"Täglich schaue ich nach Lebenszeichen aus Syrien"
"Noch leben alle zehn Geschwister", sagt der Syrer Omar Sharaf. Keine Toten in der direkten Verwandtschaft sei nach sechs Jahren Krieg in seinem Heimatland nicht die Regel. Der größte Teil seiner Großfamilie lebt inzwischen in der Türkei und in Deutschland.
"Noch leben alle zehn Geschwister", sagt der Syrer Omar Sharaf. Keine Toten in der direkten Verwandtschaft, dies sei nach sechs Jahren Krieg in seinem Heimatland nicht die Regel. Der größte Teil seiner Großfamilie lebt inzwischen in der Türkei und in Deutschland. Zu seinem bei Damaskus gelegen Heimatort, Erbin, hat er täglichen Kontakt, denn dort leben noch zwei Schwestern und ein Bruder mit ihren Familien, in einem umkämpften Gebiet.
"Der Tag fängt normalerweise damit an, dass ich bei ihm frage, ob alles in Ordnung ist, dann erzählt er, ob die Jets schon fliegen, das sind die Militärflugzeuge, die erstmal die Ziele ausmachen und schauen, wo sie bombardieren."
Schulunterricht möglich machen
Seit kurzem ist das Gebiet Ost-Ghouta vollständig abgeriegelt, erzählt Sharaf. Bislang konnten die ca. 400.000 Menschen dort über geheime Tunnel versorgt werden. Mit der Organisation "Adopt a Revolution" versucht Sharaf, die Zivilgesellschaft in Erbin und anderen Rebellengebieten zu unterstützen, zum Beispiel, indem sie Schulunterricht möglich machen.
Ein Jahr lang, von 2012 bis 2013, waren alle Schulen in dem Gebiet geschlossen, weil das Assad-Regime die Gehälter der Staatsangestellten, und damit auch der Lehrer, eingestellt hat. Mittlerweile gibt es wieder sechs Schulen dort, allerdings in fensterlosen Kellerräumen, um die Kinder vor Bomben zu schützen. Weil die meisten Familien nicht wissen, wie sie für ihren Unterhalt sorgen können, gehen nicht alle Kinder zur Schule.
"Vor zwei Jahren haben nur Mädchen Abi gemacht, weil die Rebellen zahlen Geld für die Dienste, 150 US-Dollar, das ist gutes Geld. Und wenn sie nicht in einer Rebellengruppe sind, müssen sie arbeiten."
Dieser Entwicklung soll "Adopt a revolution" ein wenig entgegenwirken, erzählt Sharaf. Letztes Jahr haben sechs Jungs und 50 Mädchen das Abitur abgelegt. Wenn die Jugendlichen dann studieren, etwa Medizin, lernen sie von Anfang an in der Praxis, weil ausgebildete Ärzte fehlen. Diese sind zum Großteil aus dem Land geflohen.
"In Erbin haben wir keinen Chirurgen, deswegen musste man schnell zwei Ärzte fortbilden lassen - und die mussten dann selbst operieren. Und ich weiß von meinem Bruder, der ist eigentlich Apotheker vom Fach, der darf aber ab und zu, bei kleinen Verletzungen, bzw. bei unwichtigen Organen amputieren. Wie gesagt, davor hatte er einen Crashkurs und danach kann er das unter Anleitung eines Arztes."
Omar Sharaf kam 2001 nach Deutschland. Er studierte Germanistik und unterrichtet inzwischen Arabisch an der Universität in Heidelberg; und er bringt unbegleiteten Flüchtlingen Deutsch bei. Die Jugendlichen suchen bei ihm auch Halt und Orientierung in dieser neuen Umgebung:
"Ich glaube, ihnen fehlt diese Instanz von zuhause ein Vater oder ein großer Bruder, der sagt: 'Junge, mach das oder mach das nicht.' Und viele von denen sehen in mir diese Person."
Ein Gegenbild zu dem Grauen geben
Wenn Omar Sharaf sich um die Schulen in Erbin kümmert oder Flüchtlinge in Deutschland unterrichtet, geht das auch auf Kosten der Zeit, die er mit seinen zwei Kindern haben könnte. Sharaf musste hier erst eine gute Balance finden. Insbesondere der ältere Sohn bekommt viel mit vom Krieg in Syrien; und doch versucht Omar Sharaf, ihnen einen Eindruck von Syrien vor dem Krieg zu geben, indem er alte Fotos zeigt. Ein Gegenbild zu dem Grauen des Alltags in Erbin, von dem ihm sein Bruder jeden Morgen berichtet.