Systematische Bücher-Plünderungen
Während der NS-Zeit wurden Millionen Bücher aus jüdischem Privatbesitz geraubt. Sie fanden sich später zum Teil in öffentlichen Bibliotheken wieder. Bibliothekare formulierten 2002 den "Hannoverschen Appell", solche Bücher den rechtmäßigen Besitzern zurückzugeben. Das Symposium zieht nun in Hannover Bilanz.
Als teuflisches System von "plunder and counter-plunder", von Plünderungen und Revanche-Plünderungen kennzeichnet Patricia Grimsted jene Bücherströme, die durch den Kunst- und Kulturraub der Nazis ausgelöst wurden. Die Osteuropa-Expertin aus Cambridge taxiert auf 10 Millionen Bände, was die Rote Armee nach 1945 als "Reparation" waggonweise in die UdSSR schaffte. Zuvor hatten die Deutschen nach Schätzung von Dov Schidorsky etwa vier Millionen Bücher beschlagnahmt, zuerst bei ihren jüdischen Landsleuten, dann aber auch im Ausland. Deshalb richten Bibliothekare und Historiker beim Zweiten Hannoverschen Symposium über "Jüdischen Buchbesitz als Raubgut" ihren Blick über die Grenzen hinweg auf Europa. Zuvor allerdings rief Werner Schroeder aus Oldenburg seinen Kollegen ins Gedächtnis, wie alles begonnen hatte, etwa mit der Bibliothek des Frankfurter Instituts für Sozialforschung:
" Ende Mai 1933 wurde das Institut zugunsten des Landes Preußen enteignet. Nach umfangreicher Überprüfung wurden 13.000 Bände Zersetzungsliteratur – so der Begriff – ausgesondert und 1937 an die Staatsbibliothek in Berlin geliefert und dort eingelagert. Anderthalb Jahre später war diese Restbibliothek von 60 Regalmetern ein beliebtes Tauschobjekt."
Beim institutionalisierten Buchraub nämlich konkurrierten viele Ämter innerhalb des NS-Staates. SD und Gestapo lieferten beschlagnahmte Bücher an eine "Zentralbibliothek" ab, die mit über 500.000 Bänden 1942 nach Tanzenberg in Kärnten ausgelagert wurde. Daneben gab es in größeren Städten Bücherverwertungsstellen oder einen von der Wehrmacht eingerichteten "Bibliotheksschutz", der in Paris aneinandergereiht mit jenem Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg, dessen Raubzüge in Osteuropa notorisch waren. An der Berliner Staatsbibliothek schließlich war eine "Reichstauschstelle" angesiedelt, die deutschen Universitäten mit erbeuteten Büchern über Bombenschäden hinweghelfen sollte, die "unbürokratisch", also meist ohne Nachweis der jeweiligen Provenienz, der Herkunft arbeitete. Der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz weiß um diese Probleme – und deshalb fordert Klaus-Dieter Lehmann:
" Gerade Bücher und Bibliotheken gehören zum Selbstverständnis jüdischen Lebens. Für kaum ein Volk ist die Textkultur von so zentraler Bedeutung. Allerdings ist die Restitution von Büchern unvergleichlich schwieriger als die von Kunstwerken. Zudem sind die Bestände häufig über mehrere Selektionen und erneute Weitergabe zerstreut worden und daher müssen wir für die Rückgabe von Büchern auch einen anderen Ansatz wählen als die Museen bei den Kunstwerken."
Geraubt wurde bis Kriegsende 1945 gründlich und mit System – aber beim Katalogisieren der erbeuteten Bücher kamen die Nazi-Bibliothekare nicht nach. Schon den westlichen Alliierten, die zufällig gefundene oder gezielt aufgespürte Bibliotheksbestände im Collecting Point in Offenbach bei Frankfurt lagerten, war eine Zuschreibung der Bücher oft nicht mehr möglich. Und in Bremen etwa hat es ein halbes Jahrhundert gedauert, bis das Kürzel "J.A." im Eingangs-Journal als "Juden-Auktion" entschlüsselt wurde.
