass sie in Beirut sind und im Libanon und in Damaskus selber –, aber wir gehen nicht ins Land hinaus, weil wir dort die örtlichen Begebenheiten nicht genügend kennen, das wäre ein zu großes Risiko für unsere deutschen Delegierten. Sie werden ja auch in den Hauptstädten gebraucht zur Koordinierung.
Wuttke: Die syrischen Mitarbeiter des Roten Kreuzes, vielmehr des Roten Halbmondes, fahren also sozusagen verantwortlich mit ihren Chefetagen das alleinige Risiko?
Seiters: Ja, das ist richtig. Natürlich wird immer koordiniert, natürlich werden sich unsere Freunde vom Roten Halbmond auch immer, so weit das möglich ist, vergewissern, wie die Vereinten Nationen dies sehen. Aber ich habe ja selber gesehen, wie die Planung beim syrisch-arabischen Roten Halbmond in Damaskus ist, sie gehen in die Nordgebiete, sie haben lange Zeit auch in Aleppo und Homs und in anderen nordsyrischen Gebieten Lebensmittel und Medikamente verteilt, und Decken, genauso wie im Süden. Das heißt also, der Halbmond, von den Prinzipien des Roten Kreuzes ausgehend und des Roten Halbmondes, hilft dort, wo die Not am größten ist, und zwar unabhängig davon, auf welcher Seite die einzelnen Menschen politisch und religiös stehen.
Wuttke: Das ist das Stichwort für meine Frage, wieso es sich für Sie, für Hilfsorganisationen offensichtlich verbietet, den diplomatischen Stillstand in Genf zu kommentieren?
Seiters: Ja, das ist richtig. Wir haben es ja zu tun – das muss man auch fairerweise sagen – in Syrien mit einem Mangel an Respekt für das humanitäre Völkerrecht, und zwar auf allen Seiten. Nicht nur auf der Seite der Regierung, auch aufseiten eines Teils der Rebellen. Und die Hilfe, die wir zu leisten haben für die Menschen, die unsere Hilfe brauchen, die ist dann gefährdet, wenn wir uns politisch auf eine Seite schlagen, das geht nicht. Was die jetzige Mission der Vereinten Nationen anbetrifft in Homs, das seit anderthalb Jahren belagert wird, so ist dies natürlich ein erster Schritt zur Versorgung der Menschen, löst aber das Grundproblem nicht.
"Syrien muss Zugang zu den umkämpften Gebieten geben"
Auch Syrien hat die Genfer Konventionen verabschiedet und damit das humanitäre Völkerrecht zu achten sich verpflichtet. Und das bedeutet, es muss Zugang zu den umkämpften Gebieten geben, es muss ein Schutz der Zivilisten sein. Unsere wichtigste Forderung ist nach wie vor eine grundsätzliche Waffenruhe, Zugang zu allen umkämpften Gebieten, auch Zugang zu den Gefangenen. Und deswegen Ja zu dieser Friedenskonferenz. Denn ein Scheitern der Gespräche und ein Verzicht auf ein Gespräch würde ja die zarte Hoffnung auf eine Deeskalation zerstören. Auf der anderen Seite darf nicht passieren, dass im Schatten der Friedenskonferenz das Gemetzel weitergeht oder dass die Friedenskonferenz dazu dient, die eigene Position weiter militärisch zu verstärken mit dem Ziel, diesen unsäglichen Krieg fortzuführen. Wir haben eine Hoffnung, aber wir wissen auch, wie die Realitäten oftmals aussehen.
Wuttke: Und diese Realität heißt – wir haben bereits darüber gesprochen –, dass es mit Hilfslieferungen zu Lande schwierig ist. Aus der Luftbrücke gibt es auch viele Gefahren, deshalb die ganz direkte Frage an Sie: Halten Sie es für weiterhin ausgeschlossen, dass nach eineinhalb Jahren, in denen Tausende Menschen in Homs festsitzen, hungern, krank sind, der Einsatz von Drohnen für Hilfslieferungen weiter auszuschließen ist?
Seiters: Das ist jetzt auch in der Tat eine politische Frage, die ich auch nicht abschließend beurteilen kann.
Wuttke: Pragmatisch aber wäre es doch ein Schritt, um die Menschen versorgen zu können, aus Sicht der Hilfsorganisationen?
Seiters: Ja, das wird sicherlich nicht von dem Roten Kreuz oder von dem Roten Halbmond zu beurteilen sein, sondern das wird sicherlich auch nur erfolgen können in Abstimmung mit den Vereinten Nationen. Wir gehen davon aus, dass gegenwärtig etwa 4,25 Millionen Menschen versorgt werden vom Roten Halbmond, dass aber acht Millionen auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen sind. Und von daher bin ich fest überzeugt, auch nach meinen Gesprächen in Damaskus, dass auch unter dem Eindruck von Gefahren für Helfer der Halbmond weiß, was er den Menschen schuldig ist und was zu tun ist. Neben diesen Dingen in Damaskus ist natürlich auch wichtig, einen Blick zu werfen auf die Situation in den Flüchtlingscamps.
"Es ist eine katastrophale Situation"
Ich war ja bei meinem Besuch in Beirut und Damaskus auch in einem Flüchtlingslager in der Nähe der syrischen Grenze im Libanon wo viele, viele, viele Familien mit vielen kleinen Kindern seit zehn Monaten, zwölf Monaten oder 14 Monaten notdürftig in den einfachsten Zelten campieren. Und man muss sich ja mal vorstellen, was das bedeutet: Die gehen abends auf ihr Lager, stehen morgens auf und dann, ein Tag folgt auf den anderen, ohne eine Perspektive. Es ist eine katastrophale Situation.
Wuttke: Die Menschen müssen im Vordergrund stehen in Syrien, sagt im Deutschlandradio Kultur der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes Rudolf Seiters, bevor die Syrien-Friedenskonferenz heute in Genf fortgesetzt werden soll. Herr Seiters, besten Dank und schönen Tag!
Seiters: Schönen Tag ebenso!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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