"Tabus in der Gesellschaft ansprechen"

Von Anna Deibele |
Als der Bosnienkrieg 1992 ausbrach, hat er sein Land verlassen. Er hatte einen Traum: Theater zu seinem Leben zu machen. Heute inszeniert Branko Simic zum Beispiel am Thalia-Theater in Hamburg oder am HAU in Berlin.
Branko Simics Augen strahlen schelmisch hinter seiner dicken schwarzen Hornbrille, als er sich lächelnd vorstellt. Im alltäglichen Leben ist der 40-Jährige meist gut gelaunt und umgänglich, auf der Bühne provoziert er gern:

"Für mich - Kunst muss eine extreme Haltung haben oder dahin gehen, was wir im Alltag nicht schaffen – also in eine tiefste, dunkelste, brutalste Ecke der Realität – ich glaube nur dann hat diese ganze Arbeit einen Sinn!"

Er streicht sich eine dicke schwarze Haarsträhne aus dem kantigen Gesicht:

"Es geht um so eine Bewusstsein, dass, ein System in jedem Moment brechen kann- unter bestimmte Umstände; um zu begreifen, um wahrzunehmen, dass da eine Generation aufgewachsen ist – Balkan, die vom Krieg gezeichnet ist!"

Bilder vom zerbombten Bosnien flimmern auf einer Leinwand. Davor stehen zwei Männer und eine Frau. Branko Simic ist einer von ihnen. Die drei Schauspieler erzählen von ihren Ängsten während des Krieges, von der Flucht nach Deutschland und dem Schock in einem fremden Land vor dem Nichts zu stehen.

Branko Simic wird 1968 in der Kleinstadt Tuzla im Norden Bosniens geboren:

"Also das sieht so wie Gelsenkirchen aus ungefähr, weiße und schwarze Bergarbeiter - es gibt sowohl Kohle als auch Salz, was man aus der Erde rauskriegt und ein Riesenindustrieanlage, Smog, schmutzig, aber mit ganz nette Menschen."

Sein Vater arbeitet damals in einer großen Fabrik als Elektroingenieur, während sich die Mutter um Branko und seine ältere Schwester kümmert. Mit 11 Jahren klettert er zum ersten Mal auf die Bühne als die Schwester in einem Theaterstück probt. Bis dahin spielt er lieber Fußball:

"Sonntags waren dann um 10 Uhr morgens Spiele - also Highlights der Woche für mich - und eines Tages bin ich wie immer nach dem Spiel in diese Theatersaal gegangen und der Regisseur hat sich einfach umgedreht – ihm fehlt ein Schauspieler und hat gesagt, ja - geh auf die Bühne und hast du diese und diese Text und stell dich da hin! – und ab diese Moment bin ich eigentlich bis heute im Theater geblieben."

Branko ist das einzige Kind in der Gruppe. Bereits das erste gemeinsame Stück ist sehr erfolgreich. Es folgen Reisen und Festivals. Mit 19 Jahren studiert er Schauspiel an der Akademie für Szenische Künste in Sarajewo:

"Also das war sehr wichtig für mich, dass man durch eigene Engagement eventuell was bewegen kann – also bestimmte Tabus in der Gesellschaft ansprechen, was in offiziellen Medien damals nicht möglich war."

Als die ersten Granaten auf Sarajewo fallen, werden diese Hoffnungen zerstört. Simic entschließt sich mit 24 Jahren sein Heimatland zu verlassen. In Amsterdam möchte er sein Schauspielstudium fortsetzen. Zwischenstation ist Hamburg – seine Tante lebt dort seit Ende der 60er Jahre als Gastarbeiterin. Branko Simic spricht kein Wort deutsch, trotzdem bleibt er in Hamburg. Als Bauarbeiter und Kellner verdient er seinen Lebensunterhalt. Aber die Bühne fehlt ihm:

Nach drei Jahren gründet Branko Simic seine eigene internationale Gruppe und bringt nonverbales Theater auf die Bühne – er inszeniert, schreibt und spielt.

Nach intensiver Arbeit mit der Theatergruppe, ist er sich sicher: er möchte Regisseur werden. Um die neue Sprache besser zu lernen, liest Simic viele deutsche Autoren. Beim zweiten Versuch wird er für das Regiestudium am Institut für Theater, Musiktheater und Film in Hamburg aufgenommen:

"Wie besessen habe ich gearbeitet – ich glaube, dass ich doppelt so viele kleine Inszenierungen gemacht habe, als vom Programm des Studiums vorgesehen war."

Bald folgen erste Staatstheaterinszenierungen und mehrere Preise. Nach 17 Jahren ist Hamburg zu seinem neuen zu Hause geworden. Dort lebt der vierzigjährige Branko Simic mit seiner Frau und seinen zwei kleinen Söhnen.

Seine Muttersprache und die Mentalität seiner Landsleute vermisst er aber nach wie vor. 2003 inszeniert er erste Projekte mit Bosniern und Deutschen: Mit Schauspielabsolventen der Theaterakademie seiner Heimatstadt Tuzla stellt er "Die Dreigroschenoper" von Bertolt Brecht als Hip Hop – Stück für das MESS Festival in Sarajewo auf die Bühne. Bei der Inszenierung "Ein Kind unserer Zeit" nach Ödön von Horvath im Jahr 2007 spielen Punk-Musiker aus Bosnien mit:

"Ich arbeite immer, wenn ich dort bin, mit Punkern, mit Rappern – das ist immer etwas Unglaubliches: Also Bosnien ist ein verlorene Land, ein nicht funktionierte Land und eine zerbombte Land, eine vergewaltigte Land! Und dann trifft man Leute wie Tuzlas Rapszene oder zahlreiche Bands, also die wirklich auf so einem Niveau sind wie, wie London!"

Branko Simics Hörspiel "Landschaften-Synchronisation der Fluchtwege" wird am 6.7. um 0.05 Uhr im Programm von Deutschlandradio Kultur uraufgeführt