Krisha Kops, deutsch-indischer Abstammung, studierte Philosophie und internationalen Journalismus an der London und Westminster University. Er promovierte in Hildesheim über interkulturelle Philosophie und ist in Deutschland sowie Indien als Journalist für Medien wie "Times of India" und das SZ-Magazin tätig. Zudem arbeitet er als lehrender und beratender Philosoph.
Warum wir mehr übers Sterben reden sollten
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In Deutschland wird der Tod tabuisiert, kritisiert der deutsch-indische Philosoph Krisha Kops. Mit der Folge, dass viele panische Angst vor dem Sterben haben. Dass es auch anders geht, könnten wir von anderen Kulturen lernen. Etwa der indischen.
Die erste Tote, die ich sah, war meine Großmutter. Sie lag in einer Art offenem Sarg, gebettet auf großen Eiswürfeln, um ihren Leichnam in der sengenden indischen Sonne zu kühlen. Blumengirlanden zierten ihren Hals. Die ganze Kleinstadt hatte sich versammelt. Man drängelte sich ungeduldig vor dem Sarg, um einen Blick auf die Verstorbene zu werfen. Später am Tag wurde meine Großmutter auf einem Ochsenkarren aufgebahrt.
In Indien ist der Tod Teil des Alltags
Während der Prozession warfen Angehörige und Bekannte geröstetes Getreide mit Geldmünzen in die Menge. Die Mitlaufenden sammelten sie ein und bewahrten sie zu Hause in dem Glauben auf, dass sie ihren Kindern Gesundheit bescheren. Der dadurch symbolisierte Kreislauf von Leben und Tod findet sich auch in dem Brauchtum wieder, dass am elften Tag nach dem Ableben Essen und Saris an die Armen verteilt werden.
Für die Beteiligten war es somit nicht nur ein Moment der Trauer, sondern auch der Wertschätzung und Normalität. Ich würde sogar behaupten, etwas Heiteres lag in der Luft. Das änderte sich auch nicht, als man meine Grußmutter entgegen der hinduistischen Tradition beerdigte und nicht verbrannte. Aber auch brennende Menschen habe ich an den Stufen des Ganges gesehen. Oder Frauen und Männer auf den Straßen liegend, von denen ich nicht wusste, ob sie noch lebten. So lernte ich mit der Zeit, dass der Tod in Indien allgegenwärtig ist.
Der Tod wird ins Fiktionale abgeschoben
Hierzulande ist das anders. Dem Tod begegnen wir nicht oft. Er wird verdrängt – selbst in Zeiten von Covid-19.
Gleichzeitig pflastern zahlreiche Leichen Seiten und Fernsehbildschirme in Krimis. Am Sonntagabend wird die Fernsehcouch für viele zu eine Art Heiligtum. Andere Hobbydetektive treffen sich auf ein Bier in Tatort-Kneipen. Und Kriminalromane gehen jedes Jahr millionenfach über die Ladentheke.
Wenn der Tod im Alltag keine Rolle spielt, sucht er Zuflucht in der Fiktion. In Krimis verliert das Sterben seine Dramatik, weil Leichen der Unterhaltung dienen: Die Mordfälle werden aufgeklärt, oft gibt es ein Happy End. Der Fall ist abgeschlossen, der nächste Krimi kann beginnen.
Sterben als Tabuthema
Auch im öffentlichen Diskurs ist der Tod meistens nur die abstrakte Ziffer einer Statistik. Eine Zahl, die uns nicht betrifft. In einer zunehmend atheistischen respektive agnostischen Gesellschaft, fangen auch die Gotteshäuser solch einen fehlenden Diskurs nicht mehr auf.
So wird in Deutschland das Sterben meistens entdramatisiert und verdrängt. Die Folge: Ich kenne viele Menschen, die sich weder mit der eigenen Sterblichkeit noch mit der der Anderen auseinandersetzen. Manche, die gar panische Angst davor haben. Ein Tabuthema.
Wenn dann aber der Tod naht – ob unser eigener oder der eines geliebten Menschen – reagieren wir oft mit Unverständnis, Hilflosigkeit und Abweisung. Meiner Meinung nach kann sich das nur ändern, wenn wir auch den Tod in unser Leben lassen und ihn nicht mehr nur in den fiktionalen Raum abschieben. Sterben ist Realität genauso wie die Geburt.
"Sein Leben lang muss man sterben lernen"
Nein, künftig sollen keine Leichen an der Elbe verbrannt werden, noch sollen Trauermärsche über den Kurfürstendamm ziehen. Wir müssen auch nicht zu strenggläubigen Christen oder Hindus werden, um uns mit dem Glauben an eine Existenz nach dem Tod die Trauer zu nehmen.
Aber ich denke, wir tun gut daran, darüber zu sprechen – im privaten wie im öffentlichen Raum. So wie in Indien, wo der Tod nicht nur sichtbarer ist, sondern auch über das Sterben gesprochen und philosophiert wird. Und doch – oder vielleicht gerade deswegen – hat man dort weniger Angst vor ihm, sieht ihn vielmehr als festen Bestandteil im Kreislauf des Daseins. Meine Großmutter teilte diese Ansicht, so wie sie auch die Meinung des Stoikers Seneca vertreten hätte: "Sein Leben lang muss man sterben lernen."