Syrischer Exil-Autor Yassin al-Haj Saleh

Ein Leben voller Anfänge

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Portraitfoto des syrischen Schriftstellers und politischen Dissidenten Yassin al-Haj Saleh.
Hat das Leben in Gefangenschaft hinter sich gelassen - und lebt jetzt im Exil: der syrische Autor Yassin al-Haj Saleh. © AFP / Javier Soriano
Von Annette Kammerer |
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Yassin al-Haj Saleh kam mit 19 Jahren ins Gefängnis und verbrachte dort 16 Jahre. Er kam frei, lebte im Untergrund, musste aus seiner Heimat fliehen - und seine Frau zurücklassen. Eines Tages will er nach Syrien zurückkehren.
"Mein Leben ist voller Anfänge. In Haft zu kommen, wieder frei zu kommen, jetzt im Exil zu leben – oder die Abwesenheit meiner Frau Samira. Anfänge sind irgendwie in meinem Körper."
Am Rand von Berlin, dort wo Straßen zu Ausfallsstraßen werden und Hochhäuser zu Stadtvillen, führt Yassin al-Haj Saleh die Treppen runter. Er ist Ende 50, hat schlohweißes Haar. Seine Gesichtszüge sind weich und sein Lächeln warm.
"Das Schreiben gibt mir Kraft, gibt mir Stärke. Wenn ich eine Situation verstehe und durchdringe, dann habe ich das Gefühl, am richtigen Platz zu sein."
Der 58-Jährige ist Schriftsteller aus Syrien. Schriftsteller im Exil. Auf seinem Laptop ist ein Text auf Arabisch geöffnet. Im Regal sind Bücher zum Holocaust aufgereiht. Und auf seinem Schreibtisch lehnen drei große Portraits einer Frau an der Wand. Seiner Frau. Das eine Bild fragt: Wo ist Samira Khalil?
Vor sechs Jahren ist al-Haj Salehs Frau entführt worden. Sie war Menschenrechtsaktivistin in Syrien. Saß in Haft, führte einen Verlag. Al-Haj Saleh schreibt ihr Briefe, die er veröffentlicht. Im Dezember 2017 schreibt er: "Ich weiß, dass es während deiner Abwesenheit keine andere Lösung gibt, als weiterzuarbeiten, Sammour. Ich weiß, dass das richtig ist, aber ich finde in dieser Gewissheit keinen Trost. Sicher ist nur, dass deine Abwesenheit schwierig zu ertragen ist und es keine Arbeit gibt, die ihre Leere füllen kann."

Fast die Hälfte des Lebens in Gefangenschaft

Al-Haj Saleh schreibt viel, sagt er, schreibt fast jeden Tag. Schriftsteller wurde er, da war der Syrer Anfang 30 und hatte fast die Hälfte seines Lebens in syrischen Gefängnissen verbracht. 16 Jahre und 14 Tage lang.
"Ohne Frage: 16 Jahre im Gefängnis zu sein, ist schlimm. Sehr schlimm. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass von den 16 Jahren 13,5 relativ erträglich waren. Ich konnte lesen, habe gelernt, habe von anderen Häftlingen gelernt."
Yassin al-Haj Saleh kommt ins Gefängnis da ist er gerade mal 19 Jahre alt. Studiert Medizin an der Universität – und ist in einer kommunistischen Partei aktiv. Nach der Haft holt er seinen Abschluss nach. Und schreibt sein erstes Buch. Es handelt von den 16 Jahren hinter Gittern. Und heißt genau so: "16 Years in Syrian Prisons". "Ich mag es nicht, wenn sich Menschen zu Opfern machen", sagt der Autor. "Mein Buch ist deshalb auch keins über Leid, sondern eins über die Freiheit."

Flucht ohne seine Frau

Und trotzdem ist al-Haj Saleh heute immer noch nicht frei. Denn mit 52 Jahren musste der Schriftsteller Syrien verlassen. Zwei Jahre lang lebten er und seine Frau Samira im Untergrund. Versteckt vor dem Regime und den IS-Milizen. Im Dezember 2013 wird seine Frau entführt, al-Haj Saleh muss ohne sie aus Syrien fliehen.
"Ich hatte so viele Anfänge in meinem Leben. So viele begonnene Kreise, die nie zu welchen wurden. Nach dem Gefängnis konnte ich nicht zu meiner Jugend zurück. Danach nicht zum Gefängnis zurück. Und jetzt bin ich im Exil."
Wenigstens einen Anfang will Yassin al-Haj Saleh in seinem Leben zu einem Kreis schließen. Er will zurück, in seine Heimat. Syrien.
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