Keiner will aufgeben
Für viele ist das Abkommen zwischen EU und Türkei ein Erfolg: Immer weniger Flüchtlinge wagen die Überfahrt vom türkischen Festland auf die griechischen Inseln. Syrische Flüchtlinge in Istanbul suchen jetzt andere Wege, um nach Europa zu gelangen.
Es ist ungewöhnlich ruhig am Istanbuler Aksaray-Platz. Drei alte Männer sitzen rauchend auf einer Bank in der Frühlingssonne, folgen mit den Augen den wenigen Passanten, die vorbeikommen. Ein Maroniverkäufer, der seinen fahrbaren Grill neben einer plätschernden Fontäne geparkt hat, wartet vergeblich auf Kunden.
Aksaray gilt als Istanbuls Schlepperbörse. Flüchtlinge aus aller Welt treffen sich hier mit denen, die sie nach Europa bringen sollen, verhandeln in den verrauchten Teestuben ringsherum über Preise und Routen, kaufen in kleinen Tante-Emma-Läden Schwimmwesten und Proviant. Doch das Abkommen zwischen der Türkei und der EU hat Aksaray verändert.
"Hier ist absolut nichts mehr los. Gucken Sie sich die arabischen Restaurants an – alle leer, seit die Syrer sich nicht mehr blicken lassen."
Klagt Fatih, ein zweimetergroßer Türke mit Pferdeschwanz, der in einer Seitengasse einen Handy-Shop betreibt. Gebrauchte Smartphones und Ladegeräte stapeln sich im Schaufenster, handbeschriebene Pappschilder versprechen auf Arabisch Sonderangebote und Flatrates.
"Früher kamen die Flüchtlinge, um bei uns Guthaben auf ihre Handys zu laden – wir hatten ein extra Syria-Package, davon habe ich bis vor Kurzem fünfzig bis sechzig pro Tag verkauft. Und dann waren da die Schlepper, die jeden Tag packenweise Simkarten und Ersatzakkus kauften. Auf den Booten kann man ja sein Handy nicht laden."
Fatih zuckt mit den Schultern. Abwarten, sagt er. Und dann, lächelnd: Das wird schon wieder.
Klagt Fatih, ein zweimetergroßer Türke mit Pferdeschwanz, der in einer Seitengasse einen Handy-Shop betreibt. Gebrauchte Smartphones und Ladegeräte stapeln sich im Schaufenster, handbeschriebene Pappschilder versprechen auf Arabisch Sonderangebote und Flatrates.
"Früher kamen die Flüchtlinge, um bei uns Guthaben auf ihre Handys zu laden – wir hatten ein extra Syria-Package, davon habe ich bis vor Kurzem fünfzig bis sechzig pro Tag verkauft. Und dann waren da die Schlepper, die jeden Tag packenweise Simkarten und Ersatzakkus kauften. Auf den Booten kann man ja sein Handy nicht laden."
Fatih zuckt mit den Schultern. Abwarten, sagt er. Und dann, lächelnd: Das wird schon wieder.
Für Syrer gibt es in der Türkei keine Zukunft
Ein paar Türen weiter schwenkt Manar aus Aleppo frische Falafel in heißem Fett. Auch sein Leben hat das Abkommen zwischen Ankara und Brüssel verändert.
"Ich will selbst nach Europa, aber ich hatte das Geld noch nicht zusammen. Jetzt bringen sie die Syrer hierher zurück, wenn sie sie schnappen. Würde ich jetzt gehen, wäre alles umsonst. Also arbeite ich erstmal weiter hier."
Ob er sich ganz und gar auf eine Zukunft in der Türkei einstellt – so, wie es die Unterstützer des Abkommens hoffen? Manar schüttelt entschieden mit dem Kopf, sein Kollege Houssein schnaubt.
"In der Türkei gibt es für uns Syrer keine Zukunft. Allein die Miete kostet uns 400 Dollar. Dazu Wasser und Elektrizität – und keine Unterstützung vom Staat. Wir sind Flüchtlinge, wie sollen wir so viel Geld jeden Monat aufbringen?"
Houssein studierte in Damaskus IT-Technik als der Krieg kam. Jetzt zerhackt er mit flinken Fingern Petersilie auf einem Schneidebrett, rollt sie mit ein paar frischen Falafeln, Tomaten und Sesamsauce in ein Brot. Drei türkische Lira wandern in die kleine Kasse hinter dem Tresen, ein Euro. Damit, sagt Houssein, werden unsere Kinder hier nie eine Zukunft haben.
