"Eine klare Absage an Merkel und Schäuble"
Griechenland hat gewählt, und die alte Regierung ist aller Voraussicht nach auch die neue. Das Syriza-Vorstandsmitglied Giorgos Chondros sieht in dem Sieg seiner Partei auch eine Ohrfeige für die Bundesregierung.
Das Gründungs- und Vorstandsmitglied von Syriza, Giorgos Chondros, sieht durch das Wahlergebnis in Griechenland die für sein Land vereinbarten Reformen in Frage gestellt. "Dieses Wahlergebnis ist wirklich eine klare und eindeutige Absage an die Politik von Merkel und Schäuble", sagte Chondros im Deutschlandradio Kultur: "Es ist (...) an der Zeit, dass Europa und vor allem Frau Merkel diese Tatsache anerkennt." Die Wahl habe gezeigt, dass man Syriza nicht so einfach loswerden könne. Es gebe jetzt eine "wunderbare Gelegenheit", noch einmal alles in Ruhe zu besprechen. Den Wahlerfolg von Syriza bezeichnete Chondros als "großen Sieg". Dennoch sei das Ergebnis "kein uneingeschränkter Grund zum Feiern" – denn die Probleme seien nicht aus der Welt geschafft. Der Wille seiner Partei, das Land zu verändern, sei aber jetzt von den griechischen Bürgern bestätigt worden, sagte Chondros.
Das Gespräch im Wortlaut:
Dieter Kassel: Dass Syriza die Wahlen in Griechenland auch diesmal wieder gewinnen könnte, das haben viele Prognosen durchaus für möglich gehalten. Allerdings hieß es, das Ganze werde wohl sehr, sehr knapp werden. Sie wissen es, so kam es nun nicht. Mit 35 Prozent der abgegebenen Stimmen liegt Syriza deutlich vor der Nea Dimokratia, die sieben Prozentpunkte weniger bekommen hat.
Und damit ist schon jetzt – da hat heute Morgen eigentlich keiner drauf zu hoffen gewagt – ziemlich klar, ja eigentlich sicher, wer Griechenland in Zukunft regieren wird, es ist nämlich die gleiche Koalition, die das auch schon seit den Wahlen im Januar getan hat.
Aber heißt das auch, dass sich jetzt gar nichts ändert? Darüber wollen wir mit Giorgos Chondros reden. Er ist Gründungs- und Vorstandsmitglied von Syriza und er ist der Autor des Buches "Die Wahrheit über Griechenland, die Eurokrise und die Zukunft Europas", das in dieser Woche in Deutschland erscheint, weshalb er jetzt auch gerade in Deutschland unterwegs ist, um das Buch vorzustellen. Schönen guten Morgen, Herr Chrondros!
Giorgos Chondros: Ja, schönen guten Morgen auch, guten Morgen nach Deutschland!
Kassel: Das Ergebnis von gestern Abend, ist und war das für Sie ein uneingeschränkter Grund zum Feiern?
Chondros: Uneingeschränkt eigentlich nicht, denn wir erleben weiterhin sehr schwierige Zeiten in Griechenland und die Probleme sind natürlich nicht aus der Welt geschaffen. Allerdings, es ist wirklich ein großer Sieg gewesen und auch eine sehr große Bestätigung, dass Syriza und die Regierung trotz aller Schwierigkeiten in den letzten sieben Monaten die Bevölkerung überzeugt hat, dass wir vorhaben, das Land zu ändern. Und dieses Vorhaben wurde von der Bevölkerung also wirklich bestätigt und noch mal über die Wahlen angepriesen.
Kassel: Nun war ja der Grund für diese Neuwahlen die Tatsache, dass sich Syriza-Mitglieder abgespalten haben. Es gibt eine neue Partei, die hat nicht mal die Drei-Prozent-Hürde genommen bei diesen Wahlen. Heißt das im Umkehrschluss auch, die Menschen, die jetzt wieder Syriza gewählt haben, sind auch einverstanden mit den Reformen?
