T.C. Boyle: Die Terranauten
Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren
Hanser Verlag, München 2017
606 Seiten, 26,00 Euro
Soap-Opera unter Glas
Acht Menschen leben für zwei Jahre abgeschottet von der Welt unter eine Glaskuppel: In seinem neuen Roman nimmt sich Meister-Erzähler T.C. Boyle das Wissenschaftsprojekt "Biosphere 2" vor. Leider interessiert sich Boyle nicht wirklich für das Thema und verwandelt es in eine Soap.
T.C. Boyle ist einer der versiertesten angloamerikanischen Romanciers unserer Tage. Alle zwei bis drei Jahre wartet er mit einer Geschichte über die Brüchigkeit des amerikanischen Traums auf. Gern nimmt er sich dabei eine historische Begebenheit vor, um sie in einer Art sozio-psychologischer Vivisektion zu zerlegen – ein Verfahren, in dem Boyle es zu wahrer Meisterschaft gebracht hat.
Die Wirklichkeit ist so schrill, dass Boyle hinterherhinkt
In seinem neuesten Roman liegt das Ereignis erst 25 Jahre zurück: das privat finanzierte Projekt Biosphere 2, in dem acht Menschen für zwei Jahre unter eine Glaskuppel gesperrt wurden, was beweisen sollte, dass Leben in einem geschlossenen Ökosystem möglich ist – Option für den Mars oder auch Arche für die Klimakatastrophe. Und eine Versuchsanordnung, wie sie sich der literarische Experimental-Ethnologe Boyle nicht pointierter hätte ausdenken können.
Vielleicht liegt da das Problem: Die Wirklichkeit ist so schrill, dass der Geschichtenerzähler hinterherhinkt und selbst ein T.C. Boyle das Material bisweilen eher referiert als dass er es nutzen würde. Vor der radikal "Geschlossenen Gesellschaft" (im Roman werden die Versuchspersonen genötigt, das Sartre-Stück zu spielen) schreckt Boyle zurück. Er erzählt die Geschichte osmotisch: abwechselnd unter Glas und draußen. Dabei gibt er dem Ganzen komödiantische Züge, besser: Züge einer Soap, ist es doch ein amerikanischer Traum, der da unter Glas platzt. Drei der Beteiligten erzählen alternierend in der ersten Person. Das erlaubt einen saloppen Tonfall, beständige Perspektivwechsel, psychologische Innenansichten und jede Menge Cliffhanger.
Vielleicht liegt da das Problem: Die Wirklichkeit ist so schrill, dass der Geschichtenerzähler hinterherhinkt und selbst ein T.C. Boyle das Material bisweilen eher referiert als dass er es nutzen würde. Vor der radikal "Geschlossenen Gesellschaft" (im Roman werden die Versuchspersonen genötigt, das Sartre-Stück zu spielen) schreckt Boyle zurück. Er erzählt die Geschichte osmotisch: abwechselnd unter Glas und draußen. Dabei gibt er dem Ganzen komödiantische Züge, besser: Züge einer Soap, ist es doch ein amerikanischer Traum, der da unter Glas platzt. Drei der Beteiligten erzählen alternierend in der ersten Person. Das erlaubt einen saloppen Tonfall, beständige Perspektivwechsel, psychologische Innenansichten und jede Menge Cliffhanger.
Allzu viel Erwartbares
Doch die Soap tut der Geschichte nicht gut. Da dient der aufwendige Versuchsaufbau am Ende nur dem einen Interesse, das – so die Behauptung – der Mensch nun einmal wirklich hat: Sex. Doch das Wer-mit-Wem und die daraus eher erwartbar resultierenden Verletzungen und nicht minder erwartbaren Folgen sind nicht interessant genug für 600 Seiten. Und auch Boyle interessiert sich nicht genügend dafür.
Wo er sonst gerade in der Darstellung ambivalenter Gefühlswelten so herausragend genau sein kann, bleiben hier Soap-Dialoge und echte Verwundungen der Protagonisten unverbunden nebeneinander liegen. Statt sein großes literarisches Können auf diesen Zwischenraum zu lenken, haut er seinen Lesern unentwegt Hinweise um die Ohren, was das alles bedeuten könnte: Paradies und Big Brother, Gefängnis und Zoo, Arche und Sekte. Halbaffen machen vor, was die Menschen danach einander antun. Die Figuren haben Spitznamen wie Düsentrieb oder Gretchen, Gottvater oder Jesulein.
Auf Seite 512 ist dann nicht nur der pH-Wert des künstlichen Ozeans "völlig außer Kotrolle", sondern auch die Gefühlswelt der Terranauten. Parallel dazu hat das anfangs in der künstlichen Biosphäre prächtig gedeihende Leseinteresse mit dem CO2-Wert unter der Glaskuppel kontinuierlich abgenommen – obwohl da einer erzählt, der so gut erzählen kann, wie kaum ein anderer. Nur, wenn es ihn nicht wirklich interessiert, dann interessiert es uns auch nicht wirklich.