Tabak als Politikum

Von Jochen Stöckmann |
Wie es der Unternehmerfamilie Reemtsma gelang, in den Wirren der Weimarer Republik, im Windschatten der Nazis und nach 1945 im Zentrum des Wirtschaftswunders den größten deutschen Tabakkonzern aufzubauen, zeigt eine Ausstellung des Hamburger Museums der Arbeit. Für die umfangreiche Kulturgeschichte der Markenwerbung konnte Kurator Stefan Rahner erstmals das komplette Werbemittel- und Fotoarchiv der Firma Reemtsma auswerten.
"Ernte 23" war eine ganz besondere Zigarette: Um die gleichbleibende Qualität der industriell gefertigten Massenware zu garantieren, hatte ein Tabak-Experte in Griechenland und Mazedonien komplette Ernten aufgekauft, eben den Jahrgang 1923. Und auf der Packung wurden Anbaugebiete und Herkunft angegeben - wie auf dem Etikett edler Weine Lage und Provenienz. Der Raucher durfte sich als Kenner, als kundiger Genießer fühlen. Mit dieser sachlichen Werbung eroberte die Hamburger Firma Reemtsma in den Zwanzigern den Markt.

Im typischen "Reemtsma"-Stil stellten Werbegrafiker die durch schnelle Lieferung garantierte Frische und Qualität der Zigaretten heraus - in expressionistischer Manier. Oder sie betonten den Nimbus modernster Fabrikanlagen - mit konstruktivistischen Motiven. Avantgardistische Werbung, wie sie das Museum der Arbeit jetzt ausstellt, bescherte der Hamburger Zigarettenfabrik in den "roaring twenties" einen Spitzenplatz. Aber konnte Philipp Fürchtegott Reemtsma, politisch orientiert an der bürgerlich-liberalen Deutschen Demokratischen Partei, sein Unternehmen damit durch die Nazizeit steuern? Kurator Stefan Rahner:

"Selber war er Mitglied der DDP. Er hat aber flächendeckend die politische Landschaft bedient, auch mit Spenden. Er war da ganz pragmaischer Unternehmer. Weshalb es ihm auch keine größeren Schwierigkeiten bedeutete, die Nationalsozialisten zu unterstützen."

Schon 1934 nahm die Deutsche Arbeitsfront der Nazis die lichtdurchfluteten Produktionsanlagen als Musterbetriebe in Broschüren des Amtes "Schönheit der Arbeit" auf. Dokumente über polnische Zwangsarbeiterinnen fand der Kurator naturgemäß nicht im Werbearchiv: Die ausgestellten Fotos gehen auf Recherchen eines Historikers zurück, den Firmenerbe Jan Philipp Reemtsma in den Neunzigern mit Nachforschungen beauftragt hatte. Offen zu Tage aber lag, was der Tabakkonzern in seiner beliebten und in hoher Auflage verkauften Sammelbild-Reihe in Zusammenarbeit mit dem Nazi-Propagandaministerium herausgab: "Deutschland erwacht" oder einen kompletten Band über Adolf Hitler. Tatsächlich hatte Reemtsma ein gespanntes Verhältnis zu den Nazis.

Stefan Rahner: "Es gab Vorbehalte gegen den Reemtsma-Konzern wegen seiner schieren Größe. Es gab ja antikapitalistische Züge in der NS-Bewegung. Es gab aber auch Angriffe, weil einer der Teilhaber, David Schnur, der Tabakhändler oder Tabakeinkäufer, Jude war und auch verschiedene Manager. Daraufhin wurde er als in Anführungszeichen "verjudeter Konzern" angegriffen."

Durch hoch dotierte Anzeigenaufträge an die Nazi-Presse erkaufte sich Reemtsma die Gunst der neuen Machthaber – und durch Privatspenden, oder besser: Bestechungsgelder an Hermann Göring. Ein Foto zeigt den wuchtigen Auftritt des beleibten Reichsjägermeisters beim Besuch der Hamburger Firmenzentrale, am Ende aber saßen die Tabak-Könige am längeren Hebel – Zigaretten wurden kriegswichtig.

Stefan Rahner: "Es gab dann ja auch die Feldpostzigaretten und die Liebesgaben an die Front. Rauchen wurde einfach als Beruhigungsmittel für Soldaten im Kampf angesehen."

Als harte Währung galten Zigaretten dann nach 1945, amerikanische "Chesterfield" oder "Lucky Strike" ersetzten die Deutsche Mark. Auch Reemtsma propagierte diese neue Geschmacksrichtung, den Duft der großen, weiten Welt: Die Nachkriegsreklame malte Zigaretten als Klassen übergreifendes Genussversprechen aus, als Konsens-Kitt des Wirtschaftswunders.

Stefan Rahner: "Es gibt eine allgemeine Entwicklung, dass der Tabak in den zwanziger Jahren Thema ist, nach dem Zweiten Weltkrieg aber immer mehr die Raucher in den Blick kommen: Mit Arbeiterzigaretten, das war die Eckstein, später auch die Juno. Oder Astor, eine Riesenkampagne 'Rendezvous der Prominenz', wo nur Jet-Set der fünfziger und vor allem sechziger Jahre thematisiert wurde."

Allein in diesen "Werbewelten", nur mit Reklame-Bildern, hat Reemtsma seine Schlachten um Marktanteile allerdings nicht geschlagen. Entscheidend blieb, was sich nicht plakativ ausstellen, eigentlich nur durch Lektüre der Dokumente vermitteln lässt.

Stefan Rahner: "Dass er sehr strategisch dachte und ein unglaubliches Netzwerk in die Industrie, in die Politik und auch zu den Banken, in die Finanzwelt aufgebaut hatte."

Aber weder dieses Geschick noch das Gespür seiner Marketing-Experten halfen, als Reemtsma 1989 ein großes Zigarettenwerk in der DDR aufkaufte.

Stefan Rahner: "Die Markenexperten von Reemtsma schätzen es so ein, dass die ostdeutschen Raucher alle zu westlichen Produkten greifen würden. Also haben sie die 'Cabinet' überarbeitet, haben die Mischung den American Blend-Zigaretten angepasst - und im Dezember 1990 gibt es eine Anzeigenkampagne, wo das Unternehmen sich entschuldigt für diese Änderung und verspricht: Wir geben euch eure alte 'Cabinet' wieder."

Werbung allein war also keine Garantie für den Gewinn – und das Geheimnis der Reemtsma-Erfolgsgeschichte liegt wohl irgendwo zwischen den zur Ausstellung aufgereihten "Cabinet"-Verpackungen – ein wenig im Verborgenen.

Service:
"Werbewelten made in Hamburg - 100 Jahre Reemtsma"ist als Sonderausstellung im Museum der Arbeit in Hamburg bis zum 20. März 2011zu sehen.