Systematiker der Schönheit

Von Johannes Halder |
Die Ausstellung "Claude Monet: Effet de soleil - Felder im Frühling" zeigt nichts anderes als Monets Wiesen und Felder, also Gewächse und Gewässer, Gräser und Ähren, Hafer- und Mohnblüten, Heuhaufen und Brücken und immer wieder die schlank gewachsenen Pappeln in der flachen Landschaft entlang der Seine. 41 Monets, dazu ein halbes Dutzend Vergleichswerke von Pissarro, Sisley oder van Gogh, vor lila und rotbraun getünchten Wänden luftig gehängt - eine kleine Landpartie.
Das Paradies ist klein, 75 mal 93 Zentimeter, mit Öl auf Leinwand gemalt im Jahre 1887, und es zeigt die Natur als eine Art Lichtspieltheater. Unter einer Reihe hoher Pappeln posiert eine Pariser Dame mit türkisfarbenem Sonnenschirm inmitten einer blühenden Wiese, und ringsumher nichts als flirrendes Farbgewirr, Sonnenreflexe, wogendes Grün. "Ich male, wie ein Vogel singt", sagte Monet und nannte sein Werk, wie ihm der Schnabel gewachsen war: "Sous les peupliers, effet de soleil." Doch weil das allzu technisch-nüchtern klingt, haben die Besitzer das Gemälde umgetauft: "Felder im Frühling".

Als es der Stuttgarter Galerieverein vor genau hundert Jahren mutig erwarb, wurde es von der Kritik als "Getüpfel" und unfertige "Farbstudie" abgetan und verschwand immer wieder mal im Depot.

Jetzt steht es im Zentrum dieser Schau, die - thematisch eng umzäunt - nichts anderes zeigt als Monets Wiesen und Felder, also Gewächse und Gewässer, Gräser und Ähren, Hafer- und Mohnblüten, Heuhaufen und Brücken und immer wieder die schlank gewachsenen Pappeln in der flachen Landschaft entlang der Seine, das heißt entlang an des Malers Lebensstationen: Argenteuil, Vétheuil, Giverny. Ab und an verirrt sich eine Dame mit Strohhut oder Sonnenschirm in das malerische Biotop, allein oder mit Kindern, die meist schemenhaft im Blütenmeer versinken. Wer einmal eines dieser Bilder von Monet gesehen habe, der könne kein Feld mehr anschauen, ohne dabei an Monet zu denken, glaubt Kurator Christofer Conrad:

"Es sind Bilder, die einen Natureindruck so gültig formulieren, dass diese Formulierung sich immer vor die Natur setzt für alle, die jemals so ein Bild gesehen haben. Also Monet wirkt für uns wahrnehmungsprägend in diesem Bereich."

41 Monets, dazu ein halbes Dutzend Vergleichswerke von Pissarro, Sisley oder van Gogh, vor lila und rotbraun getünchten Wänden luftig gehängt - eine kleine Landpartie, auf der man neben dem puren Sehgenuss auch etwas lernen kann. Denn die Restauratorin Katja Matauschek hat auf dem hauseigenen Frühlingsbild buchstäblich Feldforschung betrieben und dabei eine kleine Sensation entdeckt:

"Sie hat auf der Malschicht, also ins Öl hineingearbeitet, wenn Sie so wollen, kleine Grashälmchen gefunden. Also die Wiese, die da dargestellt ist, das Feld gibt es oder gab es wirklich, und die Relikte sind noch auf dem Bild. Und das beweist: Monet stand da in diesem Feld und hat dort vor Ort gemalt."

Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Fast so, als wollten sie auf den Gemälden das Gras wachsen hören, haben die Wissenschaftler auch andere Bilder untersucht und mit ihrer Diagnose das Diktum des Malers entlarvt, sein Atelier sei die Natur. Zahllose Malschichten, nass in nass, aber auch nass über trocken, sprechen für eine intensive Nacharbeit im Atelier. Dem Mythos Monet tut das keinen Abbruch, denn für den Archivar des Augenblicks war diese Praxis auch eine Frage der Arbeitsökonomie.