Und auch in der Berliner Staatsbibliothek, die bei der Rückforderung geraubter Bücher aus jüdischem Besitz alle Verjährungsfristen aufgehoben hat, gibt es für systematische Suche kaum Anhaltspunkte. Alles hängt ab von der engagierten Recherche einzelner Bibliothekare, deren Funde meist Symbolwert haben – aber eben der kann beträchtlich sein, betont Klaus-Dieter Lehmann:
" Es geht hier um Bände, die wir gefunden haben in nicht bearbeiteten Beständen der Staatsbibliothek – von einem sehr engagierten Mitarbeiter: Leo Baecks Privatbibliothek, die wir jetzt ebenfalls an die Erben in New York zurückgeben können."
Service:
Das Zweite Hannoversche Symposium "Jüdischer Buchbesitz als Raubgut" findet am 10. und 11. Mai 2005 statt. Es ist eine gemeinsame Veranstaltung der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek, Niedersächsische Landesbibliothek und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.
Link:
Zweites Hannoversches Symposium "Jüdischer Buchbesitz als Raubgut"
" Ende Mai 1933 wurde das Institut zugunsten des Landes Preußen enteignet. Nach umfangreicher Überprüfung wurden 13.000 Bände Zersetzungsliteratur – so der Begriff – ausgesondert und 1937 an die Staatsbibliothek in Berlin geliefert und dort eingelagert. Anderthalb Jahre später war diese Restbibliothek von 60 Regalmetern ein beliebtes Tauschobjekt."
Beim institutionalisierten Buchraub nämlich konkurrierten viele Ämter innerhalb des NS-Staates. SD und Gestapo lieferten beschlagnahmte Bücher an eine "Zentralbibliothek" ab, die mit über 500.000 Bänden 1942 nach Tanzenberg in Kärnten ausgelagert wurde. Daneben gab es in größeren Städten Bücherverwertungsstellen oder einen von der Wehrmacht eingerichteten "Bibliotheksschutz", der in Paris aneinandergereiht mit jenem Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg, dessen Raubzüge in Osteuropa notorisch waren. An der Berliner Staatsbibliothek schließlich war eine "Reichstauschstelle" angesiedelt, die deutschen Universitäten mit erbeuteten Büchern über Bombenschäden hinweghelfen sollte, die "unbürokratisch", also meist ohne Nachweis der jeweiligen Provenienz, der Herkunft arbeitete. Der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz weiß um diese Probleme – und deshalb fordert Klaus-Dieter Lehmann:
" Gerade Bücher und Bibliotheken gehören zum Selbstverständnis jüdischen Lebens. Für kaum ein Volk ist die Textkultur von so zentraler Bedeutung. Allerdings ist die Restitution von Büchern unvergleichlich schwieriger als die von Kunstwerken. Zudem sind die Bestände häufig über mehrere Selektionen und erneute Weitergabe zerstreut worden und daher müssen wir für die Rückgabe von Büchern auch einen anderen Ansatz wählen als die Museen bei den Kunstwerken."
Geraubt wurde bis Kriegsende 1945 gründlich und mit System – aber beim Katalogisieren der erbeuteten Bücher kamen die Nazi-Bibliothekare nicht nach. Schon den westlichen Alliierten, die zufällig gefundene oder gezielt aufgespürte Bibliotheksbestände im Collecting Point in Offenbach bei Frankfurt lagerten, war eine Zuschreibung der Bücher oft nicht mehr möglich. Und in Bremen etwa hat es ein halbes Jahrhundert gedauert, bis das Kürzel "J.A." im Eingangs-Journal als "Juden-Auktion" entschlüsselt wurde.
Und auch in der Berliner Staatsbibliothek, die bei der Rückforderung geraubter Bücher aus jüdischem Besitz alle Verjährungsfristen aufgehoben hat, gibt es für systematische Suche kaum Anhaltspunkte. Alles hängt ab von der engagierten Recherche einzelner Bibliothekare, deren Funde meist Symbolwert haben – aber eben der kann beträchtlich sein, betont Klaus-Dieter Lehmann:
" Es geht hier um Bände, die wir gefunden haben in nicht bearbeiteten Beständen der Staatsbibliothek – von einem sehr engagierten Mitarbeiter: Leo Baecks Privatbibliothek, die wir jetzt ebenfalls an die Erben in New York zurückgeben können."
Service:
Das Zweite Hannoversche Symposium "Jüdischer Buchbesitz als Raubgut" findet am 10. und 11. Mai 2005 statt. Es ist eine gemeinsame Veranstaltung der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek, Niedersächsische Landesbibliothek und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.
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Zweites Hannoversches Symposium "Jüdischer Buchbesitz als Raubgut"