Bastion der Offenheit in Orbáns Ungarn
Das ungarische Sziget-Festival: ein Vierteljahrhundert alt und eine Bastion der Offenheit im autoritärer werdenden Ungarn unter Viktor Orbán. Zwischen Politik und Festival besteht eine Art "Nichtangriffspakt". Aber welche Ideen hat der neue amerikanische Investor?
Die ungarische Rockband Quimby besingt im Song Forradalom die Revolution. In dieser Groteske textet der Sänger Tibor Kiss: "Heute beginnt die Revolution...Waffen für die Waffenlosen...Für das Volk bleiben immer nur die Essensreste."
Der Song ist kraftvoll eher grotesk als wirklich politisch und ungarische Bands spielen heute nur noch auf den kleineren Bühnen und nicht mehr zur Prime Time. Es ist eine Momentaufnahme der 25. Jubiläumsausgabe und verdeutlicht, wie sich das Festival seit 1993 verändert hat, als es noch als Diaksziget-Stundenteninsel hieß. Der ungarische Journalist Géza Csakvari vom sozialdemokratischen Népszava, der letzten wirklich, oppositionellen Tageszeitung des Landes, erinnert sich, was Sziget einmal war.
Hippies und Studenten
"Die Hippies und Studenten ohne viel Geld kamen zum Sziget, also die alternative Jugend. In den ersten Jahren war das Festival wirklich ein Ereignis, auch eine Art Pflichtveranstaltung für die Intelligentsia. Man ging dort jedes Jahr mit seinem Wochenpass hin, weil dort etwas los. Heute sind vor allem sehr viele Ausländer beim Sziget. und wenn wir von den Ungarn reden, so geht dort in erster Linie nicht mehr die akademisch gebildeten Leute hin, sondern der Typ junger Manager, der das bezahlen kann."
Island of Freedom nennt sich Sziget seit über sechs Jahren und provozierte damit durchaus die rechtsnationale Regierung um Viktor Orbán, der ja im Vorjahr den illiberalen Staat ausrief. So leistet man sich eine NGO-Insel mit Vertretern von Amnesty oder Transparency International, und im Zelt ohne Grenzen sieht man eine Ausstellung über die Integration der Roma in Ungarn und Europa. Zu politisch positionieren will man sich jedoch nicht. Heute gilt eher ein Nichtangriffspakt. Das hat Gründe erläutert Géza Csakvari.
"Die Mächtigen kritisieren das Festival nicht und haben es auch nie offiziell getan. Insgesamt kamen bereits etwa 15 Prozent aller Ungarn einmal zum Sziget. Und sie verbinden mit dem Festival etwas Positives. Sollten die Machthaber nun das Sziget Festival zu sehr gängeln, dann wählen diese 15 Prozent vielleicht nicht mehr für die Fidesz."
Das Line-up nicht so spektakulär
Das Budget der ersten Ausgabe betrug 100.000 Euro, heute verfügt das größte Kulturereignis Ungarns, das mehr Touristen und Geld anlockt als die Formel 1, über ein Budget von 20 Millionen Euro. Dadurch kann man sich auch Weltstars leisten wie in den vergangenen letzten Jahren R.E.M, Prince, Robbie Williams oder in diesem Jahr Pink.
Mit der Amerikanerin Pink begann das Sziget in diesem Jahr grandios. Pink war jedoch auch der einzige wirkliche Weltstar, denn ausgerechnet im Jubiläumsjahr war das Line-Up, nicht so spektakulär wie sonst.
Unter den über 450.000 Besuchern sind die Hälfte Ausländer und kommen aus über 100 Ländern von der Ukraine bis Australien. Und natürlich sind auch viele Deutsche hier. 7.000 kamen dieses Jahr und feierten gestern Abend den deutschen Hip Hopper Marteria überschwänglich.
Der aus Rostock stammende Sänger begeisterte die Massen und gab in einer schweißtreibenden Bühnenshow alles. Marteria steht aber auch für die Veränderung im Musikgeschmack. Kamen noch vor Jahren eher Die Ärzte oder Die Toten Hosen nach Budapest, sind es nun Bands wie KIZ oder Marteria. Am Ende dankte der Sänger sichtlich gerührt dem Festival.
"Das ist ein unfassbarer Traum, der gerade in Erfüllung gegangen ist. Danke Sziget."
Kommerzialisierung?
Kritiker wie Géza Csakvari bemängeln seit Jahren die musikalische Neuausrichtung des Festivals. Immer weniger Rock, gar kein Heavy Metal mehr, dafür seelenloser DJ-Mainstream wie in diesem Jahr von Macklemore and Ryan oder Major Lazer. Bei diesen Acts toben die Massen, vor allem Niederländer und Franzosen, die zahlenmäßig die Mehrheit stellen. Auf der großen Bühne findet dennoch Vielfalt statt. So gab PJ Harvey ein großartiges Konzert. Wohin das Festival geht, wird sich schon im nächsten Jahr zeigen, denn die Sziget Gründer um Lászlo Gerendai haben 70 Prozent ihrer Anteile an einen amerikanischen Equity Investor verkauft. Dennoch bleibt das Management ungarisch und autonom, versichert der Manager des Festivals Tamás Kádar.
"Ich hoffe es bedeutet eher Möglichkeiten für uns, weil wir jetzt einen Background haben, wo wir auch mehr investieren können in Sachen auch das Line-Up zum Beispiel und das hilft. Aber die werden die grundsätzlichen Sachen und das Management in Sziget nicht beeinflussen."
Sziget 2017 war eine gute aber keine großartige Ausgabe. Sympathisch bleibt das vielseitige Kulturprogramm mit Straßentheater, Zirkus, Tanz sowie Stummfilmen mit DJ Live Musik oder einfach Gaudi für die Sztizens im Vörös Virstli einem altmodischen Zirkus und Jahrmarkt mit Hutwerfen oder Zielschießen mit Erdnüssen. Es ist dieser Spaß, dieses völkerverbindende Multikulti, die Sonne und die Musik , die Sziget so einmalig machen. Hoffentlich mischen sich die neuen amerikanischen Gesellschafter, die ja auch Geld verdienen wollen, wirklich nicht in diesen freien Geist ein, den Ungarn so nötig braucht.