Szenen einer Ehe
2010 veröffentlichte Arno Geiger "Alles über Sally", einen Roman über ein ganz normales Ehepaar, das sich in seinem Unglück eingerichtet hat, bevor ein Einbruch und ein Ehebruch das gemeinsame Leben durcheinanderbringen. Jetzt ist die Geschichte von Sally und Alfred auch als Hörspiel erschienen.
"Alfred lag auf dem Bett. Er blickte vom Tagebuch auf, in das er seine morgendlichen Notate schrieb. Träge schaute er zum Fernseher, wo die Nachrichten nichts Neues brachten. 'Seit unzähligen Jahren dieselben Ereignisse. Mit Variationen nur bei den Zwischennummern. Über die wird aber nicht berichtet.'"
Mit den Fernsehnachrichten ist es wie mit dem Leben von Sally und Alfred. Sie wohnen in Wien, sind seit fast 30 Jahren verheiratet, haben drei erwachsene Kinder und ihre größten Abenteuer längst hinter sich. Alfred ist ein schwerfälliger, schwermütiger Grübler. Während das eintönige Ehe-Dasein seiner Passivität sehr entgegenkommt, erträgt Sally die Ereignisarmut nur mit Mühe.
Doch dann wird ihr Haus ausgeraubt. Dieser Einbruch in die gewohnte Ordnung setzt für einen Moment die Regeln ihrer allzu berechenbaren Welt außer Kraft. Sally fängt aus reinem Übermut eine Affäre mit einem gemeinsamen Freund an. Ihre Untreue nimmt Alfred hin. Es ist der Einbruch, der ihn in eine tiefe Krise stürzt.
"Es kommt einem vor wie ein Blick ins Schlachthaus, wie blutiges Fleisch! Warum jemand so etwas tut, ist mir ein Rätsel. Warum können sie sich nicht damit begnügen, einzubrechen und zu stehlen? Wozu noch diese kleinen Schäbigkeiten?"
Es geht um die kleinen, leisen Dinge des Lebens, um Erschütterungen ohne sichtbare Folgen, die doch alles verändern. Ganz gewöhnliche Figuren bei ganz gewöhnlichen Verrichtungen, ganz gewöhnlichen Gesprächen und Konflikten: Das ist es, was man in diesem Hörspiel zwei Stunden lang erlebt. Die Katastrophe bleibt aus.
Und das ist die eigentliche Herausforderung: eine vollkommen alltägliche Geschichte spannend zu erzählen. In Arno Geigers Roman verleiht seine brillante Prosa noch dem allerbanalsten Detail Glanz. Das Hörspiel muss sich anderer – akustischer - Mittel bedienen: Tagebucheinträgen, Tonbandaufnahmen oder innerer Monologe:
"Alfred wieder ganz in seinem schneckenhaften Element. Versunken in die schriftliche Vermessung seiner kleinen Erfolge und Niederlagen. Wie ältlich er dasitzt! Ein überzeugender Beitrag zur Trostlosigkeit dieses Zimmers."
Noch dazu gibt es einen kommentierenden Erzähler, was wieder und wieder zu unglücklichen Doppelungen führt: Wenn der Erzähler erzählt, dass Sally, sagen wir, unter der Dusche steht, hört man, wie Sally unter der Dusche steht. Und auch unter den Kürzungen hat der Text spürbar gelitten: Die komplexen Gedanken und Gefühle, die Sally und Alfred erst Charakter verleihen, und der subtile Humor der Vorlage fehlen hier weitestgehend. Die Figuren und ihre Beziehung zueinander bleiben eindimensional. Alfred etwa ist nie der "große trauernde Mann in seinem kleinen traurigen Haus", wie es im Roman heißt, sondern ein träger Trauerkloß.
