Ta-Nehisi Coates: The Beautiful Struggle. Der Sound der Straße
Aus dem Amerikanischen von Bernhard Robben
Karl Blessing Verlag, München 2021
304 Seiten, 22 Euro
Ein Buch wie ein Hip-Hop-Mixtape
06:56 Minuten
In „The Beautiful Struggle“ schildert Ta-Nehisi Coates sein Aufwachsen als Sohn eines Black-Panther-Aktivisten und als Jugendlicher in den Straßen von Baltimore. Zugleich erzählt er die Geschichte des afroamerikanischen Kampfes gegen Diskriminierung.
Ta-Nehisi Coates gehört zu den prominentesten afroamerikanischen Autoren der Gegenwart. Seine Essays über den strukturellen Rassismus der US-amerikanischen Gesellschaft – in Deutschland 2016 unter dem Titel "Zwischen mir und der Welt" erschienen – haben große Durchschlagskraft entfaltet, insbesondere sein "Plädoyer für Reparationen" angesichts der jahrhundertelangen Geschichte der Sklaverei und der Diskriminierung.
Schon 2008 erschienen seine autobiografischen Erinnerungen "The Beautiful Struggle", erst jetzt kommt eine deutsche Ausgabe heraus. Aber es ist ein hoch aktuelles, unbedingt lesenswertes Buch, das viel zum Verständnis der gegenwärtigen Diskussionen über "race" und Identität beiträgt.
Black Consciousness
Ta-Nehisi Coates wird 1975 geboren, seine Jugend verbringt er in Baltimore. Sein Vater gehörte zu den Aktivisten der Black-Panther-Bewegung, er hat an die Revolution geglaubt, und als diese ausbleibt, beginnt er damit, die vergessenen Schriften der schwarzen Emanzipation und Geschichte neu zu verlegen.
Seinen Sohn hält er früh schon zum Lesen an und dazu, sich der eigenen Herkunft "bewusst" zu werden – "consciousness" ist der Zustand, den man erreichen muss, um sich dem Rassismus zu widersetzen. Das ist die eine Hälfte der Welt, in der Ta-Nehisi aufwächst.
Die andere Hälfte findet sich auf den Straßen von Baltimore, einer rauen, extrem segregierten Stadt. In den Achtzigern herrschen hier Drogensucht und Gang-Kriminalität, die schwarzen Kids sind weit entfernt von jeder solidarischen Bewusstheit, sondern durchweg damit beschäftigt, sich gegenseitig zu bekriegen, zu verletzen und zu töten.
Hip-Hop als politische Haltung
Der junge Ta-Nehisi wird niemals wirklich zum Teil der "Straße", er ist kein Kämpfer, aber er kommt im Verlauf seiner Pubertät immer wieder in die Versuchung der Gewalt – dazu ist diese zu allgegenwärtig. Auch scheinen ihm die Bücher, die sein Vater ihm zum Lesen auferlegt, lange Zeit zu weit entfernt von seiner Lebensrealität.
Das ändert sich erst, als er den Hip-Hop entdeckt, weil dieser Ende der Achtziger-Jahre seinerseits zur Musik der politischen Bewusstseinserweiterung wird mit Rappern und Crews wie KRS-One, Public Enemy oder A Tribe Called Quest.
Im Hip-Hop erreicht die von seinem Vater so akribisch konservierte Tradition des schwarzen Nationalismus schließlich die Gegenwart; und dass er eines Tages selbst zu schreiben beginnt, sagt Coates, hat er dieser frühen Faszination für die Rhythmen und Reime, für die Spontaneität und zugleich das Geschichtsbewusstsein der "conscious rappers" zu verdanken.
Effekte der rassistischen Traumatisierung
"The Beautiful Struggle" ist also ein intellektueller Bildungsroman – aber auch eine detailreiche Schilderung einer Jugend in den Achtzigerjahren in einer segregierten Stadt. Wir lesen von den verklemmten Versuchen des jungen Ta-Nehisi, sich unerreichbaren "Jennys" (Mädchen) zu nähern – und von dem schwierigen Verhältnis zu seinem Vater, den er als universell gebildeten "Helden" verehrt, der aber auch mit vier Frauen sieben Kinder in die Welt gesetzt hat und seine Söhne mit dem Ledergürtel verprügelt.
Für Coates ist solcher Mangel an Souveränität und Verantwortung auch ein Effekt der rassistischen Traumatisierung. Aber er zeichnet seine Figuren niemals als Opfer: Er betrachtet sie dabei, wie sie richtige oder falsche Entscheidungen treffen, und er betrachtet sich selber dabei, wie es ihm in entscheidenden Momenten – mit der Hilfe seiner Eltern, mit der Hilfe des Hip-Hop, manchmal auch nur durch Glück – gerade noch gelingt, sich vor dem Absturz in eine typische Slum-Biografie zu retten.
Aus diesem großartigen Buch kann man gerade auch als weißer Leser viel lernen. Unbedingt lobenswert ist die deutsche Ausgabe. Bernhard Robben hat die Rhythmik, den Flow, das sprachliche Spiel mit dem Slang-Vokabular so lässig und virtuos ins Deutsche übertragen, wie es nur irgend geht.
Und der Journalist und Hip-Hop-Kenner Julian Brimmers hat ein ausführliches Glossar angefügt, in dem sämtliche politischen, literarischen, musikalischen Referenzen erläutert werden: Man möchte bei und nach der Lektüre sofort die alten Hip-Hop-Tracks wieder spielen und sich tiefer in die Geschichte der schwarzen Bewusstwerdung hineinlesen.