"Das Wahlergebnis ist eine klare Absage an Merkel und Schäuble"
Chondros: Die Reformen, die Syriza immer vorgeschlagen hat, waren und sind wirklich notwendige Reformen in Griechenland. Allerdings, wenn man das aus europäischer Sicht sieht und auch aus deutscher Sicht: Dieses Wahlergebnis ist wirklich eine klare und eindeutige Absage an die Merkel-und-Schäuble-Politik, nicht nur für Griechenland, sondern für Europa insgesamt. Und es ist wirklich an der Zeit, dass Europa und vor allem Frau Merkel diese Tatsache anerkennt.
Das, was in Griechenland notwendig ist, kann Syriza wirklich durchziehen. Das heißt, den Staat modernisieren, die Korruption bekämpfen, auch die Wirtschaft anzukurbeln und eine soziale Gerechtigkeit im Lande wirklich einbringen.
Das geht aber nicht Hand in Hand mit dieser harten Kürzungspolitik, die von Europa und von den Institutionen Griechenland aufgezwungen wurden. Es ist eben jetzt eine wunderbare Gelegenheit, dass wir in Ruhe gemeinsam noch mal alles besprechen, wie und welchen Weg wir in Europa einschlagen. Wenn wir gerade diese Situation mit den Flüchtlingen betrachten, sehen wir, dass es keine leichten Wege für Europa gibt. Insofern ist das wirklich eine sehr positive Tatsache, dass die gleiche Regierung in Griechenland weitermachen kann.
Kassel: Ja, aber weitermachen ist doch auch das Stichwort. Was soll denn jetzt anders werden? Von Januar bis August haben wir ja auch nichts anderes erreicht als Ihre Vorgängerregierung. Es wurde immer verhandelt, es wurde immer um Reformen geschachert, die die einen nicht wollten und dann doch zugesagt haben und durchgeführt oder nicht. Was soll denn jetzt konkret anders werden?
Bei einer Steuerreform sollen die reichen Griechen zur Kasse gebeten werden
Chondros: Es kommt darauf an, über welche Reformen man wirklich spricht. Für uns sind es wirklich keine Reformen, die Arbeitsrechte zum Beispiel zu demolieren, das könnte man in Deutschland nicht einmal in den Mund nehmen, was in Griechenland vorgeschlagen wird als Reform.
Man kann zum Beispiel in Deutschland nicht alles verscherbeln, wie es den Griechen vorgeschlagen wird, was zum Beispiel das öffentliche Vermögen betrifft.
Wenn man wirklich über Reformen spricht, muss man ganz genau sagen, welche Reformen notwendig sind. Natürlich brauchen wir eine Steuerreform, wo jeder zur Kasse gebeten wird und vor allem diejenigen zur Kasse gebeten werden, die über lange Jahre hinaus nichts bezahlt und Reichtum angehäuft haben, die ganz reichen Griechen, die ihr Geld ins Ausland gebracht haben mit der Unterstützung der griechischen Regierungen bis jetzt und mit der Duldung auch der europäischen Regierung.
Das wäre zum Beispiel eine ganz wichtige Reform. Die Korruption zu bekämpfen und die Klientelwirtschaft zu bekämpfen in Griechenland ist auch eine höchst notwendige Reform. Nur Syriza kann diese Erneuerungen, diese Reformen wirklich durchbringen und braucht auch natürlich die Unterstützung der Europäischen Union, unserer Partner in Europa und unserer Freunde in Europa. Und diese Unterstützung ist notwendig.
Kassel: Aber ich verstehe es immer noch nicht. Sie sagen ja selber: Nur Syriza kann. Aber eigentlich ja auch wieder nicht. Und in diesen ersten sechs, sieben Monaten dieser Regierung ist das ja alles so nicht passiert. Was soll ... Ich verstehe immer noch nicht, was anders sein soll!
