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"Die Leser sollen etwas fühlen"
12:31 Minuten
Der Schimpanse Sam steht im Zentrum des neuen Romans von T.C. Boyle. Der Autor versteht sein Buch als eine Reflexion über die Unterschiede zwischen menschlichem und tierischem Bewusstsein. Und über die Anmaßungen der menschlichen Spezies.
T.C. Boyle weiß seine treue deutsche Fangemeinde wie auch den engen Kontakt zu ihr sehr zu schätzen, und zeigt dies auf seine Weise: Sein neuer Roman "Sprich mit mir" ist Ende Januar zuerst in Deutschland und auf Deutsch erschienen.
Der tierische Held des Romans liebt Pizza und Cheeseburger und trägt meistens Latzhose. Wie ein Kind wächst der zweijährige Schimpanse Sam bei einem Verhaltensbiologen auf. Der führt ihn und sein "menschliches" Verhalten in TV-Shows vor.
Als die Studentin Aimee zum Team stößt, entspinnt sich eine besondere Beziehung: Sam erwidert nicht nur Aimees Gefühle, er entwickelt sich regelrecht zu einem Individuum. Als jedoch die Vision des Forschers, der an das Menschliche im Tier glaubt, keine Schule macht, wird Sam für Tierexperimente von einer anderen Universität beschlagnahmt. Aimee fasst einen verrückten Plan, um ihren engsten Freund zu retten.
Zu 98 Prozent die gleichen Gene
Über weite Strecken wird das Geschehen aus Sicht des Schimpansen beschrieben. Das Genom von Schimpanse und Mensch stimmt zu 98 Prozent überein. Eine faszinierende Vorstellung, die auch T.C. Boyle umgetrieben hat, als er auf der Suche nach einem neuen Romanstoff war. Schon häufig hat der Autor Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftler und ihre Arbeit ins Zentrum seiner Bücher gerückt. Was fasziniert ihn an dieser – im wahrsten Sinne des Wortes – Science-Fiction?
"Ich möchte den Lesern damit nichts aufzwingen, ganz im Gegenteil", betont Boyle, der für sein Buch unter anderem im Primatenhaus des Zoos von Los Angeles recherchiert hat. "Die Leser sollen mein Buch in erster Linie absorbieren und dabei etwas fühlen."
Was ist ein tierisches Bewusstsein?
Dabei gehe es ihm immer auch um das Bewusstsein seiner Protagonisten, berichtet der Schriftsteller: Wer sind wir und was unterscheidet uns von Tieren? "In meinem vorherigen Buch 'Das Licht' ging es um das menschliche Bewusstsein, und was chemische Drogen damit machen. In dem Fall war es LSD. In meinem neuen Buch versuche ich, mich auf die Frage zu konzentrieren: Was ist ein tierisches Bewusstsein?"
Schimpansen verfügten über eine Gebärdensprache, mit der sie sich bereits seit Millionen von Jahren hervorragend untereinander verständigten, erläutert der Autor:
"Und dann kommt der Mensch, zerstört ihr natürliches Lebensumfeld und versucht auch noch – egozentrisch, wie er nun einmal ist -, diesen Tieren seine eigene, menschliche Sprache aufzudrängen, statt vielleicht zu versuchen, sich ihre Sprache anzueignen."
(mkn)
T.C. Boyle: "Sprich mit mir"
Aus dem Englischen von Dirk Gunsteren
Hanser Verlag, München 2021
352 Seiten, 25 Euro