"Ich will selbst nach Europa, aber ich hatte das Geld noch nicht zusammen. Jetzt bringen sie die Syrer hierher zurück, wenn sie sie schnappen. Würde ich jetzt gehen, wäre alles umsonst. Also arbeite ich erstmal weiter hier."
Ob er sich ganz und gar auf eine Zukunft in der Türkei einstellt – so, wie es die Unterstützer des Abkommens hoffen? Manar schüttelt entschieden mit dem Kopf, sein Kollege Houssein schnaubt.
"In der Türkei gibt es für uns Syrer keine Zukunft. Allein die Miete kostet uns 400 Dollar. Dazu Wasser und Elektrizität – und keine Unterstützung vom Staat. Wir sind Flüchtlinge, wie sollen wir so viel Geld jeden Monat aufbringen?"
Houssein studierte in Damaskus IT-Technik als der Krieg kam. Jetzt zerhackt er mit flinken Fingern Petersilie auf einem Schneidebrett, rollt sie mit ein paar frischen Falafeln, Tomaten und Sesamsauce in ein Brot. Drei türkische Lira wandern in die kleine Kasse hinter dem Tresen, ein Euro. Damit, sagt Houssein, werden unsere Kinder hier nie eine Zukunft haben.
"Wer es wirklich will, der findet einen Weg!"
Kurze schwarze Haare bedecken den Boden des Friseursalons, den Housseins Cousin Mahmud wenige Häuser weiter betreibt. Vor den Spiegeln ringsherum sitzen junge Syrer, lassen sich von Gleichaltrigen in Badeschlappen föhnen und rasieren. Gelfrisuren, enge Jeans, leuchtende Augen. Abkommen hin oder her – alle hier träumen von Europa. Auf einem abgewetzten Ledersofa hockt Berber Mahmud mit seinen Freunden.
"Dieses Abkommen wird nichts bringen. Ich habe Freunde, die auf dem Weg nach Griechenland geschnappt und zurückgebracht wurden. Also sind sie von hier nach Algerien geflogen, von dort nach Libyen und von Libyen nach Italien. Wer es wirklich will, der findet einen Weg!"
Tatsächlich kursieren in Aksaray längst neue Routen und Preise für die Reise nach Europa. Für gut 2000 Euro könne man sich von Schleppern mit dem Auto nach Bulgarien fahren lassen, weiß Berber Mahmud. Mit der Zigarette zwischen den Fingern winkt er einen Kurden mit lockigen Haaren und Ziegenbärtchen heran. "Der Experte", raunt er, die Umstehenden lachen. Abu Sakr, der Kurde, lacht nicht. Sechs Mal hat er bereits versucht, nach Europa zu kommen.
Auf dem Handy zeigt Abu Sakr ein Video von der letzten Überfahrt. Frauen Männer und Kinder in orangenen Schwimmwesten, die in der Dämmerung dahintreiben. Kurz nach der Aufnahme fing die türkische Küstenwache das Boot ab. Abu Sakr, seine Frau und die vier kleinen Kinder landeten wieder in Istanbul. Gleichgültig zuckt er mit den Schultern. Ein paar Wochen, dann wollen er und sein Freund Ahmet es erneut versuchen. Solange, bis sie es endlich schaffen.
"Dieses Abkommen wird nichts bringen. Ich habe Freunde, die auf dem Weg nach Griechenland geschnappt und zurückgebracht wurden. Also sind sie von hier nach Algerien geflogen, von dort nach Libyen und von Libyen nach Italien. Wer es wirklich will, der findet einen Weg!"
Tatsächlich kursieren in Aksaray längst neue Routen und Preise für die Reise nach Europa. Für gut 2000 Euro könne man sich von Schleppern mit dem Auto nach Bulgarien fahren lassen, weiß Berber Mahmud. Mit der Zigarette zwischen den Fingern winkt er einen Kurden mit lockigen Haaren und Ziegenbärtchen heran. "Der Experte", raunt er, die Umstehenden lachen. Abu Sakr, der Kurde, lacht nicht. Sechs Mal hat er bereits versucht, nach Europa zu kommen.
Auf dem Handy zeigt Abu Sakr ein Video von der letzten Überfahrt. Frauen Männer und Kinder in orangenen Schwimmwesten, die in der Dämmerung dahintreiben. Kurz nach der Aufnahme fing die türkische Küstenwache das Boot ab. Abu Sakr, seine Frau und die vier kleinen Kinder landeten wieder in Istanbul. Gleichgültig zuckt er mit den Schultern. Ein paar Wochen, dann wollen er und sein Freund Ahmet es erneut versuchen. Solange, bis sie es endlich schaffen.