Russlands Intervention verhindert politische Lösung
Russland verspiele mit seiner militärischen Intervention in Syrien alle Möglichkeiten für eine politische Lösung, kritisiert der Russlandexperte Gerhard Mangott. Selbst moderate Rebellen gegen Assad würden sich nun radikalisieren.
Russlands Intervention verhindert eine konstruktive politische Lösung in Syrien – davon ist der Politologe und Russlandexperte Gerhard Mangott überzeugt. "Denn was jetzt passiert, ist eine Radikalisierung der Rebellen – auch der moderaten Rebellen. Jetzt sind sie für eine politische Lösung nicht mehr zu haben, sie werden sich an politischen Gesprächen nicht mehr beteiligen", sagte der Wissenschaftler, der an der Universität Innsbruck lehrt, im Deutschlandradio Kultur.
Russland füchtet um seine Interessen
Hintergrund sind unter anderem Meldungen, wonach russische Angriffe, die das Assad-Regime beim Kampf gegen den radikalen IS unterstützen sollen, sich zu 90 Prozent gegen Stellungen der Assad-Opposition richteten. Dazu sagte Mangott: "Russland betreibt eine nüchterne Interessenspolitik ohne ethische Überlegungen. Und Russland bekämpft die Stellungen von Rebellen, an denen die syrischen Streitkräfte in den letzten Monaten die deutlichsten Verluste gemacht haben."
Russland wolle mit seiner Intervention eine "Implosion Syriens" verhindern. Das Letzte, was Putin wolle, sei ein radikal-sunnitisches, extremistisches Regime in Damaskus, das Russlands Interessen nicht mehr berücksichtige und ethnische Säuberungen durchführe, die sich gegen Christen und Alawiten richten könnten.
Nicht mit, aber auch nicht ganz ohne Assad
Mangott gab im Interview die Ansicht eines syrischen,Journalisten wieder, wonach es zwar keine Zukunft mit Assad geben könne, jedoch auch keinen Waffenstillstand ohne Assad. Seiner Ansicht nach würde die alawitische Führungselite nicht zu Gesprächen bereit sein, wenn die Alawiten nicht an einer Übergangsregierung beteiligt würden.
Das gesamte Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: "Brandgefährlich" – wenn ein Diplomat ein solches Wort öffentlich in den Mund nimmt, dann sollte man das ernst nehmen. Als brandgefährlich hat der Sprecher von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier das bezeichnet, was derzeit in Syrien passiert – Russlands unverhohlenes militärisches Engagement. Die Russen unterstützen mit Luftschlägen eine Bodenoffensive der syrischen Armee, also die Truppen Assads. Putins Kurs steht bei uns schwer in der Kritik, keiner will so recht glauben, dass es Putin wirklich um die Bekämpfung des islamistischen Terrors, geschweige denn um eine Befriedung des Konfliktes geht. Es gibt aber auch andere Stimmen – eine solche werden wir jetzt hören. Ich spreche mit Gerhard Mangott, er ist Professor für Politikwissenschaften in Innsbruck. Guten Morgen!
Gerhard Mangott: Guten Morgen!
Frenzel: "Brandgefährlich" sagt das Außenministerium, Sie sagen, Russland will kein Chaos in Syrien, Russland will eine politische Lösung. Woher nehmen Sie Ihren Optimismus?
Mangott: Ich denke, die Entscheidung Russlands, jetzt in Syrien militärisch zu intervenieren, nachdem man jahrelang Waffen an das syrische Regime geliefert hat, ist tatsächlich ein Versuch, eine Implosion des Regimes zu verhindern, denn al-Assad hat in den letzten Monaten deutliche Gebietsverluste erlitten, die syrischen Streitkräfte sind demoralisiert, sie sind dezimiert, er hat Nachschubprobleme, und Russland fürchtet eben, dass bei einer Implosion des Regimes, bei einem Zerfall der verbliebenen staatlichen Strukturen in Syrien, die aus russischer Sicht gefährliche Chance besteht, dass ein radikalsunnitisches extremistisches Regime in Damaskus an die Macht kommt, von dem Russland auch erwartet, dass es zunächst die russischen Interessen nicht mehr berücksichtigt, die Russland mit Syrien verbindet, aber auch, dass es dann ethnische Säuberungen geben kann an den Aleviten und den Christen in Syrien.
Frenzel: Aber warum bekämpfen denn dann russische Kampfjets vor allem die gemäßigte Opposition? Die Amerikaner haben es in dieser Nacht gemeldet, ich habe es zitiert: 90 Prozent der Angriffe gehen gegen diese gemäßigte Opposition, nicht gegen die Islamisten. Gibt es irgendeinen Grund, warum wir das begrüßen sollten?
