Kunst als Widerstand
Mit seiner regierungskritischen Puppenshow auf YouTube erregte das syrische Künstlerkollektiv "Masasit Mati" weltweit Aufsehen. Dabei geht es den Mitgliedern nicht um Erfolg: Sie wollen die Menschen in Syrien erreichen.
Irgendwo in Beirut, in einer Privatwohnung im zweiten Stock. Zwei Schauspieler mit runden Gesichtsmasken und grotesken Kostümen tragen einen schwarz bespannten Rahmen in die Mitte des Wohnzimmers - die provisorische Theaterbühne für das neue Puppenspiel. Es ist eine der letzten Proben, bevor das syrische Künstlerkollektiv "Masasit Mati" nach Syrien fährt, um dort das Stück mit zwei Schauspielern und fünf Handpuppen als Straßentheater aufzuführen. Am Grenzübergang ins Nachbarland riskiert die Truppe ihr Leben. Aber es gehe nicht länger darum, sich über den syrischen Präsidenten im Internet lustig zu machen, erklärt der Regisseur Jameel:
"Wir sind weggegangen von dieser kleinen Figur, die das Symbol des Regimes war. Denn für die meisten Syrer, die auf der Seite der Revolution stehen, ist Baschar al-Assad eigentlich schon gestürzt. Er ist zwar noch da, sein Regime ist noch da, aber die Anerkennung und Legitimität hat er beim Großteil des syrischen Volkes verloren. Dieses Tabu ist gebrochen. Das war die größte Aufgabe, der wir uns in den ersten beiden Staffeln von 'Top Goon' gestellt haben."
Bekannt geworden durch eine YouTube-Show
Mit ihrer YouTube-Show 'Top Goon - Tagebücher eines Kleinen Diktators' sind Jameel und seine Kollegen im November 2011 international bekannt geworden. Arabische und westliche Medien wie die New York Times, der Guardian oder der Spiegel haben über die Puppenspieler berichtet. Im Vorspann der mehrminütigen Videoclips rappt die Handpuppe "Beeshu", der "kleine Baschar": "Ich bin nicht verrückt!", während der "friedliche Demonstrant" die syrische Revolution beschwört: "Freiheit oder nichts".
Einerseits hilft ihre Bekanntheit den Künstlern, andererseits ist das Renommee gefährlich - auch in Beirut: Die libanesische Hisbollah kämpft auf Seiten Assads in Syrien. Das Künstlerkollektiv hat Morddrohungen von Regime-Anhängern über Facebook erhalten. Daher verhält sich Jameel auch in Beirut sehr vorsichtig: Nie verrät er Journalisten seinen richtigen Namen, stets bittet er darum, weder über sein Aussehen, sein Alter oder seine Familienverhältnisse zu schreiben.
Neue Geschichte: Verlobung inmitten der Kämpfe
Ein junger Mann stößt zu Jameel und den Schauspielern dazu, in seiner Hand hält er eine Plastiktüte, aus der stilvoll bemalte Puppenköpfe aus Pappmaschee herausragen. Er habe die halbe Nacht daran gearbeitet und heute früh verschlafen, entschuldigt er sich, unter seinen Augen tanzen lange Schatten. Die Figuren heißen "Sie" und "Er" und "Großmutter", die neue Geschichte handelt von zwei jungen Syrern, die sich inmitten der Kämpfe verloben wollen. Wären da nicht die beiden Puppenspieler, die als "Spiel-im-Spiel" den Fortgang der Geschichte immer wieder behindern, erläutert Jameel:
"Die beiden Schauspieler wollen ein Puppenspiel in Syrien aufführen, aber sie streiten sich ständig darum, wie der Text sein soll, wer welche Rolle übernimmt, wer den Ton angibt. So hört die Geschichte über ein junges Liebespaar mittendrin auf, weil die beiden Schauspieler, die eigentlich Erzähler sein sollen, sich nicht einigen können. Am Ende kommt eine alte, weise Frau, sozusagen die 'Seele der Nation' und sagt, dass viele Menschen in Syrien ihre Geschichte nicht zu Ende leben können, weil sie vorher aufhören, sie zu erzählen. Aber wir können nur leben, wenn wir unsere Geschichten zu Ende erzählen."
Das neue Puppenspiel von "Masasit Mati" lässt sich als Kommentar auf die Lage in Syrien interpretieren: Längst haben jihadistische Kämpfer dem Regime den Krieg erklärt. Sie drohen, die Stimmen der Syrer, die vor knapp drei Jahren ihren Aufstand auf die Straße getragen haben, zu übertönen. Wie im Puppenspiel könnte die Geschichte der Menschen und ihres zivilen Widerstands im Gezänk der großen Player untergehen. Dieses Ziel, so glaubt Jameel, vereint sogar die vermeintlichen Gegner im syrischen Bürgerkrieg:
"Natürlich stehen das Regime und die religiösen Extremisten nicht auf der gleichen Seite, aber sie haben geteilte Interessen: Beide bekämpfen zivile Gruppen, weil diese ihren Machtanspruch bedrohen. Die Islamisten wollen einen religiösen Staat ausrufen, das will das Regime natürlich nicht, sie wollen ihre säkulare Diktatur behalten, die ja auch den Europäern lieber ist. Die zivilen Gruppen werden dabei allein gelassen."
Zwei Schauspieler haben die Gruppe verlassen - um zu kämpfen
Jameels maßlose Enttäuschung über die internationale Gemeinschaft ist ihm ins Gesicht geschrieben. Die Diskussionen um religiöse Extremisten und Giftgas hätten den zivilen Widerstand in Syrien vergessen lassen, meint der Regisseur. Mit ihrem Straßentheater möchte "Masasit Mati" die Menschen in Syrien direkt unterstützen. Doch hilft Kunst im Kampf gegen das Regime? Diese Frage hat das Kollektiv vor einem Jahr gespalten. Damals haben zwei Schauspieler die Gruppe verlassen, um in Syrien zu kämpfen, mit Waffen. Jameel kann diese Entscheidung noch immer verstehen, auch wenn er selbst eine andere Wahl getroffen hat:
"Ich bin Künstler und das ist die Form des Widerstands, die ich leisten kann. Andere kämpfen mit Gewehren und ich spreche niemandem ab, bewaffneten Widerstand zu leisten, das ist für mich eine logische Folge der Brutalität und unglaublichen
Menschenrechtsverletzungen, die das Regime gegen die syrische Bevölkerung begeht. Man muss als Außenstehender einfach verstehen, dass die Menschen ein Recht auf Selbstverteidigung haben. Aber mein persönlicher Beitrag liegt in der Kunst, im Widerstand durch Kunst."
Für diesen Beitrag sind Jameel und die Künstler von "Masasit Mati" bereit, ein hohes Risiko einzugehen. Damit irgendwann die Geschichte zu Ende erzählt werden kann.