"Auf dem Fahrrad fühle ich mich frei"
26:41 Minuten
Die Flucht vor dem Krieg und ein Facebook-Freund führten sie nach Potsdam: Inzwischen unterrichtet die syrische Englischlehrerin Alaa Kassab an einer Brandenburger Grundschule. Und aus der Facebook-Freundschaft ist Liebe geworden.
Alaa Kassab unterrichtet Englisch als Assistenzlehrerin an einer Grundschule im brandenburgischen Geltow im Landkreis Potsdam-Mittelmark. Sie gehört dem ersten Jahrgang des "Refugee Teachers Program" der Universität Potsdam an, das geflüchtete Lehrer auf den Schuldienst in Deutschland vorbereitet. Das Programm sei eine Erfolgsgeschichte, sagt Kassab.
Direktheit der Kinder hat sie anfangs schockiert
Ihre Schüler an der Grundschule in Geltow haben sie in ihr Herz geschlossen und bewundern sie für ihre Stärke, denn Alaa Kassab hat schon einiges hinter sich. "Die Kinder waren sehr neugierig und wollten wissen, wer ich bin und was ich hier mache, welche Sprachen ich spreche und warum ich von Syrien nach Deutschland kam. Ich habe ihnen dann erzählt, dass ich aus Syrien geflüchtet bin, dass mein Leben dort nicht mehr sicher war und dass ich hier mein Leben wieder aufbauen und meinen Beruf ausüben möchte." Es gefalle ihr sehr, dass die Kinder in Deutschland offen und frei sind. Anfangs habe die Direktheit der Kinder sie schockiert, jetzt verstehe sie die Kinder aber und sehe, dass sie lieb sind.
Deutschen Lehrer, die Flüchtlingskinder unterrichten, empfiehlt Kassab, Geduld zu haben: "Sie müssen verstehen, dass die Kinder, die herkommen, manchmal traumatisiert sind. Dass sie nicht faul sind, wenn sie die Sprache nicht so schnell können." Geflüchtete Kinder brauchten jemanden, der auf sie achtet und versucht, ihnen zu helfen, sagt Kassab. "Es gibt kulturelle Unterschiede, und das müssen die Lehrer auch kennenlernen und wissen. Dann fühlen sich die Kinder auch wohl in der Schule."
Mit 22 Jahren verließ sie Aleppo
Alaa Kassab war 22 Jahre alt, als sie sich entschied, ihre umkämpfte Heimatstadt Aleppo, ihre Eltern und ihre drei Schwestern zu verlassen, um nach Deutschland zu fliehen und sich dort ein selbstbestimmtes Leben aufzubauen. "Ich war schon lange Zeit frustriert, obwohl ich studieren und arbeiten konnte. Ich habe fast jeden Tag gehört, dass jemand tot ist, auch Verwandte, meine Cousine zum Beispiel." Ihre Eltern hätten versucht, sie von der Flucht abzuhalten. Als sie aber sahen, dass ihre jüngste Tochter entschlossen war zu gehen, akzeptierten sie ihre Entscheidung.
Anfangs war ihr fast alles fremd. Auch die Familie ihres Freundes. "Meine Familie ist lauter und größer und wir sind sehr eng zusammen. Wir treffen uns sehr oft. Und hier trifft sich die Familie nur ein paar Mal im Jahr." Alaa Kassab genießt die Freiheit, die ihr diese losere Verbindung mit der Familie ihres Freundes lässt.
Auch ihre Schwester lebt nun in Deutschland
Die 25-jährige Englischlehrerin hat die Erfahrung gemacht, dass man in Deutschland viel erreichen kann, wenn man es möchte. Besonders genießt sie es, dass sie nun Fahrrad fahren kann. Wenn sie in die Pedale tritt, fühlt sie sich frei. Inzwischen konnte sie auch eine ihrer Schwestern nach Deutschland nachholen. "Ich habe sie mit dem Landesaufnahmeprogramm geholt und eine Verpflichtungserklärung abgegeben, wo ich alles für meine Schwester bezahle außer der Krankenversicherung. Die bezahlt die Stadt."
Leider könne ihre Schwester aber nicht gemeinsam mit ihr und ihrem Freund in einer Wohnung wohnen, da der Vermieter seine Zustimmung dazu verweigert. Mit einem Besuch ihrer Eltern in Potsdam rechne sie allerdings nicht. Ihr Vater sei zu alt und zu krank, um sich auf eine solch beschwerliche Reise zu machen. Sie denkt auch nicht daran, ihre Eltern nach Deutschland zu holen. "Es würde meinem Vater schwerfallen, hierher zu kommen und auch eine andere Sprache zu lernen." Ihren Eltern gehe es gut, sagt Kassab. Sie seien am Leben und meistens hätten sie auch Strom, Wasser und Essen.