Mangott: Nein, zweifellos nicht. Also es ist so, dass Russland eine nüchterne Interessenspolitik betreibt, ohne ethische Überlegungen, und Russland bekämpfte die Stellungen von Rebellen, an denen die syrischen Streitkräfte in den letzten Monaten die deutlichsten Verluste gemacht hatten, nämlich bei Hama, bei Homs, im Nordwesten Syriens. Und hier soll mit russischer Luftunterstützung eine Bodenoffensive der syrischen Streitkräfte, verbunden mit iranischen Truppen und mit der libanesischen Hisbollah, ein Geländegewinn für die syrische Seite erzielt werden. Die Angriffe auf den IS, die Russland fliegt, und das sind einige wenige, dienen einfach nur dazu, die russische Behauptung abzustützen, man würde diesen Kampf gegen den IS führen, aber tatsächlich geht es Putin um den Kampf gegen die bewaffnete Opposition. Russland versteht natürlich Teile der Opposition, anders als das der Westen tut, auch als terroristisch, er attackiert vor allem auch Stellungen der Jaish al-Fatah, das ist eine Gruppe, der auch ein al-Qaida-Ableger in Syrien angehört, oder die radikalislamistische Gruppe Ahrar al-Scham, die von der Türkei unterstützt wird. Nur, man muss dazu sagen, bei diesen Angriffen Russlands sind leider auch Rebellenverbände zu Schaden gekommen, die von den feindlichen Staaten ausgerüstet und ausgebildet worden sind, moderate Rebellen.
Frenzel: Dieses leider klingt bei Ihnen so ein bisschen wie die berühmten Kollateralschäden. Wenn wir das noch mal von der Analyse auf die normative Ebene schieben, die Frage, wie wir das bewerten, eine Lösung mit Assad oder ohne. Sie haben sich häufiger dafür ausgesprochen, eine Lösung mit Assad zu suchen. Der ist nun aber in erster Linie für diesen Bürgerkrieg verantwortlich, mit bald 300.000 Toten. Bei allem Terror des IS – wie kann es Frieden geben mit einem solchen Mann?
Mangott: Ich denke, dass Russland nicht an Assad persönlich hängt. Russland möchte bei jedem Regime, das in Syrien zu einem bestimmten Zeitpunkt an die Macht kommt, sicherstellen, dass russische Interessen gewahrt bleiben, und das ist die militärische Präsenz Russlands im Marinehafen Tartus und jetzt an der Luftwaffenbasis südlich von Latakia. Diese militärische Präsenz will Russland unter allen Umständen unter jedem zukünftigen Regime in Syrien aufrechterhalten. Die Russen sind gekommen, um zu bleiben.
Frenzel: Das ist legitim aus Moskauer Sicht, aber wenn wir jetzt wirklich die Frage stellen, Lösung dieses Konfliktes oder zumindest Linderung dieses Konfliktes, hilft auch dieses russische Engagement, dieses russische Eingreifen überhaupt nichts, oder?
Mangott: Nein, denn das russische Engagement wird dazu führen, dass eine politische Lösung, um die sich Staffan Damistura, der UN-Sondergesandte, bemüht, noch unwahrscheinlicher wird, denn was jetzt passiert, ist eine Radikalisierung der Rebellen, der moderaten Rebellen auch, die sagen, jetzt sind sie für eine politische Lösung nicht mehr zu haben, sie werden sich an politischen Gesprächen nicht mehr beteiligen. Also eines ist ganz sicher: Die russische Intervention bringt uns von einer politischen Lösung weiter weg. Was nun die Beteiligung Assads an Friedensgespräche betrifft, so ist natürlich festzustellen, dass al-Assad es war, der eine friedliche Demonstration in einen Bürgerkrieg verwandelt hat, und die meisten Toten dieses Konfliktes gehen auf den Schlächter al-Assad zurück, aber es wird nicht möglich sein, die alevitische Führungselite zu einem politischen Gespräch zu gewinnen, wenn nicht sichergestellt ist, dass die Aleviten, und zunächst vertreten durch al-Assad, an einer solchen Übergangsregierung beteiligt sind. Ich bin aber nur der Ansicht, wir sind von solchen Gesprächen durch die russische Militärintervention jetzt weiter entfernt denn je.
Frenzel: Es gibt eine aktuelle Umfrage hier unter syrischen Flüchtlingen in Deutschland, da sagen 52 Prozent, sie würden nur zurückkehren in ihr Land, wenn Assad weg ist. Muss uns das politisch nicht weiter antreiben, dafür auch wirklich zu sorgen?
Mangott: Ein syrischer Journalist hat vor Kurzem gesagt, es gibt keinen Waffenstillstand ohne Assad und es gibt keine Zukunft mit Assad. Ich glaube, das ist ein strategisches Dilemma, das wirklich zutrifft. Es ist – und da haben sich die britische, die französische, die deutsche und die amerikanische Position in den letzten Wochen deutlich geändert – ein Waffenstillstand nicht zu erreichen, ohne Assad in eine solche Lösung einzubinden. Dass Assad aber nur noch eine kurzfristige Dauer an der Macht in Syrien bleiben kann im Rahmen einer solchen Übergangsregierung, das muss aus inhaltlichen, aber auch aus normativen Gründen klar sein. Ich glaube eben nur, dass eine solche Lösung, wie sie mittlerweile eben auch von den genannten Staaten angestrebt wird, jetzt noch sehr viel weniger leicht möglich ist als es das vorher war, und dazu hat Russland mit seiner Militärintervention, die ausschließlich eigenen russischen Interessen dient, nicht unbedingt eine Lösung des Syrienkonfliktes, wesentlich beigetragen.
Frenzel: Gerhard Mangott, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Mangott: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.