"SZ"-Journalistin über die Istanbuler Gedenkstätte "23,5 April"

"Als würde Hrant Dink durch die Räume führen"

05:17 Minuten
Bild des ermordeten Hrant Dink mit Blumen bedeckt
An den türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink erinnert nun die Gedenkstätte "23,5 April" in Istanbul. © dpa / Arno Burgi
Christiane Schlötzer im Gespräch mit Shanli Anwar |
Audio herunterladen
Beim Genozid an den Armeniern im Osmanischen Reich starben nach Schätzungen Hunderttausende. Der Journalist Hrant Dink hatte sich für Aufarbeitung und Versöhnung eingesetzt - und wurde ermordet. Nun erinnert eine Gedenkstätte in Istanbul an ihn.
Sein Engagement um die Aussöhnung zwischen Armeniern und Türken bezahlte der Journalist Hrant Dink vor zwölf Jahren mit seinem Leben: Am 19. Januar 2007 wurde er vor dem Redaktionsgebäude der Zeitung "Agos" in Istanbul auf offener Straße erschossen.
Dink war einer der Gründer einer türkisch-armenischen Wochenzeitung und von 1996 an bis zu seinem Tod ihr Chefredakteur. Der Journalist bezeichnete die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich vor mehr als 100 Jahren als "Völkermord" - die offizielle Türkei wehrt sich seit langem heftig gegen diese Deutung.
Nun ist eine Gedenkstätte in den ehemaligen Redaktionsräumen seiner Zeitung "Agos" von der Hrant-Dink-Stiftung eingerichtet worden. Damit hat sich die Stiftung an ein ein schwieriges Vorhaben gewagt, denn der Mord an den Armeniern ist immer noch ein Tabuthema in der Türkei.

Schon der Name "23,5 April" zeigt das ganze Dilemma

Bereits der Name der neuen Gedenkstätte "23,5 April" deutet nach Einschätzung von Christiane Schlötzer, Istanbul-Korrespondentin der "Süddeutschen Zeitung", auf das Dilemma hin, mit dem sich der Journalist zeitlebens auseinandersetzen mussste:
"Am 23. April, das ist ein nationaler Feiertag in der Türkei, da wurde 1920 das erste freie Parlament gegründet und hier hat Hrant Dink gesagt: 'Das feiere ich auch.' Und am 24. April ist der Gedenktag der Armenier an den Völkermord. Für Dink gab es das Dilemma, dass er beide Tage begehen wollte, aber es in der Türkei nicht konnte: deshalb 23,5."
Die Gestaltung der Gedenkstätte sei so, "als würde Hrant Dink durch die Räume führen", sagte Schlötzer im Deutschlandfunk Kultur:
"Sein Leben wird erzählt, aber auch die Prozesse, die er durchleben musste - er wurde ja angeklagt wegen Beleidigung des Türkentums, er wurde zur Zielscheibe gemacht von vielen Medien in der Türkei. Es wird sein Leiden beschrieben, aber es soll kein Ort sein mit einer Art Heldenverehrung. Es soll ein Ort der Begegnung sein: Das, was Dink immer gewünscht hat."
(sru)
Mehr zum Thema