"Eine Politik der Rentenkürzungen hat keine Zukunft"
Chondros: Verzeihen Sie, dass ich Sie unterbreche! In diesen sechs, sieben Monaten wurde mit allen Mitteln versucht von hier aus und von Deutschland aus, bis gestern, bis heute früh vielleicht, dass Syriza ein Zwischenspiel ist. Das Wahlergebnis hat gezeigt, dass man Syriza nicht so einfach loswerden kann.
Warum, aus welchem Grund? Weil die griechische Bevölkerung wirklich diese Änderungen haben möchte. Es wurde bis jetzt, in diesen sechs, sieben Monaten wurde die griechische Regierung wirklich daran gehindert, diese Reformen durchzubringen.
Und ich sage Ihnen ein ganz konkretes Beispiel: Es war der Vorschlag der griechischen Regierung, zum Beispiel Unternehmensgewinne ab 500.000 Euro statt mit 26 Prozent zu besteuern, mit 29. Das heißt, ganz wenige, drei Prozent, die Steuer zu erhöhen, das haben die Institutionen bei den Verhandlungen vehement zurückgewiesen. Stattdessen haben sie vorgeschlagen, noch mal die Mindestrenten zu kürzen. Das hat keine Zukunft, diese Politik! Das heißt nur, die Armen ärmer zu machen und die Reichen reicher zu machen.
Ich denke, dieses Wahlergebnis werden unsere europäischen Partner noch mal überdenken.
Kassel: Das ist das Stichwort, da hätte ich Sie vielleicht nicht unterbrechen sollen, Sie kommen noch drauf: Das, was Sie sagen, ich stimme Ihnen weder zu noch widerspreche ich, aber eins müssen wir feststellen, diese Argumente sind ja alle nicht neu und aus Brüssel hieß es gestern Abend, heute Morgen schon, okay, Syriza hat gewonnen und jetzt erwarten wir, dass diese Regierung die versprochenen Reformen entsprechend durchführt. Das klingt alles wie bisher, woher nehmen Sie diesen Optimismus, mir zu sagen, es wird jetzt was anders?
Wenn man in Europa nur auf die Zahlen guckt, gibt es keine Lösungen
Chondros: Politik ist nicht ... Es ist eine dynamische Sache. Europa ändert sich. Brüssel wird sich auch ändern müssen. Es kommen Wahlen, demnächst auch in anderen Ländern Europas, Spanien, Portugal, Irland, auch im nächsten, übernächsten Jahr in Deutschland.
Europa, wenn es sich nicht wirklich ändert – und das ist auch ein großer Teil des Stoffs in meinem Buch, das nächste Woche rauskommt – wenn bald nicht die Richtung geändert wird, dass Europa wieder zu ursprünglichen Traditionen zurückfindet, das heißt mehr soziale Gerechtigkeit, mehr Sozialstaat, mehr Arbeitslosigkeitsbekämpfung, mehr Armutsbekämpfung, dann bleibt dieses Konstrukt nicht aufrecht.
Wenn Europa zum Beispiel bald nicht eine nachhaltige Lösung zur Flüchtlingsfrage findet – und nicht das, was es jetzt versucht, eine logistische Lösung, ein paar Kisten in diesem Lager, ein paar Kisten in einem anderen Lager, als ob die Menschen Ware wären – dann hat Europa keine Zukunft. Man muss das in diesem Rahmen betrachten. Wenn man das natürlich nur aus der Sicht von Herrn Schäuble sieht, wie die Zahlen besser werden, dann natürlich gibt es keine Lösung.
Kassel: Giorgos Chondros war das, er ist Gründungs- und Vorstandsmitglied von Syriza, dem Wahlsieger des gestrigen Abends und auch Autor des Buches "Die Wahrheit über Griechenland, die Eurokrise und die Zukunft Europas". Herr Chondros, ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch!
Chondros: Danke auch, schönen Tag!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.