Samar Yazbek: Die gestohlene Revolution
Reise in mein zerstörtes Syrien
Aus dem Arabischen von Larissa Bender
Nagel & Kimche, München 2015
287 Seiten, 19,90 Euro
Einblicke in ein untergehendes Land
Was macht der Krieg mit den Menschen in Syrien? Mit den Kämpfern und den Flüchtenden? Die syrische Schriftstellerin Samar Yazbek blickt in ihrem Tagebuch "Die gestohlene Revolution" hinter die Schlagzeilen.
Warum wird jemand, der Musik studiert hat, zum Kämpfer? Wie schlagen sich Frauen durchs Leben, deren Männer im Kampf gegen das Assad-Regime gestorben sind? Die syrische Schriftstellerin Samar Yazbek hat es sich zu einer Art heiligen Pflicht gemacht, den Krieg in ihrer Heimat mit Gesichtern, Stimmen und Biographien zu verknüpfen.
2011 ist sie aus Angst vor dem Assad-Regime aus Syrien geflüchtet, für ihr Kriegstagebuch ist sie mehrfach zurückgekehrt – in die "befreiten Gebiete" wie sie schreibt, den Landstrich im Nordwesten des Landes, der von den Kämpfern der Freien Syrischen Armee kontrolliert wurde. Mit jeder Reise werden ihre Eindrücke jedoch beklemmender. Dschihadistische Gruppen wie Ahrar-al-Scham, die Nusra-Front und der selbst ernannte Islamische Staat übernehmen zunehmend die Kontrolle, infiltrieren den Widerstand gegen Assad und setzen ihre menschenverachtenden Wertvorstellungen durch.
Die Autorin war selbst Aktivistin des syrischen Aufstandes
Was Yazbeks Buch so eindringlich macht und von anderen politischen Analysen abhebt, ist die persönliche Ebene. Die Autorin war selbst Aktivistin des syrischen Aufstandes und sie ist Alawitin, gehört also derselben, mit den Schiiten verwandten Religionsgruppe an, wie Diktator Baschar al-Assad. In ihrem Revolutionstagebuch "Schrei nach Freiheit" hatte sie sehr eindrücklich ihren inneren Konflikt beschrieben: die Angst, ihre Tochter, sich selbst und andere in Gefahr zu bringen auf der einen Seite, die Energie, die der Einsatz für ein aus ihrer Sicht besseres Syrien, bei ihr freigesetzt hat, auf der anderen.
Auch im aktuellen Buch berichtet Yazbek wieder von Menschen, die ihre Vision von einem freien, demokratischen Syrien teilen, etwa im Ort Kafranbel, der für seinen kreativen Widerstand gegen Assad berühmt wurde. Doch diese Begegnungen werden seltener. Stattdessen muss sich die Schriftstellerin immer häufiger anhören, dass alle Alawiten umgebracht und aus Syrien vertrieben werden müssten. Das ist höchst beklemmend. Samar Yazbek hatte sich gewünscht, aus dem Pariser Exil heimzukehren, aber auch in den "befreiten Gebieten" stellt sie fest, wie fremd – und unerwünscht – sie dort inzwischen ist.
Eine klare und dennoch literarische Sprache
Auch sprachlich verwebt die Autorin in "Die gestohlene Revolution" geschickt mehrere Erzählfäden. Berichte von Kämpfern, von Menschen, die im eigenen Land geflüchtet sind, gibt sie recht schmucklos wieder – es sind bedrückende Aufzeichnungen des Todes und der Zerstörungen.
Ihre eigenen, subjektiven Beobachtungen schildert Yazbek in klarer und dennoch literarischer Sprache. Sie findet starke Worte für ihre Wahrnehmungen, für das, was um sie herum und in ihr selbst geschieht. Niemals sind ihre Bilder abgedroschen, dafür ist sie zu nah dran.
Samar Yazbek Kriegstagebuch ist trotz der Allgegenwart des Todes und der sich ausbreitenden Hoffnungslosigkeit äußerst lesenswert. Es macht begreiflich, was in Menschen vorgeht, deren Alltag der Krieg ist, die ihre Heimat Schritt für Schritt untergehen sehen. Wer sich hierzulande über Asylbewerber äußert, sollte auch dies im Blick behalten.