Eine Botschaft an die Welt
Am Wochenende hat eine außergewöhnliche Begegnung mit syrischen Flüchtlingen die Runde auf Facebook gemacht: Vor ein paar Tagen erreicht ein Flüchtlingsboot die griechische Insel Lesbos. An Bord sind bekannte syrische Rockmusiker. Kaum an Land, verteilen sie CDs...
Ich traue meinen Augen kaum, als ich die Posts aus Griechenland auf Facebook entdecke. Mein syrischer Freund Anas hat sie geteilt, ein Gruppenfoto von der griechischen Insel Lesbos, dazu die Kommentare von zwei griechischen Frauen.
Sie schreiben: "Du bist heute zu unserem Strand gekommen und wir haben deine unglaubliche Band kennen gelernt. Wir wollen dir danken für die schöne Musik!" Und weiter: "Das erste, was der syrische Rocker Anas Maghrebi tat, als sein Boot an der Küste der griechischen Inseln landete, war sein neues Album an Leute zu verteilen, die sich am Strand sonnen."
Ich schicke eine Nachricht an Anas – was machst du auf Lesbos, bist du o.k.? Hast du diese CDs an Touristen verteilt? Zurück kommt eine Sprachnachricht:
"Es war lustig, dass wir an diesem Hotelstrand gelandet sind, wir haben Leute gesehen und haben uns vorgestellt: 'Hallo, wir sind Musiker, wir kommen aus Syrien. Ich weiß, dass das kein normaler Weg ist, nach Griechenland einzureisen, es tut uns leid' (lacht). Als wir Hallo sagten und uns als moderne Menschen vorstellten, obwohl die Einreise illegal ist, dachte ich, es wäre nett, ihnen eine CD zu geben. Sie waren überrascht: 'Ihr seid eine Band! Ihr habt eine CD und ihr kommt auf diesem Weg! Das ist surreal! Das passiert nicht zweimal im Jahr."
Anas ist Sänger der syrischen Band Khebez Dawle, zu deutsch: "Staatsbrot". Während meines Stipendiums in Beirut vor zwei Jahren habe ich sie zweimal live gesehen – die Musiker sind bekannt; sie haben sich mit arabischer Rockmusik einen Namen gemacht. In ihren Liedern halten sie die Ereignisse einer gescheiterten Revolution wach, es sind Momentaufnahmen eines Abschieds von Syrien ohne Hoffnung auf Wiederkehr.
Sie suchen nach mehr als Zuflucht
Anas ist wichtig, dass sie nicht nur als Flüchtlinge gesehen werden, sondern als Musiker, die eine Botschaft an die Welt haben. In den Nachrichtenbildern über syrische Flüchtlinge findet er sich und seine Freunde nicht wieder:
"Schon als wir von Damaskus nach Beirut geflohen sind, hatten wir diese Absicht oder Idee im Hinterkopf – wir versuchen, das Bild von Flüchtlingen in den Massenmedien zu verändern. Die Massenmedien versuchen immer, Flüchtlinge als arme Leute zu zeigen, die nur nach Essen und einem Dach über dem Kopf suchen. Gut, das stimmt für einige Menschen, aber was ist, wenn ich nach mehr suche?"
Zum Beispiel nach einem Ort, an dem er als Musiker mit seinen Freunden in Sicherheit arbeiten kann? Schon Ende 2013 zeichnete sich ab, dass Beirut nur eine Zwischenstation auf ihrer Flucht sein könne. Zu nah sei der syrische Bürgerkrieg, der sich unter der Oberfläche im Nachbarland fortsetzt, erzählte Anas vor zwei Jahren am Rande eines Konzerts:
"In Beirut passiert im Kleinen, was in Syrien passiert: Hier findest du Regime-Anhänger und die andere Seite. Es gibt die Hisbollah und die Amal-Bewegung gegen die Salafisten und so weiter. Alle haben eine extreme Meinung, sie sind entweder für oder gegen das Regime. Als Syrer stellt man dir im Libanon eine Menge Fragen, Augenpaare folgen dir durch die Straßen und fragen dich: Woher kommst du? Ja, aus Syrien – aber aus welcher Stadt? Sie wissen genau, welche Stadt für oder gegen das Regime ist. Es ist hier nicht so frei, wie es aussieht."
Nach zwei Jahren in Beirut standen zwei Bandmitglieder vor einem Dilemma: Ihre Reisepässe waren abgelaufen, doch eine Rückkehr nach Syrien ausgeschlossen. So ging die Flucht weiter, über die Türkei nach Griechenland. Anas meldet sich: "Mach dir keine Sorgen, wir machen durch, was unser ganzes Volk durchmacht. Wir werden nach Europa kommen, unsere Karriere fortsetzen und Menschen dazu bringen, der Geschichte unseres Landes zuzuhören. Wünsche uns Glück, meine Freundin." Später kommt eine Sprachnachricht:
"Ich möchte für die Menschen sprechen, die in Syrien keine Stimme haben. Nicht alle sind arme Flüchtlinge, wir haben eine anständige Kultur, wir sind ein gutes Volk, es geht uns um mehr als Flüchtlingscamps zu finden. Es ist vielleicht zu ehrgeizig, aber ich hoffe, dass ich eines Tages in Europa bekannt genug sein werde, um für die Menschen zu sprechen, die keine Stimme haben."