Syriendebatte

Es ist falsch, Moskau zu folgen!

Zwei Panzer stehen auf einer nicht asphaltierten Straße, im Hintergrund Nebel und Wohnhäuser, vor den Panzern gehen drei Männer.
Panzer der Syrischen Armee auf dem Gelände des palästinensischen Flüchtlingslagers Yarmouk bei Damaskus. © dpa picture alliance/ Mikhail Voskresenskiy/ Sputnik
Von Emran Feroz |
Viele Linke und vermeintlich kritisch Denkende haben zum Syrienkonflikt die Erzählweise Moskaus und des Assad-Regimes übernommen. Unser Kommentator Emran Feroz fragt sich, was dahinter steckt: Chronische Ignoranz oder simple politische Verwirrung?
Anfang Juni fand im Nordwesten Syriens wieder mal ein Bombenangriff statt. Nachdem die Einwohner des Dorfes Zardana ihr Fasten gebrochen hatten, wie es im islamischen Monat Ramadan üblich ist, wurden sie von russischen Kampfjets überrascht. Laut der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte wurden mindestens 44 Menschen, darunter Frauen und Kinder, getötet. Die Weißhelme berichteten von 35 Todesopfern und mehr als 80 Verletzten.

Russische Kriegsverbrechen werden nicht angesprochen

Das jüngste Massaker ist eines von vielen. Russlands Militär, das den Erhalt des Assad-Regimes vehement unterstützt, hat in den letzten Jahren Tausende von Syrern getötet. Die britische Organisation Airwars, die auch den Luftkrieg der USA in der Region kritisch beobachtet, berichtet von 2.980 zivilen Opfern Russlands. Andere Organisationen zählen 5-6.000.
Umso erstaunlicher ist es, dass dagegen wenig protestiert wird. Auf vielen sogenannten "Friedensdemonstrationen" werden russische Kriegsverbrechen gar nicht angesprochen und teilweise sogar Russlandfahnen geschwungen. Als im April hingegen die USA mehrere Ziele des Assad-Regimes angriffen, war die Empörung groß. In Berlin und anderen Städten versammelten sich Aktivisten aus dem linken Milieu - und forderten ein Ende des "Krieges gegen Syrien", darunter auch führende Politiker wie Sahra Wagenknecht.

Aufklärungsorganisationen werden diskreditiert

Die USA, Nato und Trump, Saudi-Arabien und Co. sind die Hauptschuldigen. Die Massenbombardements Russlands? Assads Giftgasmassaker? Als hätte es das alles nie gegeben. Stattdessen werden die Organisationen, die derartige Verbrechen regelmäßig aufdecken, denunziert. Die genannten Weißhelme werden in Russia Today und vielen "alternativen Medien" mit Al-Qaida ähnlichen extremistische Gruppierungen in Verbindung gebracht, was offensichtlich Wirkung entfaltet. Das hat gewiss auch mit der Mainstreammedienphobie zutun, die man sowohl im rechten als auch im linken politischen Spektrum finden kann. Am Ende wirkt alles, was in irgendeiner Art und Weise dem westlichen Narrativ widerspricht, möglich und glaubhaft.
Viele Linke im Westen, die sich selbst als "anti-imperialistisch" und "pazifistisch" definieren, haben in Sachen Syrien die Narrative von Moskau und Damaskus übernommen - obwohl beide Akteure für die absolute Mehrzahl der Todesopfer verantwortlich sind. Eine syrische Revolution, demokratische Graswurzelbewegungen und ein brutaler Diktatorenclan, der en masse mordet, erscheinen so nur als westliche Propaganda, um einen "Regime-Change", ähnlich wie im Irak, zu erzwingen.

Syrer halten die linke Haltung für weltfremd

Mit einem solchen Vergleich beginnt allerdings bereits der Fehler. Die Situation ist nämlich eine komplett andere. Viele Beobachter, darunter etwa der syrische Intellektuelle und Dissident Yassin al Haj Saleh meinen mittlerweile, dass ein solcher Regimewechsel gar nicht im Interesse der US-Administration sei. Stattdessen genießt der "Krieg gegen den Terror" weiterhin die höchste Priorität. Assad und Putin haben die War-on-Terror-Narrative der USA in Syrien einfach adaptiert - und Washington scheint damit zufrieden zu sein.
Auch das ist nichts Neues, da die CIA bereits kurz nach 9/11 mit Assads Geheimdiensten kooperiert hat und Terrorverdächtige ausgiebig foltern ließ. Viele Linke unterstützen in Syrien nun eine Propaganda, die sie in Irak und Afghanistan zurecht verurteilt haben. Für viele Syrer ist diese Haltung derart weltfremd, dass man sie kaum auf ebenjenen Demonstrationen sieht. Meist sind sie eher auf der Gegenseite präsent, was wenig verwunderlich ist, wenn man vor dem Assad-Regime geflohen ist und eigene Familienmitglieder in den berüchtigten Folterkerkern verloren hat.
Auf Einsicht darf man allerdings nicht hoffen. Empathie gibt es offensichtlich nur für jene Opfer, die in das eigene Weltbild passen.

Emran Feroz ist freier Journalist mit afghanischen Wurzeln. Er berichtet regelmäßig über die politische Lage im Nahen Osten und Zentralasien. Feroz recherchierte unter anderem die dramatischen Folgen der amerikanischen Drohnen-Angriffe in Afghanistan und veröffentlichte dazu das Buch: "Tod per Knopfdruck: Das wahre Ausmaß des US-Drohnen-Terrors oder Wie Mord zum Alltag werden konnte."

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