Syrien von innen
Bestseller-Autor Littell war im Januar 2012 in Homs, hat dort zwei Notizbücher geführt, füllt seinen streckenweise langweiligen Bericht auch mit einem Kurs in Waffenkunde und den Mahlzeiten. Hauptsächlich aber beschreibt Littell die vollkommen wirre Lage in Homs.
Alle wichtigen Medien haben schon über Jonathan Littells "Notizen aus Homs" berichtet - obwohl das gebundene Buch erst diese Woche in die Buchhandlungen kommt. Der Verlag zog die E-Book-Ausgabe vor, weil Littell ein großes "Spiegel"-Interview gab. An dieser editorischen Hektik merkt man schon, dass Littells Aufzeichnungen aus Syrien ein Buch-Sonderfall sind: Einerseits ganz nah an der Aktualität, denn die Kämpfe in Syrien bestimmen nach wie vor unsere Hauptnachrichten. Andererseits aber auch schon ganz fern, denn Littell war in Homs, kurz bevor die Stadt Anfang Februar diesen Jahres von der Armee bombardiert wurde.
Um die Frage gleich zu beantworten, die sich aufdrängt: Ja, es ist eine richtige Entscheidung von Hanser Berlin, die "Notizen aus Homs" doch noch als gedrucktes Buch zu veröffentlichen. Das hier ist nachhaltige Literatur: Seine Aufzeichnungen sind ein Gedenkstein für viele Menschen in Syrien, die inzwischen nicht mehr leben. Und sie dokumentieren einen Moment in der syrischen Geschichte, den niemand sonst festgehalten hat.
Jonathan Littell, der auch schon aus Georgien und Tschetschenien berichtet hat, war vom 16. Januar bis 2. Februar 2012 in Syrien, zusammen mit einem Fotografen, ins Land geschleust von der Syrischen Befreiungsarmee FSA. Zwei Notizhefte hat er gefüllt mit unzähligen Begegnungen und Beobachtungen und sie im Nachhinein nur möglichst wenig bearbeitet. Littell erhebt ausdrücklich nicht den Anspruch, ein "literarisches Werk" geschaffen zu haben: Im Wesentlichen beschreibt er seinen Tagesablauf, sogar die Mahlzeiten sind notiert. Nebenbei macht man einen Kurs in Waffenkunde, denn Littell listet in manisch wirkender Akribie einzelne Fabrikate auf - trotz all der Schrecken ist das Buch in seiner Detailversessenheit streckenweise sogar langweilig. Ganz selten nur geht der Schriftsteller mit ihm durch, wenn er sonderbare Träume aufschreibt oder über seine Plutarch-Lektüren berichtet.
Hauptsächlich aber beschreibt Littell die vollkommen wirre Lage in Homs. Viele Geschichten von Deserteuren und Menschen, die Angehörige verloren haben, kann Littell nicht nachprüfen - "noch eine völlig verworrene Geschichte, wie alle hier". Aber er sieht mit eigenen Augen immer mehr von Scharfschützen der Armee verletzte und getötete Zivilisten, hört zahllose Berichte über Folterungen, beobachtet, wie Regierungstruppen religiöse Auseinandersetzungen bewusst schüren. Besonders erschütternd sind die Berichte aus den Krankenstationen der FSA, wo Verletzte nicht behandelt werden können, weil die Medikamente fehlen.
Am Ende der Aufzeichnungen ist der Tod allgegenwärtig: "Es sind vier Verwundete. Drei leicht. Einer schwer, mit einem Zucken stirbt er vor meinen Augen, ohne dass ich es merke." Diese "Notizen aus Homs" sind zwar bereits Geschichte, aber ein eindrückliches Dokument der grausamen Willkür einer Regierung gegenüber ihrem Volk.
Besprochen von Dina Netz
Jonathan Littell: Notizen aus Homs
Aus dem Französischen von Dorit Gesa Engelhardt
Hanser Berlin, Berlin 2012
240 Seiten, 18,90 Euro
Um die Frage gleich zu beantworten, die sich aufdrängt: Ja, es ist eine richtige Entscheidung von Hanser Berlin, die "Notizen aus Homs" doch noch als gedrucktes Buch zu veröffentlichen. Das hier ist nachhaltige Literatur: Seine Aufzeichnungen sind ein Gedenkstein für viele Menschen in Syrien, die inzwischen nicht mehr leben. Und sie dokumentieren einen Moment in der syrischen Geschichte, den niemand sonst festgehalten hat.
Jonathan Littell, der auch schon aus Georgien und Tschetschenien berichtet hat, war vom 16. Januar bis 2. Februar 2012 in Syrien, zusammen mit einem Fotografen, ins Land geschleust von der Syrischen Befreiungsarmee FSA. Zwei Notizhefte hat er gefüllt mit unzähligen Begegnungen und Beobachtungen und sie im Nachhinein nur möglichst wenig bearbeitet. Littell erhebt ausdrücklich nicht den Anspruch, ein "literarisches Werk" geschaffen zu haben: Im Wesentlichen beschreibt er seinen Tagesablauf, sogar die Mahlzeiten sind notiert. Nebenbei macht man einen Kurs in Waffenkunde, denn Littell listet in manisch wirkender Akribie einzelne Fabrikate auf - trotz all der Schrecken ist das Buch in seiner Detailversessenheit streckenweise sogar langweilig. Ganz selten nur geht der Schriftsteller mit ihm durch, wenn er sonderbare Träume aufschreibt oder über seine Plutarch-Lektüren berichtet.
Hauptsächlich aber beschreibt Littell die vollkommen wirre Lage in Homs. Viele Geschichten von Deserteuren und Menschen, die Angehörige verloren haben, kann Littell nicht nachprüfen - "noch eine völlig verworrene Geschichte, wie alle hier". Aber er sieht mit eigenen Augen immer mehr von Scharfschützen der Armee verletzte und getötete Zivilisten, hört zahllose Berichte über Folterungen, beobachtet, wie Regierungstruppen religiöse Auseinandersetzungen bewusst schüren. Besonders erschütternd sind die Berichte aus den Krankenstationen der FSA, wo Verletzte nicht behandelt werden können, weil die Medikamente fehlen.
Am Ende der Aufzeichnungen ist der Tod allgegenwärtig: "Es sind vier Verwundete. Drei leicht. Einer schwer, mit einem Zucken stirbt er vor meinen Augen, ohne dass ich es merke." Diese "Notizen aus Homs" sind zwar bereits Geschichte, aber ein eindrückliches Dokument der grausamen Willkür einer Regierung gegenüber ihrem Volk.
Besprochen von Dina Netz
Jonathan Littell: Notizen aus Homs
Aus dem Französischen von Dorit Gesa Engelhardt
Hanser Berlin, Berlin 2012
240 Seiten, 18,90 Euro