T.C. Boyle: "Das Licht"
Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren
Hanser Verlag, München 2019
379 Seiten, 25 Euro
Wie aus dem Charismatiker Leary ein Verrückter wurde
Wegen seiner großen Fangemeinde in Deutschland stellte T.C. Boyle seinen neuen Roman nicht in den USA, sondern in Berlin vor. Es geht darin um Timothy Leary, der in den 60ern mittels LSD die Psychiatrie verändern wollte und dann zum Drogen-Guru wurde.
T.C. Boyle ist als dankbarer Autor nach Berlin gekommen. In Deutschland hat er eine große Fangemeinde, sie ist so groß, dass die Weltpremierenlesung seines neuen Romans in Berlin stattfindet, erst im Frühjahr erscheint "Das Licht" in seiner Heimat.
Boyle hat bewusst für diesen Abend kein wildes Outfit gewählt und auch seine Haare stehen ihm nicht mehr im Stile eines Punk zu Berge. Stattdessen nimmt er in einem schwarz-weiß-karierten Sakko Platz. Und er macht von Anfang an klar, dass es ihm mit seinem Buch nicht darum geht, möglichst wilde Geschichten über Drogenexperimente und exzessive Partys in den Sechzigerjahren zu erzählen.
LSD sollte den Psychiatrie-Betrieb auf den Kopf stellen
Den Professor und Psychologen Timothy Leary, der in den frühen Sechzigerjahren an der Harvard Universität mit Drogen experimentierte und später LSD-Kommunen gründete, bescheinigt Boyle, damals eine große Entdeckung gemacht zu haben:
"Er war ein großer Charismatiker, er war brillant", meint Boyle.
"Er entdeckte eine Droge, mit der er den ganzen Psychiatrie-Betrieb auf den Kopf stellen konnte. LSD war ein Schlüssel, um die Hierarchien zwischen dem Psychiater und seinem Patienten abzubauen. Leary sah die Zukunft in der partnerschaftlichen Beziehung zwischen Arzt und Patient, vereint im bewusstseinserweiternden LSD-Erlebnis. Aber schaut, was aus ihm geworden ist. Es wurde ein Krimineller aus ihm und dann ein Verrückter."
Boyles Roman kreist um die Kultfigur Timothy Leary, doch die bleibt genau so unnahbar, wie man sich einen Guru vorstellt. Die LSD-Sessions und das Leben in den Kommunen werden aus der Sicht seines Gefolges beschrieben.
Ein junges Paar, er angehender Doktorand, sie die Frau an seiner Seite, die mit einem Bibliotheksjob ihren Mann finanziell unterstützt, erzählt eine Geschichte, die mit Aufbruch aus konventionellem Karrieredenken beginnt und mit dem Scheitern der Ehe endet.
Blinde Gefolgschaft gegenüber dem Guru
Die Erlebnisse ihres ersten gemeinsamen Trips werden bei T.C. Boyles Lesung vom Schauspieler Florian Lukas auf Deutsch gelesen. Wie die Protagonisten seines Romans einem charismatischen Führer verfallen, wie sie einerseits in neue Bewusstseinssphären aufbrechen, aber sich auch in blinder Gefolgschaft ihres Gurus und dem Widerspruch zwischen Drogenkommune und Ego-Trip verlieren, genau das interessiert Boyle.
Und deshalb hat er sich die Anfangsjahre der psychedelischen Bewegung herausgepickt, eigentlich erst der Beginn einer spektakulären Reise, auf die sich dann Timothy Leary später noch begab. Als sein Wirken und seine Droge illegalisiert wurden, er im Knast landete, als Illegaler in Marokko, der Schweiz oder in Afghanistan untertauchte und später als exzentrischer Computer- und Internet-Begeisterter wieder auftauchte.
Es wäre ein Leichtes gewesen, Timothy Leary zu überzeichnen, ihn als Karikatur bloßzustellen. Doch Boyle, der als Erneuerer des historischen Romans gilt, fasziniert das Phänomen des charismatischen Führers und er hat solche Figuren der US-amerikanischen Geschichte bereits in anderen Romanen beschrieben - etwa den Cornflakes-Produzenten John Harvey Kellog oder den Sexualforscher Alfred Charles Kinsey.
Gegen Ende seiner Lesung weist Boyle darauf hin, dass jede Generation seine Verführer und seine Drogen hat. "Die Drogen unserer Zeit", stellt Boyle nüchtern für sein Heimatland fest, "sind schmerzstillende Opiate, mit denen Menschen ihren harten Alltag vergessen machen."