Wütend, aber nicht hoffnungslos
06:26 Minuten
Ziad Majed
Harald Etzbach
Syriens verwaiste RevolutionEdition Nautilus, Hamburg 2021159 Seiten
18,00 Euro
Der libanesische Politologe Ziad Majed analysiert die „syrische Ausnahme“, also die Frage, warum der arabische Frühling in Syrien in die Katastrophe führte.
Der Ruf nach Jobs, Freiheit und Würde wurde 2011 in vielen arabischen Staaten laut. Zehn Jahre später fällt die Bilanz ernüchternd aus, aber nirgendwo wurde aus dem Aufstand ein solches Desaster wie in Syrien.
In seinem klugen Essay analysiert der libanesische Politologe Ziad Majed die "syrische Ausnahme". Für die deutsche Ausgabe hat er seinen Text von 2014 aktualisiert und ergänzt. Die zentralen Fragen haben nichts an Relevanz verloren: Warum wurde aus dem Aufstand in Syrien ein so langer, so brutaler Krieg? Und warum hat das niemand verhindert?
Das Assad-Regime
Die Grundlagen für die Gewalt, das macht Majed deutlich, hat Hafiz al-Assad, der Vater des aktuellen Machthabers, mit einer perfiden Mehrfachstrategie gelegt. In seiner Diktatur seit Anfang der 1970er-Jahre ließ er Gewerkschaften und Presse in einem Maße gleichschalten, dass jeglicher Diskurs ausgelöscht wurde. Die Allgegenwart der rivalisierenden Geheimdienste und notfalls pure Gewalt verunmöglichten jeden Dissens. Gleichzeitig präsentierte sich Assad als unverzichtbarer Makler in regionalen Konflikten, etwa dem Bürgerkrieg im Libanon. Den Aufstand von 2011 ordnet Majed in diesen Rahmen ein, als Versuch, das "innere Syrien" wiederzubeleben.
Baschar al-Assad begegnete dem mit den Strategien seines Vaters. Regierungsgegner, die gewaltlos protestierten, ließ er brutaler bekämpfen als bewaffnete Islamisten, Bevölkerungsgruppen spielte er gegeneinander aus und international versucht er - mit zunehmendem Erfolg -, sich als Garant für Stabilität darzustellen. Ziad Majed macht keinen Hehl aus seiner Sympathie für die Revolutionäre. Dass sich manche von ihnen Islamisten zugewandt haben, erklärt er als eine Art Notwehr gegenüber der Übermacht des Assad-Regimes und seiner Verbündeten.
Die ausgebliebene Einmischung
Die Frage, warum sich demokratische Staaten nicht in den Krieg eingemischt haben, um die Aufständischen zu schützen, beantwortet der Autor konventioneller: Anders als für die Assad-Verbündeten Iran und Russland habe Syrien für die EU und die USA keine strategische Priorität. Rote Linien wurden zwar benannt, ihre bewusste Überschreitung - der Einsatz von Giftgas - hatte aber keine ernsthaften Folgen für das Assad-Regime.
Wenn im Westen linke Antiimperialisten oder rechte Islamfeinde die Nichteinmischung verteidigen, wird Majed richtig wütend. Der Präzision seiner Anklage wären konkretere Belege aber dienlich gewesen. Dabei reizt sein Essay immer wieder zum Widerspruch und zum Weiterdenken, etwa mit der Beobachtung, dass der internationalen Gemeinschaft ein Konzept dafür fehlt, wenn sich Gewalt und Unterdrückung gegen eine Bevölkerungsmehrheit richten und nicht gegen eine Minderheit.
Der Wut und dem Frust zum Trotz ist Majed nicht völlig hoffnungslos: Mit der Revolution hätten die Syrer sich ihr Schicksal wiederangeeignet - die Erfahrungen mit Bürgerräten und improvisierten Medien könnten Teil einer Gründungsakte eines neuen Syrien werden - irgendwann, wenn die Machthaber den inneren Diskurs nicht mehr unterdrücken können.