"Und dann ist Glück gekommen, und dann ist Glück zum bestehenden Glück dazugekommen und dann nochmals Glück. Und dann ist Pech gekommen, und dann ist zum bestehenden Pech Pech dazugekommen. Und plötzlich hat es Situationen gegeben, da ist herumgebrüllt worden, wenn sich eines der Kinder beim Spielen einen Zahn ausgebrochen hat. Oder wenn Alice ihrer kleinen Schwester die Haare grässlich verschnitten hat. Dann war das wilde Brüllen bis hinunter zur Bushaltestelle zu hören."
Schade ist es auch, dass außer dem Erzähler Ernst Konarek, einem Wiener, alle Sprecher in lupenreinem Hochdeutsch Österreicher mimen. Die Atmosphäre bleibt dabei auf der Strecke. Man fühlt sich an einen sterilen Ort versetzt, an dem jede interessante Unebenheit gründlich planiert worden ist. Auch die wirklich guten Sprecher Stephanie Eidt und Matthias Brandt können nicht verhindern, dass man bald in gepflegter Langeweile versinkt. Wenn Sally und Alfred am Ende von Arno Geigers Roman weitermachen wie gehabt, ist das bittersüß. Das Hörspiel dagegen hinterlässt einen faden Nachgeschmack.
"Erzähler:"Sally knipste die Stehlampe neben der Couch an, damit er genug Licht zum Schreiben hatte. Ihn ansehend, dachte Sally daran, wie sehr sie ihn geliebt hatte."
Sally:"Und ihn weiterhin liebe. Und wenn nicht in diesem Augenblick, dann gemessen am Jahresmittel."
Erzähler:"Ihre Zuneigung nahm zu und wieder ab. Das war wohl nichts wirklich Besonderes."
Sally:"Bei unserem Einzug war dieses Zimmer umbrafarben gestrichen, und alles hat viel größer ausgesehen, solange das Zimmer leer war."
Alfred:"In unserer ersten Nacht im Haus hier hast du nackt getanzt."
Sally:"Weil ich so glücklich war."
Erzähler:"Sie zögerte einen Moment, dann stand sie auf, ging zur Stereoanlage und legte eine CD ein.""
Besprochen von Tabea Soergel
Arno Geiger: Alles über Sally
Hörspiel von Leonhard Koppelmann.
Mit Stephanie Eidt, Matthias Brandt, Ernst Konarek u.a.
2 CDs, Hörbuch Hamburg, Hamburg 2012, 14,99 Euro
Mehr zum Thema bei dradio.de:
Die Poesie des dementen Vaters - Arno Geiger: "Der alte König in seinem Exil"
Ohne erhobenen Zeigefinger - Literaturpreis für Schriftsteller Arno Geiger
Mit den Fernsehnachrichten ist es wie mit dem Leben von Sally und Alfred. Sie wohnen in Wien, sind seit fast 30 Jahren verheiratet, haben drei erwachsene Kinder und ihre größten Abenteuer längst hinter sich. Alfred ist ein schwerfälliger, schwermütiger Grübler. Während das eintönige Ehe-Dasein seiner Passivität sehr entgegenkommt, erträgt Sally die Ereignisarmut nur mit Mühe.
Doch dann wird ihr Haus ausgeraubt. Dieser Einbruch in die gewohnte Ordnung setzt für einen Moment die Regeln ihrer allzu berechenbaren Welt außer Kraft. Sally fängt aus reinem Übermut eine Affäre mit einem gemeinsamen Freund an. Ihre Untreue nimmt Alfred hin. Es ist der Einbruch, der ihn in eine tiefe Krise stürzt.
"Es kommt einem vor wie ein Blick ins Schlachthaus, wie blutiges Fleisch! Warum jemand so etwas tut, ist mir ein Rätsel. Warum können sie sich nicht damit begnügen, einzubrechen und zu stehlen? Wozu noch diese kleinen Schäbigkeiten?"
Es geht um die kleinen, leisen Dinge des Lebens, um Erschütterungen ohne sichtbare Folgen, die doch alles verändern. Ganz gewöhnliche Figuren bei ganz gewöhnlichen Verrichtungen, ganz gewöhnlichen Gesprächen und Konflikten: Das ist es, was man in diesem Hörspiel zwei Stunden lang erlebt. Die Katastrophe bleibt aus.