"Er braucht immer viel weniger Farbe und viel weniger Pinselzeichen als andere Impressionisten. Aber es ist bemerkenswert, mit wie wenig Aufwand Monet seine Bilder malt und welche außerordentliche Wirkung er erzielt. Wir haben eine frühe Landschaft aus Berlin da, die Wiese in Bezons, und das Bild besteht eigentlich aus ganz wenig Farbe, aus ganz wenig Zeichen. Wie eine japanische Kalligrafie ist eine junge Frau, die da liest, ins Bild gemalt. Je näher Sie herantreten, desto mehr zerfällt diese Frau in einzelne Pinselzüge. Aber aus einer bestimmten Betrachterdistanz ist die Illusion perfekt."

Monet, der sich vor Ort buchstäblich an den Motiven weidet und dann im Atelier die Ernte veredelt, erweist sich darin als ein raffinierter Systematiker der Schönheit, der die Natur wie eine botanische Installation benutzt, um sie den bildnerischen Kompositionsgesetzen zu unterwerfen. Um dies zu demonstrieren, hat man verschiedene Fassungen ein und desselben Motivs nebeneinander gehängt.

"Wir hatten den Ehrgeiz, nicht irgendeine Ausstellung zu machen. Wir hätten ganz leicht Kathedralbilder neben Heuhaufen hängen können und das Ganze dann mit den beim Publikum sehr beliebten Seerosen ausklingen lassen können. Genau das wollten wir nicht, sondern unser Ziel war es, zu zeigen, wie Monet denselben Grundrhythmus immer wieder anders ausgestaltet."

Wie bei einem Musiker, der die Variationen eines Themas durchspielt, gliedern beispielsweise die Pappelstämme den vertikalen Rhythmus; und wie Monet die Farbe effektvoll versumpfen und die Konturen verschwimmen lässt, wie er dabei neue, für sich genommen äußerst abstrakte Bildzeichen und Farbformen erfindet, das zeigt ein Blick in den Katalog auf die Detailvergrößerungen: eine Art Farbfeldmalerei am Rand des abstrakter Expressionismus. Es war wohl auch so, dass der Kunstmarkt den erfolgreichen Schnellmaler unter erheblichen Fertigungsdruck setzte.

Unter Erfolgszwang steht auch die Ausstellung. Alles in allem ist sie ein perfektes Produkt des Museums-Marketings, inszeniert wie ein Spaziergang, wie eine Hymne an den Frühling. Sogar das ungewöhnliche Querformat des Katalogs, der eine Art Monet-Bilderbuch geworden ist (kurz die Texte, groß die Bilder), hat man zuvor an einem Testpublikum ausprobiert. Doch kein Lichtblick ohne Schatten. Die ermäßigten Eintrittstarife für Senioren hat das Ministerium für die Monet-Ausstellung abgeschafft. Die Rentner, hofft man, kommen wohl auch so. Selbst die Begleitpersonen von Behinderten wollte man ursprünglich abkassieren, so als störten diese das Idyll. Monet und die Moneten, das heißt auch Merchandising. Und wer hier das Gefühl bekommt, er werde mit Monet eingeseift, liegt nicht ganz falsch:

"Es gibt eine Monet-Seife, es gibt Monet-Wein, es gibt Monet-Schokolade, ich kann dann aus einer 'Felder-im-Frühling'-Tasse trinken, ich kann dann einen Monet-Wein entkorken. Es gibt Zeitgenossen, die haben mehr Interesse an einer Weinflasche als an einem Ausstellungskatalog und die können dann dieses Erlebnis nachklingen lassen."

Monet - Impression weiß heißt der kleine Etikettenschwindel mit dem schwäbischen Rebensaft. 100 000 Besucher, die sich zumindest an den Bildern berauschen, braucht die Schau, um ihre Kosten einzuspielen. Optimistisch rechnet das Museum mit der doppelten Zahl. Na denn: Prost Monet!


Service:
Die Ausstellung "Claude Monet: Effet de soleil - Felder im Frühling" ist in der Staatsgalerie Stuttgart bis zum 24. September 2006 zu sehen.