Und das ist die eigentliche Herausforderung: eine vollkommen alltägliche Geschichte spannend zu erzählen. In Arno Geigers Roman verleiht seine brillante Prosa noch dem allerbanalsten Detail Glanz. Das Hörspiel muss sich anderer – akustischer - Mittel bedienen: Tagebucheinträgen, Tonbandaufnahmen oder innerer Monologe:
"Alfred wieder ganz in seinem schneckenhaften Element. Versunken in die schriftliche Vermessung seiner kleinen Erfolge und Niederlagen. Wie ältlich er dasitzt! Ein überzeugender Beitrag zur Trostlosigkeit dieses Zimmers."
Noch dazu gibt es einen kommentierenden Erzähler, was wieder und wieder zu unglücklichen Doppelungen führt: Wenn der Erzähler erzählt, dass Sally, sagen wir, unter der Dusche steht, hört man, wie Sally unter der Dusche steht. Und auch unter den Kürzungen hat der Text spürbar gelitten: Die komplexen Gedanken und Gefühle, die Sally und Alfred erst Charakter verleihen, und der subtile Humor der Vorlage fehlen hier weitestgehend. Die Figuren und ihre Beziehung zueinander bleiben eindimensional. Alfred etwa ist nie der "große trauernde Mann in seinem kleinen traurigen Haus", wie es im Roman heißt, sondern ein träger Trauerkloß.
"Und dann ist Glück gekommen, und dann ist Glück zum bestehenden Glück dazugekommen und dann nochmals Glück. Und dann ist Pech gekommen, und dann ist zum bestehenden Pech Pech dazugekommen. Und plötzlich hat es Situationen gegeben, da ist herumgebrüllt worden, wenn sich eines der Kinder beim Spielen einen Zahn ausgebrochen hat. Oder wenn Alice ihrer kleinen Schwester die Haare grässlich verschnitten hat. Dann war das wilde Brüllen bis hinunter zur Bushaltestelle zu hören."
Schade ist es auch, dass außer dem Erzähler Ernst Konarek, einem Wiener, alle Sprecher in lupenreinem Hochdeutsch Österreicher mimen. Die Atmosphäre bleibt dabei auf der Strecke. Man fühlt sich an einen sterilen Ort versetzt, an dem jede interessante Unebenheit gründlich planiert worden ist. Auch die wirklich guten Sprecher Stephanie Eidt und Matthias Brandt können nicht verhindern, dass man bald in gepflegter Langeweile versinkt. Wenn Sally und Alfred am Ende von Arno Geigers Roman weitermachen wie gehabt, ist das bittersüß. Das Hörspiel dagegen hinterlässt einen faden Nachgeschmack.
"Erzähler:"Sally knipste die Stehlampe neben der Couch an, damit er genug Licht zum Schreiben hatte. Ihn ansehend, dachte Sally daran, wie sehr sie ihn geliebt hatte."
Sally:"Und ihn weiterhin liebe. Und wenn nicht in diesem Augenblick, dann gemessen am Jahresmittel."
Erzähler:"Ihre Zuneigung nahm zu und wieder ab. Das war wohl nichts wirklich Besonderes."
Sally:"Bei unserem Einzug war dieses Zimmer umbrafarben gestrichen, und alles hat viel größer ausgesehen, solange das Zimmer leer war."
Alfred:"In unserer ersten Nacht im Haus hier hast du nackt getanzt."
Sally:"Weil ich so glücklich war."
Erzähler:"Sie zögerte einen Moment, dann stand sie auf, ging zur Stereoanlage und legte eine CD ein.""
Besprochen von Tabea Soergel
Arno Geiger: Alles über Sally
Hörspiel von Leonhard Koppelmann.
Mit Stephanie Eidt, Matthias Brandt, Ernst Konarek u.a.
2 CDs, Hörbuch Hamburg, Hamburg 2012, 14,99 Euro
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